Welcher Art mochten seine Schmerzen sein? fragte sich Kathryn. Sie begann ihn auf der Suche nach Verletzungen behutsam abzutasten. Krankenhauserfahrungen, die sie längst vergessen glaubte, fluteten in ihr Gedächtnis zurück. Sie sah, daß sein linkes Bein gebrochen war, und es schien ein glatter Bruch zu sein.
Andere Brüche konnte sie nicht finden, obwohl er viele Abschürfungen und Prellungen davongetragen hatte, aber es gab da zweifellos innere Verletzungen. Das erklärte die Blutung aus seinem Mund. Dieses Blut, Kathryn sah es deutlich im hellen Licht, war orangefarben. Sie betrachtete es ungläubig, dann wanderte ihr Blick zu dem offenen Anzug, auf dem er immer noch lag, und sah die verschiedenen geheimnisvollen Taschen und Geräte längs der Innenseite. Sie wehrte sich gegen die abenteuerliche Schlußfolgerung, daß dieser Mann von einer anderen Welt kam, und sie schob energisch alle Spekulationen beiseite und konzentrierte sich darauf, ihn zu untersuchen.
Mit einem feuchten Tuch wischte sie ihm das Blut vom Gesicht. Die Blutungen aus seinem Mund hatten aufgehört. Zögernd legte sie dann ihre Hände an das gebrochene Bein, fühlte den Bruch ab und versuchte die Knochen einzurichten, obwohl sie wußte, daß sie als ehemalige Hilfsschwester zu solchen Dingen nicht befugt war. Zu ihrer Verblüffung ließ das Bein sich leicht führen, und als sie mit der Arbeit fertig war und den Schenkel sorgfältig abgetastet hatte, war sie beinahe sicher, daß die beiden Hälften des gebrochenen Knochens miteinander in Linie waren. Der Mann auf dem Bett hatte während der Prozedur Grimassen geschnitten, aber jetzt atmete er leichter, mit halbgeöffnetem Mund. Kathryn nahm die Flasche Schmerzbetäuber und ließ ein paar Tropfen auf seine Zunge fallen. Er schluckte, und sie schüttete noch etwas hinterher.
Sie erkannte, daß sie nahezu alles getan hatte, was sie im Moment für ihn tun konnte. Es gab keine äußeren Wunden, die eines Verbandes bedurften. Er stöhnte nicht mehr und schien zu schlafen. Sie schaute besorgt auf ihn herab. Früher oder später würde er aufwachen, und was dann?
Kathryn wischte die Befürchtungen beiseite. Ohne dieses gummiartige Stück Unterwäsche hätte er es bequemer, beschloß sie. Wie sollte er sich mit diesem Ding um die Mitte entleeren? Sie sah auch keine Öffnung in dem Kleidungsstück, was sie noch mehr verwunderte.
Sie mußte ihm das Ding ausziehen.
Als sie daran dachte, machte sich dieses komische sexuelle Pulsieren in ihr wieder bemerkbar. Kathryn schürzte zornig die Lippen. Vor ihrer Ehe hatte sie als Krankenschwester Hunderte von männlichen Patienten versorgt und gesäubert, ohne irgend etwas dabei zu empfinden. Doch jetzt war es ihr unmöglich, diese sachliche und leidenschaftslose Haltung wiederzufinden. Hatte ein Jahr keuscher Witwenschaft sie so begierig gemacht, den Körper eines Mannes zu sehen? Oder war es etwas anderes, eine besondere Anziehungskraft, die nur von diesem einen Mann ausging? Vielleicht war es bloß Neugierde, der Wunsch, herauszufinden, was unter dem gummiartigen Zeug war. Wenn er wirklich von einer anderen Welt kam…
Kathryn nahm die Schere, schob sie unter das Material und versuchte es zu zerschneiden. Es gelang ihr nicht. Das Zeug war genauso zäh und widerstandsfähig wie sein Raumanzug.
Sie war überzeugt, das Kleidungsstück herunterrollen zu können, aber sie wollte sein gebrochenes Bein schonen. Verblüfft suchte sie nach einem versteckten Verschluß, und als ihre Hände über seine Hüften glitten, vertiefte sich Kathryn so in ihre Tätigkeit, daß sie sein Erwachen nicht bemerkte.
»Was tun Sie da?« fragte er mit angenehm wohlklingender Stimme.
Kathryn sprang in Panik zurück. »Oh — Sie sind wach!«
»Mehr oder weniger. Wo bin ich?«
»In meinem Haus in Bernalillo. Ungefähr zwanzig Meilen von Albuquerque. Sagt Ihnen das etwas?«
»Ein wenig.« Er sah an seinem Bein herab. »War ich lange besinnungslos?«
»Ich fand Sie vor einer Stunde. Sie waren direkt vor meinem Haus. Anscheinend sind Sie dort gelandet.«
»Ja. Ich landete.« Er lächelte. Seine Augen waren lebhaft, forschend und etwas ironisch. Er war unglaublich gutaussehend, wie ein Filmstar. Dann fragte er: »Wo sind die anderen von Ihrer Sexualgruppe?«
»Von meiner — Sexualgruppe?« fragte sie entgeistert.
Er lachte. »Ich bitte um Verzeihung. Ich meine Ihren Partner. Wo ist Ihr Ehemann?«
»Er ist tot«, murmelte Kathryn. »Er kam letztes Jahr ums Leben. Ich lebe mit meinem Kind.«
»Ich sehe.« Er wollte aufstehen, sank aber zähneknirschend zurück, als er sein linkes Bein bewegen wollte. Kathryn ging einen Schritt auf ihn zu und hob abwehrend ihre Hand.
»Nein. Bleiben Sie liegen. Ihr Bein ist gebrochen.«
»So fühlt es sich an.« Er lächelte wieder. »Sind Sie ein Arzt?«
»Nein. Ich war vor meiner Ehe Krankenschwester. Ihr Bein wird schon wieder in Ordnung kommen, aber Sie dürfen es nicht bewegen oder gar belasten. Morgen früh werde ich einen Arzt holen, damit er Ihnen einen Gipsverband anlegt.«
Die Liebenswürdigkeit verflog aus der Stimme des Fremden. »Müssen Sie das tun?«
»Was?«
»Einen Arzt holen. Können Sie mich nicht gesundpflegen?«
»Ich? Aber ich — Sie…«
»Ist es moralisch verboten, daß eine früher verheiratete Frau einen fremden Mann aufnimmt? Ich kann Sie für Ihre Mühe bezahlen. In meinem Anzug ist Geld. Lassen Sie mich einfach hier liegen, bis mein Bein besser ist. Ich werde Ihnen nicht zur Last fallen, das verspreche ich Ihnen. Ich…« Ein plötzlicher Schmerz ließ ihn abbrechen. Er ballte die Fäuste und ächzte leise.
»Trinken Sie etwas von dieser Medizin«, sagte Kathryn und hielt ihm die Flasche mit dem Schmerzbetäuber hin.
»Das würde nichts nützen. Ich werde — schon fertig damit…«
Sie sah verwundert zu, wie er eine Art inneren Prozeß durchmachte. Was immer es war, es schien zu wirken. Die scharfen Linien in seinem Gesicht verschwanden, und er entspannte sich wieder. Schließlich kehrte auch der Ausdruck distanzierter Ironie zurück.
»Darf ich hierbleiben?« fragte er.
»Vielleicht — für eine Weile.« Sie wagte nicht zu fragen, woher er gekommen sei oder wie er heiße. »Haben Sie große Schmerzen in dem Bein?«
»Es geht. Ich glaube, die eigentlichen Verletzungen sind innen. Es gab einen harten Aufprall, als ich — als ich herunterkam.« Er schien das alles sehr ruhig zu nehmen, dachte sie. Er fuhr fort: »Sie brauchen nicht viel für mich zu tun. Ich brauche Ruhe, Nahrung, ein bißchen Hilfe. Ich werde Sie nur ein paar Wochen behelligen. Warum wollten Sie mein Hüftband abnehmen?«
Sie errötete heftig. »Um es Ihnen bequemer zu machen. Und für den Fall, daß Sie austreten müssen. Aber ich bekam es nicht auf, und dann wurden Sie wach.«
Seine linke Hand schob sich an die Hüfte und machte etwas, das Kathryn nicht sehen konnte, und das gelbe Zeug ging auf und fiel so schnell auseinander, daß Kathryn erschrocken die Hand vor den Mund schlug. Seltsamerweise war an seiner Nacktheit nichts Besonderes. Sie wußte nicht, was zu sehen sie erwartet hatte — irgendein fremdartiges Organ vielleicht, oder eher noch eine puppenähnlich geschlechtslose Fortsetzung des Bauches —, aber es war ganz konventionell konstruiert. Kathryn schaute schnell weg.
»Sie haben ein starkes Nacktheitstabu, nicht?« fragte er.
»Eigentlich nicht. Es ist nur, daß — oh, alles ist so komisch! Ich sollte Angst vor Ihnen haben, aber ich habe keine, und ich sollte die Polizei rufen, aber ich tue es nicht, und…« Sie faßte sich. »Ich werde Ihnen eine Bettpfanne bringen. Soll ich Ihnen etwas zu essen kochen? Etwas Suppe vielleicht und Toast dazu? Und hier, lassen Sie mich den Anzug unter Ihnen wegziehen. Ohne ihn werden Sie besser schlafen können.«
Er schien Schmerzen zu haben, als sie den Anzug unter ihm herauszog, doch er sagte nichts. Er lag schlank und nackt auf ihrem Bett und lächelte dankbar zu ihr auf. Kathryn deckte ihn zu. Er verhielt sich sehr ruhig, aber sicherlich stand er größere Schmerzen aus, als er sie wissen lassen wollte.
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