„Jetzt setzen sie den Rammbock ein. Was für ein Lärm das wäre, wenn ich genausogut hören könnte, wie ich sehen kann! Es geht Schlag auf Schlag: das hält kein Tor lange aus. Aber halt! Oben beim Sturmkopf hat etwas den Vögeln angst gemacht. Sie kommen in Scharen herausgeflogen. Wartet ... ich kann noch nichts sehen ... ah! Jetzt sehe ich! Der ganze Hügelkamm im Osten ist voller Reiter. Wenn nur der Wind die Standarte erfassen und sie ausbreiten wollte! Jetzt haben sie den Hügel hinter sich gelassen, wer immer es sein mag. Aha! Nun habe ich das Banner gesehen. Narnia, Narnia! Es ist der rote Löwe. Sie kommen im Galopp den Hang herunter. Ich kann König Edmund sehen. Hinten, zwischen den Bogenschützen, ist eine Frau. Oh ...“
„Was ist?“ fragte Hwin atemlos.
„Alle seine Katzen kommen von links her angerannt.“
„Katzen?“ fragte Aravis.
„Großkatzen – Leoparden und so weiter“, sagte der Einsiedler ungeduldig. „Ich sehe, ich sehe. Die Katzen bilden einen Kreis, um die reiterlosen Pferde anzugreifen. Ein guter Einfall! Die kalormenischen Pferde sind schon fast verrückt vor Angst. Jetzt haben sich die Katzen zwischen ihnen verteilt. Aber Rabadash hat die Hälfte seiner Männer neu abkommandiert. Hundert Männer sitzen im Sattel. Sie reiten den Narnianen entgegen. Jetzt liegen nur noch zehn Pferdelängen zwischen den beiden Linien. Nur noch fünf. Ich kann König Edmund und Lord Peridan sehen. Bei den Narnianen reiten zwei Kinder mit. Was mag der König wohl im Sinn haben, daß er sie in die Schlacht mitnimmt? Nur noch eine Pferdelänge – jetzt sind die beiden Kampflinien aufeinandergestoßen. Die Riesen zur Rechten leisten wahre Wunder ... aber einer ist zu Boden gegangen ... er wurde ins Auge getroffen, glaube ich. Im Zentrum herrscht ein schlimmes Durcheinander. Zur Linken kann ich mehr sehen. Da sind wieder die beiden Jungen. Beim Löwen! Der eine ist Prinz Corin. Der andere gleicht ihm aufs Haar. Es ist euer kleiner Shasta. Corin kämpft wie ein Mann. Er hat einen Kalormenen getötet. Jetzt sehe ich ein bißchen von dem, was im Zentrum passiert. Fast wären Rabadash und Edmund aufeinandergestoßen, doch sie wurden auseinandergedrängt!“
„Was macht Shasta?“ fragte Aravis.
„Oh, dieser Narr!“ stöhnte der Einsiedler. „Armer, mutiger kleiner Narr. Er ist dieser Schlacht überhaupt nicht gewachsen. Er benutzt seinen Schild nicht. Von der Seite her ist er völlig ungeschützt. Er hat nicht die geringste Ahnung, was er mit seinem Schwert anfangen soll. Oh, jetzt ist es ihm wieder eingefallen. Er fuchtelt wild damit in der Gegend herum ... er hat seinem Pony fast den Kopf abgeschlagen, und wenn er nicht aufpaßt, wird ihm das demnächst auch gelingen. Jetzt hat man ihm das Schwert aus der Hand geschlagen. Duck dich, du Narr – oh, er ist zu Boden gegangen.“
„Ist er tot?“ fragten drei atemlose Stimmen.
„Woher soll ich das wissen?“ sagte der Einsiedler. „Die Katzen haben das Ihre geschafft. Alle reiterlosen Pferde sind inzwischen tot oder davongerannt: die werden den Kalormenen beim Rückzug fehlen. Jetzt wenden sich die Katzen wieder der eigentlichen Schlacht zu. Sie springen die Männer am Rammbock an. Jetzt haben die Kalormenen den Rammbock fallen gelassen. Oh, gut! Gut! Die Tore öffnen sich von innen: man will wohl einen Ausfall versuchen. Drei haben es schon geschafft. Es ist König Lune mit seinen Brüdern Dar und Darrin. Hinter ihnen kommen Tran und Shar und Cole mit seinem Bruder Colin. Jetzt sind schon zehn – zwanzig – nein, fast dreißig draußen. Die Kalormenen werden zu ihnen zurückgedrängt. König Edmund verteilt phantastische Hiebe. Unzählige Kalormenen haben ihre Waffen weggeworfen und rennen auf die Wälder zu. Diejenigen, die zurückgeblieben sind, haben einen schweren Stand. Von rechts schließen die Riesen auf – von links die Katzen – von hinten König Lune. Sie haben die Kalormenen in die Zange genommen, und diese kämpfen Rücken an Rücken. Dein Tarkaan ist zu Boden gegangen, Bree. Lune und Azrooh kämpfen Mann gegen Mann; es sieht aus, als könne der König siegen – der König hält sich gut – er hat gewonnen. Azrooh ist gefallen. König Edmund ist auch zu Boden gegangen – nein, er steht wieder. Er kämpft genau im Toreingang gegen Rabadash. Einige Kalormenen haben sich ergeben. Darrin hat Ilgamuth getötet. Ich kann nicht sehen, was mit Rabadash geschehen ist. Ich glaube, er ist tot. Er lehnt an der Schloßmauer, aber genau weiß ich es nicht. Chlamash und König Edmund kämpfen noch, aber ansonsten ist die Schlacht vorüber. Chlamash hat sich ergeben. Die Schlacht ist tatsächlich vorüber. Die Kalormenen sind geschlagen.“
Als Shasta vom Pferd fiel, war er sicher, sein letztes Stündchen habe geschlagen. Nachdem etwa zehn schreckliche Minuten vergangen waren, wurde Shasta plötzlich klar, daß in seiner unmittelbaren Umgebung keine Pferde mehr herumstampften. Shasta setzte sich auf und schaute sich um. Nach allem, was er sah, konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß die Archenländer und die Narnianen die Schlacht gewonnen hatten. Die Kalormenen, die noch am Leben waren, hatte man gefangengenommen, die Schloßtore standen weit offen, und König Lune und König Edmund schüttelten sich gerade über den Rammbock hinweg die Hände. Die Lords und die Krieger, die im Kreis um die beiden herumstanden, unterhielten sich atemlos und erregt, aber voller Freude. Plötzlich brachen alle in schallendes Gelächter aus.
Shasta tat alles weh, aber er stand auf und rannte hinüber, weil er sehen wollte, worüber sie lachten. Und da sah er etwas ungeheuer Komisches. Der unglückliche Rabadash schien an der Schloßmauer zu hängen. Er zappelte wild mit den Beinen, die etwa zwei Fuß über der Erde hingen. Folgendes war passiert. Einer der Riesen hatte mit seinem eisenbeschlagenen Stiefel Rabadash einen Tritt versetzt. Er hatte ihn jedoch knapp verfehlt und nur mit der Stiefelspitze Rabadash Kettenhemd zerrissen. Als Rabadash später im Toreingang auf König Edmund stieß und Edmund ihn nun mehr und mehr zur Wand zurückdrängte, sprang Rabadash auf einen Steinblock, von wo er Schläge auf Edmund herunterregnen ließ. Doch als er dann feststellte, daß er in dieser Position hoch über allen anderen eine ausgezeichnete Zielscheibe für jeden Pfeil bot, der von den narnianischen Bogen abgeschossen wurde, entschloß er sich, wieder herunterzuspringen. Er setzte zum Sprung an und rief: „Der Donnerkeil Tashs fährt auf euch herab!“ Aber sein aufgerissenes Kettenhemd verfing sich an einem Haken in der Mauer, der einmal dazu gedient hatte, Pferde festzubinden. An diesem Haken hing er nun wie ein Wäschestück auf der Leine, und alle lachten ihn aus.
„Laß mich herab, Edmund!“ heulte Rabadash. „Laß mich herunter und kämpfe mit mir! Oder töte mich auf der Stelle, wenn du dazu zu feige bist.“
„Aber gewiß doch“, sagte König Edmund. Doch König Lune unterbrach ihn.
„Mit der Erlaubnis Eurer Majestät“, wandte sich König Lune an Edmund, „aber das sollten wir nicht tun.“ Dann drehte er sich zu Rabadash und sagte: „Wenn Ihr dieses Ansinnen vor einer Woche gestellt hättet, königliche Hoheit, dann hätte es vom König bis zur kleinsten sprechenden Maus keiner abgelehnt. Aber durch Euren Angriff auf Schloß Anvard zu Friedenszeiten und ohne jegliche Herausforderung habt Ihr Euch nicht als Ritter, sondern als Verräter gezeigt, dem es eher gebührt, dem Henker überantwortet zu werden, als mit einem Ehrenmann einen Schwertkampf auszufechten. Holt ihn herunter, bindet ihn, und bringt ihn hinein, bis wir uns entschlossen haben, was wir mit ihm tun wollen.“
Starke Hände entwanden Rabadash das Schwert, und dann trug man ihn ins Schloß. Er schrie, drohte, fluchte und weinte sogar.
In diesem Augenblick kam Corin angerannt, packte Shasta an der Hand und zerrte ihn zu König Lune. „Da ist er, Vater, da ist er!“ rief Corin.
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