„Ich habe hier im Hause eine Bar gesehen. Mit zwei Reihen Flaschen, weisst du? Und einen Mixer und solche Sachen. Wenn wir eine Stunde in dieser Bar gesessen und ein bisschen herumprobiert haben, werden uns die Dinge viel einfacher erscheinen.“
„Das ist eine gute Idee.“
Während sie die Treppe heruntergingen, bemerkte Jonny schüchtern: „Ich möchte Hieronimy holen.“
„Der hat uns doch im Stich gelassen.“
„Er hat’s eben mit der Angst gekriegt. Das kann man ihm schliesslich nicht übelnehmen.“
„Weisst du denn, wo er ist?“
„Ja“
„Also geh’ schon und hol’ ihn.“ — — —
Der Mixer kam mit der Karte. „Vielleicht einen Martini?“
„Einen Martini.“
Vandergult hatte kaum das Stückchen Zitronenschale vom Glasrand entfernt, als neuer Besuch erschien: Herr Oskar Richwald, der Filmdirektor, begleitet von Bianca Bell.
„Grüss Gott. Hier sind meine Verträge. Mit Gaumont-Paris und hier: mit Laemmle-New York. Die ganze Produktion abgeschlossen. Und nun, klipp und klar, wollen Sie sich beteiligen?“
„Wieviel brauchen Sie?“ sagte Vandergult vornehm.
„Fünfzigtausend Dollars.“
„Gut. Ich beteilige mich.“
„Famos,“ sagte Herr Richwald erfreut. „Das ist ein Wort. Wie sagtest du, Bianca?“
„Ich sagte nichts.“
„Was glauben Sie, was für ein Relief uns das gibt: das Haus Vandergult als Kommanditist meiner Filmfabrik!“
„Das wäre mir weniger erwünscht, Herr Richwald,“ sagte Vandergult erschrocken. „Im Gegenteil, ich muss Sie bitten, die Tatsache meiner Beteiligung diskret zu behandeln.“
Herr Richwald machte ein völlig verständnisloses Gesicht.
„Ich liebe es nicht, in der Öffentlichkeit genannt zu werden,“ fügte Vandergult erklärend hinzu.
Herr Richwald zog eine Zeitung. „Aber Ihr Name steht doch fettgedruckt als Äberschrift im Abendblatt.“
„Um Gottes willen!“
Herr Richwald lächelte bewundernd. „Wahrer Reichtum ist doch immer bescheiden.“
„Was steht denn in der Zeitung über mich?“ erkundigte sich Vandergult.
„Nun: die Redaktion meldet, dass es dem Bankhaus J. C. Rothermel gelungen ist, eine Interessengemeinschaft mit dem Haus Cornelius Vandergult in New York einzugehen. Die Meldung macht natürlich grosses Aufsehen. Das bedeutet für dieses unscheinbare Bankhaus“ — Herr Richwald konnte sich nicht enthalten, ein wenig vorwurfsvoll dreinzublicken — „natürlich einen Aufstieg zu ungeahnten Höhen.“
„Soso,“ murmelte Vandergult. „Zu ungeahnten Höhen.“
Eben kamen Reimers und Hieronimy. Reimers hielt das Blatt in der Hand und deutete verstohlen auf die fettgedruckte Äberschrift; ebenso verstohlen nickte Vandergult ihm zu, zum Zeichen, dass er bereits wisse. „Und nun müssen Sie mich entschuldigen, Herr Richwald, ich habe mit diesen Herren noch zu sprechen.“
„Das ist schade,“ bedauerte der Filmdirektor. „Es ist hier so behaglich; wir hätten eigentlich ... Wie sagtest du, Bianca?“
„Ich sagte nichts.“
Aber der glühende Blick, der Herrn Vandergult traf, als Bianca mit ihrem Gatten an ihm vorüberrauschte, liess erkennen, dass sie, wenn auch vielleicht nichts gesagt, so doch zum mindesten allerhand gedacht hatte.
„Dein Name steht mitten über der Zeitung.“
„Ich weiss schon.“
„Du, das ist gefährlich.“
Hieronimy mischte sich ins Gespräch. „Ich hab’ im Vorbeigehen den Portier nach den Zügen gefragt: London Punkt 9 Uhr vom Bahnhof Friedrichstrasse. Paris 11 Uhr 22 Minuten vom Anhalter Bahnhof.“
„Also London,“ entschied Vandergult. „Ich möchte zahlen.“
„Die Anzüge,“ erinnerte Reimers.
„Richtig. Wir werden uns in London neue kaufen und sie zurückschicken. Oder noch einfacher, wir gehen jetzt in irgendeinen Laden in der Friedrichstrasse und equipieren uns. Das Geschäft kann dann die Rücksendung ...“
„Am einfachsten ist es, wir schmeissen die Anzüge ins Wasser,“ riet Hieronimy.
Aber die beiden andern stimmten für gewissenhafte Erfüllung des Paktes.
Neunzehn Pferde lagen im Endspurt. In Epsom, dem klassischen Rennplatz Englands. Neunzehn Pferde; und der Favorit hiess „Minnehaha“.
Die Stute „Minnehaha“ gehörte dem Stall Vandergult.
Die drei sassen atemlos, erdrückt von der vieltausendköpfigen Menge, mitgerissen in den Rhythmus des ungeheuren Ringens. Sie schrien mit. Sie tobten mit. Sie fuchtelten mit. Am meisten schrie, tobte und fuchtelte Fritz Jacobsen. Denn, so ist der Mensch, er hatte sich völlig in die Vorstellung hineingelebt, Vandergult zu sein — und der Besitzer dieser Stute „Minnehaha“ zu sein.
Richtig: „Minnehaha“ siegte.
Während das Johlen und Toben und Trampeln wie eine irrsinnige Sinfonie zum Himmel stieg, wand sich ein Boy mit der Mütze „Cecil Hotel“ durch die Gruppen. Er hielt ein kleines Kuvert in der Hand: ein Telegramm. Und er rief unausgesetzt irgend etwas, was im allgemeinen Toben völlig verloren ging.
Dann, als das Geschrei ein wenig abflaute — sozusagen in einer akustischen Lücke, die plötzlich entstand — vernahm man deutlich, was der Junge schrie:
„Ein Telegramm für Mr. Vandergult!“
Fritz Jacobsen stand auf und winkte mit der Hand. A tempo hatte ihn der smarte Junge erkannt: „Hier, Mr. Vandergult, ein Telegramm für Sie!“
Das war das Signal für dreihundert bis fünfhundert Menschen, wie auf ein Kommando die Köpfe zu Jacobsen herumzuwenden. Der Name raunte sich fort durch die Reihen, flüsterte sich weiter von Bank zu Bank — zweitausend — fünftausend — achttausend Menschen starrten zu Fritz Jacobsen hinüber.
Eben wurde die Stute „Minnehaha“ zur Wage geführt. Da flogen, man hörte förmlich das Rauschen dieser einen einzigen vertausendfachten Bewegung — also in diesem Augenblick flogen unzählbare Hüte von den Köpfen, und der Ruf gellte über die Rennbahn von Epsom:
„Three Cheers for Cornelius Vandergult!“
Hieronimy und Reimers schnellten entsetzt von ihren Plätzen: Jacobsen nahm den Hut ab und erhob sich blutübergossenen Gesichts. Er öffnete den Mund, vielleicht in der ehrlichen Absicht, die Situation aufzuklären; aber nicht einmal Reimers und Hieronimy vermochten auch nur ein Wort zu verstehen. Denn das allgemeine Gebrüll hatte in verstärktem Masse wieder eingesetzt.
Dann, niemand vermochte zu sagen, auf wessen Geheiss, begann die Menge zu „Vandergults“ Standort vorzufluten. Barrieren krachten, ein paar verzweifelte Policemen versuchten sich der Strömung entgegenzuwerfen; aber sie waren wie jene kleinen Weidenzweige, die man warnend an seichte Stellen pflanzt: die Wogen rasten um sie herum, und nur durch kluges Biegen vermochten sie dem Umgerissenwerden zu entgehen. Und dann hatten die ersten Spritzer der Flut den Sattelplatz erreicht.
Wieder erschien ein tausendstimmiges „Cheer“; dann drangen ein paar beherzte Männer über die Barriere und nahmen Fritz Jacobsen alias Cornelius Vandergult auf die Schultern.
Nun war der Gipfel des allgemeinen Entzückens erreicht. Jacobsen lachte, sträubte sich, versuchte eine Ansprache oder dergleichen; aber nichts hatte Erfolg, nichts drang durch. Ja, er hatte das deutliche Gefühl, dass man jede seiner Gesten falsch verstand.
Es half nichts. Er musste mitmachen, wohl oder übel. Reimers und Hieronimy versuchten sich zu drücken; aber schon hatte Jacobsen ihren Fluchtversuch bemerkt, und sein beruhigendes Winken versöhnte sie mit der aufregenden und vielleicht nicht ganz gefahrlosen Situation.
„Wenn hier ein Pferd aus dem Stalle Vandergult gelaufen ist,“ sagte Hieronimy, „dann müssen doch Leute da sein, Stallmeister oder so was, die Vandergult kennen. Also läuft er jede Minute Gefahr, entlarvt zu werden.“
„Bei diesem entsetzlichen Tumult versteht man sein eigenes Wort nicht,“ lachte Reimers, „wie sollte es da der Stallmeister fertigbringen, sich bemerkbar zu machen?“
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