Glumow: Wo steckt der Chef? Ich versuche ihn schon den ganzen Tag zu erreichen, und nichts kommt dabei heraus.
Ich: Der Chef ist auf Dienstreise, er bleibt länger weg.
Glumow: Sehr schade. Ich brauche ihn ernstlich. Ich würde sehr gern mit ihm reden.
Ich: Schreib einen Brief. Er wird ihm nachgeschickt.
Glumow (nach kurzer Überlegung): Es ist eine lange Geschichte. (An diesen Satz erinnere ich mich genau.)
Ich: Dann sag, was ich ihm übermitteln soll. Oder wie er sich mit dir in Verbindung setzen kann. Ich notiere es.
Glumow: Nein. Ich brauche ihn unbedingt persönlich.
Weiter wurde nichts Wesentliches gesagt. Das heißt, ich entsinne mich an nichts. Ich möchte betonen, daß ich damals über T. Glumow nur wußte, daß er aus privaten Gründen gekündigt und sich zu seiner Frau auf die Pandora begeben hatte. Ebendarum fiel es mir nicht ein, die elementarsten Maßnahmen zu ergreifen, nämlich: das Gespräch aufzuzeichnen, den Kommunikationskanal festzustellen, den Präsidenten in Kenntnis zu setzen usw. Ich kann nur noch hinzufügen, daß ich den Eindruck behalten habe, T. Glumow halte sich in einem von natürlichen Sonnenlicht erhellten Raum auf. Anscheinend befand er sich zu jenem Zeitpunkt auf der Erde, auf der östlichen Hemisphäre.
Sandro Mtbewari
Dokument 23
An den Präsidenten des Sektors „Ural/Norden“ der KK 2
Datum: 23. Januar ”01
Autor: M. Kammerer, Leiter der Abteilung BV
Thema 050: T. Glumow, Metanthropus
Präsident!
Ich habe Ihnen nichts mitzuteilen. Das Treffen hat nicht stattgefunden. Ich habe am Roten Strand bis zum Einbruch der Dunkelheit gewartet. Er ist nicht erschienen.
Natürlich hätte es keine Mühe gemacht, zu ihm nach Hause zu fahren und ihn dort zu erwarten, doch mir scheint, das wäre ein taktischer Fehler gewesen. Er hat ja nicht vor, uns hinzuhalten. Er vergißt es einfach immer wieder. Warten wir noch ab.
M. Kammerer
Dokument 24
KomKon 1
Dem Vorsitzenden der Kommission „Metanthropus“, G. J. Komow
13. 11. ”02
Mein Kapitän!
Anbei übersende ich dir zwei interessante Texte, die in direkter Beziehung zum Gegenstand deines derzeitigen Eifers stehen.
Text 1 (eine Notiz T. Glumows, gerichtet an M. Kammerer)
Lieber Big Bug!
Ich habe allen Grund, mich zu entschuldigen. Aber ich will mich bessern. Übermorgen, den 2., werde ich 22.00 Uhr unbedingt zu Hause sein. Ich erwarte Sie. Ich garantiere für Leckerbissen und verspreche, alles zu erklären. Obwohl, soweit ich verstehe, dazu vorerst keine besondere Notwendigkeit besteht.
Text 2 (ein Brief von A. Glumow, zusammen mit T. Glumows Notiz an M. Kammerer gerichtet)
Verehrter Maxim!
Er hat mich gebeten, Ihnen diese Notiz zu übersenden. Warum hat er sie Ihnen nicht selbst geschickt? Warum hat er Sie nicht einfach angerufen, um ein Treffen festzulegen? Ich verstehe das alles nicht. In letzter Zeit verstehe ich ihn überhaupt selten, selbst wenn von anscheinend ganz simplen Dingen die Rede ist. Dafür weiß ich, daß er unglücklich ist. Wie sie alle. Wenn er mit mir zusammen ist, quält ihn die Langeweile. Wenn er dort ist, bei sich, sehnt er sich nach mir, sonst würde er nicht zurückkehren. Leben kann er so freilich nicht, und er wird eins von beidem wählen müssen. Ich weiß, was es sein wird. In letzter Zeit kehrt er immer seltener zurück. Ich kenne seinesgleichen, die überhaupt nicht mehr wiederkehren. Sie haben auf der Erde nichts mehr zu schaffen.
Was seine Einladung betrifft, so werde ich natürlich froh sein, Sie zu sehen, doch rechnen Sie nicht damit, daß er da sein wird. Ich rechne nicht damit.
Ihre A. Glumowa
Selbstverständlich ist Kammerer zu dem Treffen gegangen, und selbstverständlich ist T. Glumow nicht erschienen.
Sie gehen fort, mein Kapitän. Eigentlich sind sie schon fortgegangen. Endgültig. Selbst unglücklich und Unglückliche zurücklassend. Das Menschentum. Das ist ernst.
Sie waren zu unglücklich von Anfang an. Nur meinten sie lange, das wäre nur vorläufig so. Solange sie einsam wären. Solange sie nicht selbst eine richtige Gesellschaft hätten. Ihre eigene Menschheit. Sie sind ihrer genug geworden, um zu sehen: Das hilft nichts. Eine Gesellschaft von Einzelgängern ist unmöglich. Die Abspaltung von uns ist die Menten zu teuer zu stehen gekommen …
Der Preis hat sich als zu hoch erwiesen. Es ist nicht gut, daß der Mensch, mag er sich auch „Ment“ nennen, ohne die Gesellschaft auskomme.
Wie wenig Ähnlichkeit hat all das mit den apokalyptischen Bildern, die wir uns vor vielen Jahren ausgemalt haben! Erinnerst du dich, wie der alte Gorbowski mit listigem Lächeln krächzte: „Die Wellen ersticken den Wind“? Wir haben alle verstehend genickt, und ich weiß noch, wie du mit einem geradezu kretinhaft vielsagenden Ausdruck dieses Zitat fortgesetzt hast. Doch haben wir ihn damals etwa begriffen? Niemand von uns hat begriffen. Und jetzt, mein Kapitän, da sie fortgegangen sind und nie mehr zurückkehren werden, haben wir jetzt alle erleichtert aufgeatmet? Oder mit Bedauern? Ich weiß nicht. Und du?
Dein Athos
Und das letzte Dokument
Narva-Jōesuu, den 30. Juni ”26
Maxim!
Ich kann nichts machen. Man zerfließt vor mir in Entschuldigungen, man versichert mich uneingeschränkter Hochachtung und vollkommenen Mitgefühls, doch nichts ändert sich. Sie haben Toivo schon zur „geschichtlichen Tatsache“ gemacht.
Ich verstehe, warum Toivo schweigt — ihm ist all das gleichgültig, und wo ist er überhaupt, in welchen Welten?
Ich ahne, warum Assja schweigt — so schrecklich es klingt, aber sie haben sie anscheinend überzeugt.
Doch warum schweigen Sie? Sie haben ihn ja geliebt, ich weiß es, und er hat Sie geliebt!
M. Glumowa
Wie Sie sehen, schweige ich nicht länger, Maja Toivowna. Ich habe es gesagt. Alles, was ich zu sagen hatte, und alles, was ich zu sagen vermochte.
Redaktion und Beratung: Franz Rottensteiner
Titel der Originalausgabe:
Волны гасят ветер
Aus dem Russischen von Erik Simon
Umschlagmotiv von H. Wenske
Suhrkamp taschenbuch 1508
Erste Auflage 1988
© Zeitschrift „Знание — сила“, Moskau, 1985/1986
© für die deutsche Übersetzung
Verlag Das Neue Berlin, Berlin DDR, 1988
Nutzung der deutschen Übersetzung mit
freundlicher Genehmigung des Verlags
Das Neue Berlin, Berlin DDR
Suhrkamp Taschenbuch Verlag
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durch Rundfunk und Fernsehen
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Umschlag nach Entwürfen von
Willy Fleckhaus und Rolf Staudt