Paul Rosenhayn - Der Mann, den niemand sah - Thriller

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Ein mitreißender Thriller aus dem frühen 20. Jahrhundert, der in seiner Spannkraft an die Thriller Sebastian Fitzeks erinnert: Nach einem Konzert in Kopenhagen folgt der gefeierte Musiker Peter van Diemen der jungen Karin Nansen, in die er sich verguckt hat, bis zu ihrem Haus. Doch deren Verlobter Holger Werling sieht das gar nicht gern. Nach einer Handgreiflichkeit folgt Holger dem Musiker ins Hotel. Als Karin dort ankommt, um ihren Verlobten zu bremsen, ist Peter bereits tot. Aber das war erst der Anfang, wie sich schnell zeigen soll… -

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Paul Rosenhayn

Der Mann, den niemand sah - Thriller

ILLUSTRATIONEN VON MICHAEL BIRÖ

Saga

Der Mann, den niemand sah - Thriller Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1920, 2020 Paul Rosenhayn und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726629392

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Die Geschichte eines rätselhaften Mordes

Paul Rosenhayns prachtvoller Roman, einer der besten und neuartigsten Detektivromane, ist mit vollendeter Kunst auf eine mysteriöse Mordaffäre aufgebaut. Die Frage, wer den Mord beging, ist hier nicht das unbekannte X eines ausgeklügelten Rechenexempels, wie in den herkömmlichen Detektivromanen, von denen sich Rosenhayns Buch übrigens auch darin unterscheidet, daß die Lösung, anstatt von einem, dem unsterblichen Holmes nachgebildeten Berufskombinator, von einem ebenso reizenden wie scharfsinnigen Mädchen herbeigeführt wird. Das Kriminalproblem ist ins Psychologische vertieft und die Handlung gewinnt an menschlichem Gehalt, ohne an Interesse zu verlieren.

1.

Die letzten Töne des Allegro moderato von Vieuxtemps zitterten durch den Saal.

Schon bei seinem Auftreten hatte ein begeistertes Händeklatschen dem verwöhnten Meister ein neues Zeichen seiner unerhörten Beliebtheit gegeben, und die seltsam schwüle Stimmung, die über seinem Vortrag lag, hatte sich im Laufe des Abends mehr und mehr verdichtet. Eine gleitende Welle schmeichelnder Erregung wogte und ebbte durch die Lauschenden, und aus flimmernden Blicken und verhaltenen Gesten wob sich ein fühlbarer Kontakt zwischen Podium und Zuhörerraum.

Peter van Diemen hatte geendet. Irgendwo, in einem fernen Winkel, regten sich schüchtern ein paar Hände — zögernd wie in andächtiger Scheu fielen andere ein — und eine Sekunde später brauste ein ohrenbetäubender Beifall durch den Saal.

Karin Nansen erwachte wie aus einem Traum. Sie blickte verwirrt um sich und wie eine ertappte Sünderin auf das blasse Gesicht ihrer Mutter — dann glitten ihre Augen nach rechts hinüber. Dort saß ihr Verlobter, der eifrig in den jubelnden Beifall einstimmte. Ihr Blick irrte zögernd zum Podium. Blumen flogen klatschend auf das Holz nieder. Sie zuckte zusammen. Peter van Diemen wandte langsam den dunklen Kopf, dessen scharfgemeißelte Züge sie in diesem Moment mehr als je an eine antike Statue gemahnten, und plötzlich glitt wieder ein Blick aus dem Auge des Meisters herüber in ihre Loge.

Es war kein Zweifel: er hatte sie bemerkt. Mehr als das — er war auf sie aufmerksam geworden. Das lächelnde Glimmen in seinen Augen, die sich wie in nachdenklichem Zögern langsam von ihr lösten, sagte es ihr. Sie hob wie unter einem Zwang die Hände, die nachlässig in ihrem Schoß ruhten. In diesem Augenblick wandte sich Holger Werling zu ihr herum. „Ich weiß nicht,“ sagte er mit einem tiefen Aufatmen, „ich fühle mich wie in einer Kirche.“ Sie nickte mechanisch, dann erhob sie sich.

Ein Scharren von Füßen entstand. Die große Pause hatte eingesetzt. Man drängte ins Foyer.

Karin erschien, zwischen ihrer Mutter und ihrem Verlobten gehend, als eine der letzten. Hie und da grüßte ein Bekannter: Holger Werling blieb einen Augenblick stehen, um ein paar Worte zu tauschen — meist Komplimente, die seiner jungen, schönen Braut galten — Karin hörte lächelnd mit ihrem seltsam abwesenden Gesicht die schmeichelnden Worte, die wie rieselndes Wasser an ihren Ohren vorüberglitten, deren Sinn sie mehr mit dem Gefühl als mit dem Verstand erfaßte.

Sie erkannte sich selbst nicht mehr. Ihre kluge und kühle Art, die Dinge und die Menschen zu betrachten, war von ihr abgefallen — fortgeweht wie ein dünner zweckloser Schleier — nun bebte eine tiefe melancholische Erregung in ihr, über die sich ihr scharfer Verstand vergebens Rechenschaft zu geben suchte.

Irgendwo ging eine Tür. Ein flüsterndes Raunen zitterte durch die Versammelten. Unterdrückte Ausrufe schwirrten herüber. Köpfe wandten sich: Peter van Diemen erschien. Er ging mit ruhigen, sicheren Schritten durch den schmalen Weg, der sich vor ihm bahnte. Man sah ihm an, daß er gewohnt war, der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit zu sein. Grüßende Zurufe klangen: er nickt ein paarmal mit einer kurzen, leichten Verbeugung, die etwas unendlich Hochmütiges hatte: seine Lippen blieben fest geschlossen. Er hob kaum seine Augen, die kühl und sachlich geradeaus blickten.

Karin hatte den Kopf halb gewandt und sah ihm aus den Augenwinkeln entgegen. Ein Schwirren und Rauschen war um sie her: sie mußte an das Brausen des Meeres denken, dessen rhythmisches Auf und Ab vor ihren Ohren zu schwellen schien.

Plötzlich ging es wie ein siedender Schlag durch ihre Adern: Peter van Diemen hatte ihr ins Gesicht gesehen. Ganz deutlich. Es war kein Zweifel. Sie wandte mit einem Ruck den Kopf: sie fühlte plötzlich, daß ihre Füße schwer und unbeweglich waren, aber mit einem tiefen Aufatmen riß sie sich aus diesem unbegreiflichen Bann und setzte ihren Weg fort. Holger sah sie ein wenig erstaunt an.

„Hast du ihn nicht gesehen?“ fragte er harmlos lächelnd wie immer.

Sie schrak zusammen. Dann, in einer instinktiven Heuchelei, drehte sie sich wie erstaunt und fragend um. Dort ging er. Und plötzlich war wieder das unbegreifliche, heiße Gefühl in ihren Adern. Er wandte sich um, und wieder suchten seine Augen die ihrigen.

„Es ist das Bureau“, erläuterte Holger. Sie zuckte die Achseln und sah ihn fragend an.

„Das Bureau des Konzerthauses“, wiederholte er. „Sieh nur, wie sie alle auf die Tür starren. Ich wette, diese jungen Damen, die nach einem freundlichen Lächeln nach ihm haschen, glauben jetzt wunder, was für unerhörte künstlerische Dinge in jenem Zimmer vor sich gehen mögen. Und dabei wird es die einfachste und banalste Sache von der Welt sein. Irgendeine geschäftliche Angelegenheit — ein Vertragsabschluß oder etwas Ähnliches.“

Der zweite Teil des Konzertes war verhältnismäßig kurz: die Zigeunerweisen von Sarasate, ein paar schwermütige Lieder von Chaminade und zum Schluß Chopins Nocturno in Des-Dur.

„Er muß sich beeilen,“ flüsterte Holger ihr zu, „er fährt noch heute nachts nach dem Süden.“

Sie horchte auf und wunderte sich selbst über den kühlen, gelangweilten Ton, in dem sie ihm zu antworten vermochte: „Woher weißt du das?“

„Ich hörte es von einem Bekannten. Der Portier im Rhodesia-Hotel hat vom Impresario Anweisung bekommen, die Rechnung bereitzuhalten.“

Die herbstliche Abschiedsstimmung, die über dem Saale lag, schluchzte durch die Töne des Nocturnos, das van Diemen mit Absicht gewählt haben mochte. Hier und da schimmerte ein Batisttüchlein — und auch Karin glitt unmerklich in ein seltsam wehmütiges Gefühl, das sie nie an sich gekannt batte. Was ging sie im Grunde jener Mann an! Sie hörte ihn zum zweitenmal in ihrem Leben: sie hatte nichts mit ihm gemein. Seine Existenz und seine Lebensführung lagen abseits von der ihrigen. In ihrem streng gehüteten Bürgerhause hatte man wenig Verständis und wenig Interesse für reisende Virtuosen. Es war etwas in ihrem gefestigten bürgerlichen Gefühl, das gegen diesen Mann dort oben sprach. Man hatte ihr von wilden und unbegreiflichen Liebesabenteuern erzählt, deren Held er gewesen war. Der Name einer jungen, schönen Prinzessin spielte eine Rolle darin. Er war sichtlich ein Mensch, der auf der Oberfläche der Dinge schwamm, dem der kräuselnde Schaum des Lebens ein angenehmer Sinnenkitzel sein mochte. Seine Unstetheit, sein Wanderleben waren ihr im letzten Grunde unverständlich und antipathisch. „Ein frivoler Genießer, nichts weiter“, und sie sah ihn fest und kühl an.

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