Er sagte: »Würden Sie den Anzug an einem sicheren Ort verwahren? Einem Ort, wo niemand ihn finden kann?«
»Ich wollte ihn in den Kleiderschrank hinter meine Sachen hängen«, sagte sie. »Ist Ihnen das recht?«
»Einstweilen«, sagte er, »möchte ich nicht, daß ihn außer Ihnen jemand zu sehen bekommt.«
Sie versteckte den Anzug hinter ihren Sommerkleidern. Seine Augen folgten jeder ihrer Bewegungen. Sie kam zurück und fragte: »Möchten Sie jetzt etwas essen?«
»Am Morgen, danke.« Seine Hand berührte flüchtig die ihre. »Wie heißen Sie?«
»Kathryn. Kathryn Mason.«
Seinen Namen nannte er nicht, und sie brachte es nicht über sich, ihn danach zu fragen.
»Kann ich Ihnen vertrauen, Kathryn?«
»In welcher Weise?«
»Daß Sie meine Anwesenheit hier geheimhalten.«
Sie lachte nervös auf. »Ich habe keine Lust, der Nachbarschaft einen Skandal zu liefern. Niemand wird Sie hier finden.«
»Ausgezeichnet.«
»Ich werde Ihnen jetzt die Bettpfanne holen.«
Sie verspürte eine gewisse Erleichterung, aus seiner Gegenwart zu entkommen. Er ängstigte sie, und ihre Angst wuchs mit den verstreichenden Minuten, statt nachzulassen. Seine unerschütterliche Ruhe war am unheimlichsten von allem. Er schien unwirklich zu sein, synthetisch. Alles an ihm wirkte unecht, von seinem zu hübschen Gesicht bis zu seiner zu glatten Stimme mit ihrer zu reinen, akzentlosen Aussprache. Und daß er innerhalb von fünfzehn Minuten aus bewußtlosem Delirium zu beherrschter Vernunft aufgestiegen war, brachte sie vollends aus der Fassung.
Kathryn zitterte. Sie zog die Bettpfanne aus dem Küchenschrank und spülte sie unter der Wasserleitung ab.
Da war ein fremder Mann in ihren vier Wänden, und das war beunruhigend.
Da war ein fremder Mann in ihrem Haus, der möglicherweise kein Mensch war, und das war noch viel beunruhigender.
Sie kehrte ins Schlafzimmer zurück, und er lächelte, als sie ihm die Bettpfanne unter die Decke schob. In einem Versuch, ihre alte klinische Objektivität wiederzugewinnen, sagte sie: »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
»Sie könnten mir ein paar Auskünfte geben.«
»Selbstverständlich.«
»Gab es heute abend im Radio oder im Fernsehen irgendeine ungewöhnliche Meldung?«
»Über den Meteor«, sagte sie. »Ich habe ihn selbst gesehen. Ein großer Feuerball, der über den Himmel zog.«
»Es war also ein Meteor?«
»Das sagten sie in den Nachrichtensendungen.«
Er dachte darüber nach. Sie wartete und hoffte auf eine Enthüllung, auf das Eingeständnis seiner Herkunft. Aber er verriet nichts und sah sie nur schweigend an.
»Soll ich das Licht ausschalten?« fragte sie.
Er nickte.
Sie löschte das Licht. Erst jetzt wurde ihr klar, daß sie keine Schlafgelegenheit hatte. Er lag im Bett, und sie konnte schwerlich zu ihm hineinsteigen.
Sie legte sich mit angezogenen Beinen auf die Wohnzimmercouch. Aber sie konnte kein Auge zutun, und als sie gegen Morgen ins Schlafzimmer ging, sah sie, daß auch er die Augen offen hatte. Sein Gesicht war von Schmerzen gezeichnet.
»Glair?« fragte er.
»Kathryn. Was kann ich für Sie tun?«
»Halten Sie meine Hand in Ihrer«, flüsterte er, und sie tat es und setzte sich auf die Bettkante. So blieben sie bis zum Morgen.
Die spektakuläre Zerstörung des dirnaischen Beobachtungsschiffes wurde in dieser Nacht von vielen Augen gesehen, und nicht alle davon waren menschlich. In dem Augenblick, als der Fusionsgenerator explodierte, zog ein mit Kranazoi bemannter Aufklärer seine festgelegte Beobachtungsbahn über Montana ostwärts. Als die Bordinstrumente die Explosion registrierten und der Pilot kurz darauf mit eigenen Augen den sonnenhell aufglühenden Flugkörper erblickte, leitete er sofort die für solche Fälle vorgeschriebenen Maßnahmen ein.
Die genetische Bezeichnung des Piloten lautete 48-Codon-adf. Für den Zweck dieser Mission war sein eckiger, derbhäutiger Kranazoikörper, in dem er geboren war, mit einer Masse irdischen Fleisches umhüllt, die ihm ein gutmütiges, rundliches Aussehen verlieh, ein Aussehen, das mit seiner inneren Natur kaum übereinstimmte. Er teilte sein Schiff mit drei anderen Kranazoi, Mitgliedern seiner derzeitigen Paarungseinheit. Zwei von ihnen schliefen. Der dritte, dessen genetische Bezeichnung 51-Codon-bgt war, beschäftigte sich mit Datenanalysen, als die Explosion kam. Sie-es — das war ihre-seine doppelwertige Rolle in der Paarungseinheit — blickte sofort zu 48-Codon-adf auf und sagte: »Das dirnaische Schiff ist hochgegangen!«
»Ich weiß. Der Photonenschirm spielt verrückt.« 48-Codon-adf verfolgte die einlaufenden Meßdaten, während 51-Codon-bgt das verunglückte dirnaische Schiff nach den Kursangaben der Diensttabelle heraussuchte und identifizierte. Etwa zur gleichen Zeit entdeckte 48-Codon-adf, was zu entdecken er am meisten gefürchtet hatte. Drei Körper hatten das dirnaische Schiff verlassen und fielen erdwärts.
»Das ist wieder so ein Trick«, stieß er hervor. »Sie machen eine Landung. Drei von ihnen sind vor der Explosion ausgestiegen!«
»Bist du sicher, daß sie am Leben sind?« fragte 51-Codon-bgt.
Er blitzte sie-es an. »Ich sagte, daß sie vor der Explosion ausgestiegen sind. Das ist eine geplante Landung! Sie verletzen alle Verträge! Wir müssen ihnen nach und sie im Auge behalten, oder es gibt einen Mordsstunk!«
»Langsam, langsam. Wenn sie wirklich eine geplante Landung machen wollten, warum ließen sie dann ihr Schiff hochgehen? Dieser Blitz muß auf allen Ortungsgeräten zu sehen sein, den die Erdbewohner haben. Hättest du einen Landebefehl, würdest du ihn mit einem solchen Spektakel ausführen?«
48-Codon-adf lenkte ein. »Trotzdem, geplant oder nicht, sie sind gelandet.«
»Mit dem Kopf zuerst, möglicherweise.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Willst du es riskieren? Ich würde es nicht tun. Wenn wir dieses Ding verpfuschen, werden sie uns im Hauptquartier hirnbrennen. Wir müssen landen und diesen verdammten Dirnaern auf den Fersen bleiben und feststellen, was sie vorhaben!«
51-Codon-bgt machte ein entsetztes Gesicht. »Landen? Auf der Erde? Wir sind Beobachter!«
»Die Verträge erlauben eine Landung im Falle fragwürdigen Benehmens der anderen Seite. Wenn ein paar Kranazoi in dieser Weise über der Erde absprängen, würden die Dirnaer einen ganzen Schwarm ihrer Beobachter hinterher schicken, das ist mal klar. Wir können uns nicht leisten, daß sie uns übers Ohr hauen. Wenigstens kann ich es mir nicht leisten. Weck die anderen auf.«
Sie-es hatte Einwände. Die anderen zwei hatten ein paar Stunden früher eine erfolgreiche Paarung gehabt; der Schlaf stand ihnen zu. Aber 48-Codon-adf ließ nicht locker, und wenn er in einer Stimmung wie dieser war, konnte man nicht mit ihm reden. Kurz darauf kamen die beiden übrigen Mitglieder der Paarungseinheit aus ihren Schlafabteilen gestolpert, verdrossen und unausgeschlafen und ganz und gar nicht beeindruckt von der angeblichen Landung dreier Angehöriger der rivalisierenden Macht auf dem Territorium der Erde. Es beeindruckte sie weit mehr, daß 48-Codon-adf sie aus dem Schlaf gerissen hatte, und sie ließen es ihn wissen. Das Gezänk dauerte mehrere Minuten, die 48-Codon-adf dazu benützte, den Kurs des Schiffes nach Süden zum Ort der dirnaischen Landung zu verändern.
Als sie wieder einigermaßen vernünftig waren, sagte er: »Wir gehen auf dreitausend Meter hinunter, dann springe ich ab. Ihr benachrichtigt das Hauptquartier von unserer Aktion und bleibt in Empfangsweite, bis ihr wieder von mir hört.«
»Du willst allein da hinunter?« fragte 51-Codon-bgt entsetzt.
»Ich werde keinen Ärger mit den Leuten da unten kriegen«, erwiderte er zuversichtlich. »Einem dicken Mann tut niemand was. Ich werde mich umsehen, den Dirnaern auf die Spur kommen und versuchen, ihr Vorhaben aufzudecken. Wenn ich was weiß, gebe ich Nachricht, und ihr könnt mich holen.«
Читать дальше