Paul Rosenhayn - Der Ritt in die Sonne

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Berlin in Zeiten der Depression der 1920er Jahre. Auf einer Bank im Berliner Tiergarten treffen sich drei abgerissene, obdach- und arbeitslose Gesellen: Fritz Jacobsen, Jonny Reimers und Hans Hieronimy. Des Lebens überdrüssig und ohne alle Hoffnung, beschließen sie, ihren kläglichen Existenzen mit einem Sprung in den Landwehrkanal ein Ende zu machen. Doch Fritz Jacobsen hat eine andere Idee: Nebenan befindet sich die Villa eines reichen Millionärs. «Ich will euch einen Vorschlag machen. Ich werde hinaufgehen und Anzüge für uns holen. Ich werde einen Zettel zurücklassen. Darin verpflichten wir uns, die Anzüge innerhalb einer Woche zurückzubringen. In einer Woche müssen wir es geschafft haben. Bringen wir das nicht fertig, dann passen wir nicht in die Welt; dann sind wir reif für den Kanal.» Gesagt, getan; kaum hat Fritz die drei mit kostbaren, vornehmen Anzügen ausgestattet, geschieht auch schon das Unglaubliche: Eine teure Limousine hält neben ihnen, und sie werden gebeten einzusteigen. Glaubt der Fahrer doch, im armen Fritz Jacobsen den Millionärssohn Cornelius Vandergult zu erkennen. Eine turbulente Zeit beginnt: Plötzlich finden sie sich bei teuren Speisen und Zigarren im Hotel Adlon wieder, und gerade als sie glauben, der Schwindel fliege nun auf, weil sie für ihre Prassereien nicht zahlen können, taucht ein Bankier auf, der mit Vandergult seine Geschäfte machen will, und überreicht Fritz eine Million in bar … Während Hans Hieronimy das neue Leben zu Kopf steigt und er auf die schiefe Bahn gerät, beginnt für Fritz und Jonny ein abenteuerliches, schwelgerisches Leben in London und Paris. Plötzlich ist Fritz sogar in die reiche, schöne Dina d'Orsay verlobt und beginnt sie auch wirklich zu lieben. Allein: Intrigen holen sie ein, der Schwindel fliegt auf, und es zeigt sich, was Liebe wert ist … Doch dann wartet dieser überaus spannender, turbulenter und humorvoller Liebes-Schelmen-Hochstapler-Roman, der Haken schlägt wie ein Hase auf der Flucht und rasant ist wie ein italienischer Sportwagen, mit noch einer weiteren, letzten überraschenden Wendung auf … «Kleider machen Leute» einmal ganz anders – und äußerst amüsant!-

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Paul Rosenhayn

Der Ritt in die Sonne

Roman

Saga

Der Ritt in die Sonne

© 1926 Paul Rosenhayn

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711592632

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

I

Auf einer Bank im Tiergarten sassen drei junge Männer.

Regen troff nieder; Autos hasteten jenseits der kahlen Bäume vorüber.

Die drei sassen unbeweglich. Es war in der Nähe der Rousseau-Insel: zwischen dem Neuen See und den Renaissance-Häusern um die Gegend der Hitzigstrasse.

Die drei hatten manches Gemeinsame. Keiner von ihnen besass einen Schirm, keiner einen Paletot. Ihre Kragen waren defekt und ihre Schuhe zerrissen.

„Mit dem Adressenschreiben ist es auch nichts,“ sagte der eine. „Denn seht mal, man braucht dazu eine warme Stube. Oder auch, das kommt ja vor, man kann die Arbeit bei jemandem im Bureau machen. Das ist alles ganz schön. Aber seid ihr mal irgendwo gewesen, wo Adressenschreiberei zu vergeben war?“

Der zweite winkte mit der Hand, an der der Rest eines fabelhaften Handschuhs prunkte. „Ob ich da war! Einmal? Hundertmal. Schlange gestanden. Als ich oben war, war die Arbeit vergeben.“

„Ich bin ein Hamburger Fahrensmann,“ sagte der dritte. „Aber jetzt, um diese Zeit — die meisten Kasten liegen im Dock. Vor sechs Wochen habe ich abgemunstert.“

„Abgemustert,“ verbesserte ihn der Adressenschreiber.

„Heute werde ich mal sehen, ob ich in der ‚Palme‘ unterkomme.“

„Geben Sie diesen Versuch von vornherein auf,“ sagte der erste mit einem halben Blick auf seinen Nachbar. Er zog einen kleinen Spiegel, der keinen Rand besass, aus der Tasche, und indem er aufmerksam hineinblickte, versuchte er unter Zuhilfenahme von etwas Spucke seinem Kragen den trügerischen Glanz der Sauberkeit zu verleihen. „Es ist überfüllt im Asyl für Obdachlose, jede Nacht überfüllt. Und wenn Sie schon wirklich hineinkommen, was haben Sie dann? Man plündert Sie vollends aus.“

„Gut,“ sagte der dritte. „Gut. Es ist ja schliesslich egal. Nicht wahr? Ein bisschen früher oder ein bisschen später, das macht wenig Unterschied.“ Er warf einen Blick in die Runde und sagte mit tiefer Stimme, so, als ob er einen wichtigen Entschluss gefasst hätte:

„Dann werde ich heute abend einen Spaziergang nach dem Landwehrkanal machen, von dem ich wohl nicht mehr zurückkehren werde.“

Der zweite nickte. „Das ist eine gute Idee. Wenn Sie erlauben, komme ich mit.“ Und indem er sich seinem Nebenmann zuwandte, fragte er leise:

„Und du?“

Dieser hob eben eine verrostete Musterklammer vom Boden auf. „Welch ein ausgezeichneter Kragenknopf!“

„Und du? Oder, nichts für ungut: und Sie? Wollen Sie dieses gottverdammte Leben weiterführen?“

Der Gefragte liess den Kragenknopf mit einer hilflosen Gebärde fallen. „Ich hab’ ein Mädel ...“

„So so. Ein Mädel!“ mischte sich der dritte ins Gespräch. Er kniff die Augen zusammen wie ein gestrenger Examinator. „Schickt sie dir Wurst? Geld? Brot?“

„Nein.“

„Also worauf wartest du?“

„Man hofft,“ sagte jener leise. „Ich bin doch noch so jung ...“

„Du siehst am reduziertesten von uns allen aus. Glaube mir, mein Junge, ich kenne das: wenn erst mal die Schale zum Teufel ist, dann ist es aus. Jeder Schutzmann fühlt sich berechtigt, dir einen Tritt zu geben. Also mach’ keine Geschichten — in acht Tagen bist du doch so weit. Das geb ich dir schriftlich. Wozu die lange Quälerei? Je schneller daran, je schneller davon. Ich hab’ noch ein paar Groschen. Wir besaufen uns. Und dann ...“

„Ja.“

„Sieh mal, dort drüben, wo die Sonne untergeht! Siehst du die lange Baumreihe?“

„Ja.“

„Dort ist die Ruhe, mein Junge. Dort drüben, schau mal genau hin, dort ist der Kanal.“

Und ermunternd sagte der zweite: „Warum soll man noch länger warten? Ein paar Minuten Angst und Würgen. Na ja, das geht auch vorüber. Und dann — dann ist es aus mit dem verfluchten Elend. Bedenk’ mal, was das heisst: keinen Hunger mehr! Du brauchst nicht die Nächte in Regen und Kälte auf ’ner Bank zu schlafen. Was sag’ ich, zu schlafen — zu zittern. Keine Sorge mehr um morgen. Niemand, der uns hetzt. Keiner, der sich so ein armseliges Vergnügen daraus macht, dir zu antworten: für Sie habe ich keine Arbeit. Also komm, hörst du?“

Die drei standen auf.

„Ich heisse Fritz Jacobsen,“ sagte der erste.

Wie über einen guten Witz lachten die beiden andern.

Der zweite nannte seinen Namen: „Jonny Reimers.“

Und auch der dritte stellte sich vor: „Hans Hieronimy.“ Wobei man ihm ansah, dass er die Notwendigkeit eines solchen Zeremoniells durchaus nicht einsah.

„Man will doch wissen,“ sagte Jacobsen, „mit wem man zusammen beerdigt wird.“

Die drei gingen durch die aufgeweichten Wege, in denen Laub des Sommers gelb und modernd lag. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, aber die Luft war erfüllt von grauer Feuchtigkeit, die, halb Dunst, halb Nebel, alle Dinge in ihre beklemmende Farbe hüllte.

„Wie Busstag,“ sagte Reimers.

„Da freut man sich eben auf einen ‚Klaren‘.“ Hieronimy zeigte hinüber.

Die Budike war erfüllt von Lärm und von Geruch. Der Seemann schien hier nicht fremd zu sein. Der Schnaps lief den dreien durch den Hals wie rinnendes Feuer.

„So,“ sagte Hieronimy. Seine einfache und energische Art hatte etwas Mitreissendes; der letzte Gang schien ihm eine Handlung der Disziplin zu sein wie jede andere.

Langsam gingen die drei quer über den Asphalt, in den Tiergarten zurück. Hieronimy stapfte gleichmütig, sichtlich von keinen Bedenken beschwert, dem Ziel zu; aber die Schritte der beiden andern verloren ihre Zuversichtlichkeit, und ihre Augen wichen sich aus.

Plötzlich blieb Fritz Jacobsen stehen. Er legte die Hände an die Schläfen und sagte laut und entschlossen:

„Nein!“

Eben glitt ein offenes Auto an den dreien vorüber. Darin sass ein Herr im Pelzmantel, an seiner Seite eine elegante Halbweltdame. Die beiden schauten die drei Vagabunden mit der völlig verständnislosen Neugier an, mit der man etwa ein Tier im Käfig betrachtet.

„Das könnt’ dir wohl so passen!“ Der Seemann grinste: „Ein Auto und eine Villa. Und eine Freundin vom Ballett. Ich glaub’s schon!“

„Ich tu’s nicht.“

„Dann lass es bleiben. Dann gehen wir allein. Komm, Reimers!“

„Ihr sollt es auch nicht tun.“

„Was stierst du bloss immer hinter dem Auto hèr? Bist du denn ein Kind, dass du meinst: wenn ich so was sehe, dann muss ich’s haben? Mein lieber Junge, lüg dir doch nichts vor. Die Welt ist schön für die Reichen. Die anderen können sich aufhängen. Oder in den Kanal gehen. Oder sich totschiessen — die Wahl wird ihnen gnädig überlassen.“

„Was zum Teufel ist denn für ein Unterschied zwischen uns und denen? Das bisschen Kleidung? Du lieber Gott!“

„Wenn man null Pfennige in der Tasche hat,“ sagte Reimers, „dann ist dieser Unterschied verdammt gross. Also komm!“

„Passt mal auf!“ Jacobsen wies hinüber nach den Häusern. „Seht ihr die weisse Villa dort drüben?“

„Natürlich sehen wir die. Wir sind ja nicht blöd’.“

„Dort wohnt ein reicher Millionär.“

„Millionäre sind gewöhnlich reich.“

„Ein Millionär. Der ist nicht bloss Millionär, sondern auch verreist.“

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