Gesine Auffenberg
Eine ungewöhnliche Reise durch den Sudan
Reiseerzählung
e d i t i o n ♦ k a r o, B e r l i n
Für
Siddi Mohamed Osman Bourhani
Cover
Titel Gesine Auffenberg Eine ungewöhnliche Reise durch den Sudan Reiseerzählung e d i t i o n ♦ k a r o, B e r l i n
Widmung Für Siddi Mohamed Osman Bourhani
Prolog Prolog Sommer 1980. Ich, eine Frau Anfang dreißig, reise in den Sudan. Dort kaufe ich mir ein Pferd. Von nun an lebe ich in der Steppe. Ich reite in Männerkleidung. Es ist die Zeit des Bürgerkrieges und des Hungers. So wie auch jetzt noch. Keiner zählt mehr die Kriegsjahre. Man sagt, es seien dreißig Jahre. In jedem neuen Jahr sagt man wieder: Es sind dreißig Jahre. So wie man aufgehört hat die Jahre des Krieges zu zählen, so hat man aufgegeben, an die Toten zu denken. Es sind zu viele. Ich musste reisen. Ich hatte Angst. Es war nicht Abenteuerlust oder Neugierde. Ich hatte auch kein völkerkundliches Interesse. Obwohl ich auf Stämme traf, die abgelegen und weitgehend unbekannt lebten. Ich stelle keine Fragen. Ich beobachte. Ich erzähle davon. Ich erzähle von einem Bettler, der in einer Straße auf einem Stück Zeitungspapier lebt und nur aufsteht um zu tanzen. Ich erzähle von einem Hirten, der am Abend singt. Sein Lied bleibt. Ich erzähle von einem Madjub, einem Verrückten, der manchmal mit Steinen Krieg spielt. Und immer danach geschieht ein Überfall der Miliz. Was wäre ein Dorf ohne einen Madjub, sagen die Leute. Ich beginne, das, was ich am wenigsten an den Menschen in diesem Land verstehe, zu brauchen, begehrlich zu brauchen: ihren Einklang mit dem, was geschieht. Ich nenne es die »Gelassene Zeit«. Ich will es genau so sagen, mit diesen Worten, nachdem ich mit den Alten viele Nächte in der Moschee durchwacht habe. Und benommen von den durchwachten Nächten und benommen von dem Durst und der Hitze und benommen von dem Gott in den Menschen sage ich »Etwas bleibt, wenn ich gehe. Eine Erinnerung, die ich befrage. Nach mir selbst.«
In Nyala habe ich ein Pferd gekauft In Nyala, einer Stadt im Westsudan, habe ich ein Pferd gekauft. Es ist ein kleiner, rotbrauner Hengst mit heller Mähne. Ich nenne ihn Ayn, weil sein Fell an einem Auge weiß ist. Ayn heißt auf arabisch Auge. Er beginnt sich daran zu gewöhnen, einen Namen zu haben. Er ist jung. Er hat die Leichtigkeit der arabischen Pferde. Er ist nervös. Er scheut vor dem Sattel. Die ersten Reisetage sind schwer. Der Sudan ist ein großes Land, fünfzehn mal größer als Deutschland. Die Dörfer liegen weit auseinander und die Wege sind lang. Ich reise in Männerkleidung und raste an Wasserstellen. Am Morgen mache ich Feuer und koche Tee. Ich bringe den Sattel zu Ayn und er scheut. Ich lege den Sattel neben ihn auf die Erde. Ich trinke Tee und er riecht an dem Sattel. Vorsichtig, tastend. Er schnaubt. Er frisst Gras, das dicht an der Wasserstelle wächst. Ich sehe ihm zu. Ich rufe seinen Namen. Er sieht auf. Er kommt näher und bleibt witternd stehen. Wir lernen uns kennen. Das Reiten habe ich als Kind gelernt. Wir hatten ein Haflinger Pony. In seiner weißen Mähne konnte ich mich vergraben. Ich war noch klein, sechs Jahre alt, als mein Vater es kaufte. Es stand auf der Weide. Ich wollte ihm Zucker bringen und lief zu ihm hin. Es galoppierte davon, und ich weinte. Mein Vater wollte, dass ich am Zaun stehen bleibe und warte. Das Pony hat gefressen. Es ging in Schlangenlinien und zupfte sein Gras. Ich stand am Zaun mit dem Zucker und weinte. »Sieh doch, es kommt. Auf seinem Weg«, sagte mein Vater. Ich habe ihm nicht geglaubt. Es ist gekommen, das Pony, beiläufig, seine Kurven ziehend, und hat nebenbei den Zucker gefressen. Mit der Zeit sind seine Wege zu mir immer kürzer geworden. Noch ist es schwer, Ayn zu satteln. Er bäumt sich. Er steigt. »Ayn!«, rufe ich, »Ayna!« Ayna heißt auf arabisch Spiegel.
Der Djebbel Marra
Die Schatten sind lang
Der Ritt in die Stadt dauert vier Tage
Ich denke an die Zugfahrt von Khartoum nach Nyala
Es ist an der großen Wasserstelle
Ich habe meine Reise im Westen begonnen
Eine Kirche, mitten in der Steppe
Es ist Abend
Ich habe die weißgekalkte Stube gefegt
Wieder in der Steppe
Es ist Nacht. Ich starre in die Glut
Ich hatte ein Postfach in Khartoum
Stichwortverzeichnis
Impressum
Sommer 1980. Ich, eine Frau Anfang dreißig, reise in den Sudan. Dort kaufe ich mir ein Pferd. Von nun an lebe ich in der Steppe.
Ich reite in Männerkleidung.
Es ist die Zeit des Bürgerkrieges und des Hungers. So wie auch jetzt noch. Keiner zählt mehr die Kriegsjahre. Man sagt, es seien dreißig Jahre. In jedem neuen Jahr sagt man wieder: Es sind dreißig Jahre. So wie man aufgehört hat die Jahre des Krieges zu zählen, so hat man aufgegeben, an die Toten zu denken. Es sind zu viele.
Ich musste reisen. Ich hatte Angst.
Es war nicht Abenteuerlust oder Neugierde. Ich hatte auch kein völkerkundliches Interesse. Obwohl ich auf Stämme traf, die abgelegen und weitgehend unbekannt lebten.
Ich stelle keine Fragen. Ich beobachte. Ich erzähle davon. Ich erzähle von einem Bettler, der in einer Straße auf einem Stück Zeitungspapier lebt und nur aufsteht um zu tanzen. Ich erzähle von einem Hirten, der am Abend singt. Sein Lied bleibt. Ich erzähle von einem Madjub, einem Verrückten, der manchmal mit Steinen Krieg spielt. Und immer danach geschieht ein Überfall der Miliz. Was wäre ein Dorf ohne einen Madjub, sagen die Leute.
Ich beginne, das, was ich am wenigsten an den Menschen in diesem Land verstehe, zu brauchen, begehrlich zu brauchen: ihren Einklang mit dem, was geschieht. Ich nenne es die »Gelassene Zeit«.
Ich will es genau so sagen, mit diesen Worten, nachdem ich mit den Alten viele Nächte in der Moschee durchwacht habe. Und benommen von den durchwachten Nächten und benommen von dem Durst und der Hitze und benommen von dem Gott in den Menschen sage ich »Etwas bleibt, wenn ich gehe. Eine Erinnerung, die ich befrage. Nach mir selbst.«
In Nyala, einer Stadt im Westsudan, habe ich ein Pferd gekauft.Es ist ein kleiner, rotbrauner Hengst mit heller Mähne. Ich nenne ihn Ayn, weil sein Fell an einem Auge weiß ist. Ayn heißt auf arabisch Auge. Er beginnt sich daran zu gewöhnen, einen Namen zu haben.
Er ist jung. Er hat die Leichtigkeit der arabischen Pferde. Er ist nervös. Er scheut vor dem Sattel.
Die ersten Reisetage sind schwer.
Der Sudan ist ein großes Land, fünfzehn mal größer als Deutschland. Die Dörfer liegen weit auseinander und die Wege sind lang. Ich reise in Männerkleidung und raste an Wasserstellen. Am Morgen mache ich Feuer und koche Tee. Ich bringe den Sattel zu Ayn und er scheut. Ich lege den Sattel neben ihn auf die Erde. Ich trinke Tee und er riecht an dem Sattel. Vorsichtig, tastend. Er schnaubt. Er frisst Gras, das dicht an der Wasserstelle wächst. Ich sehe ihm zu. Ich rufe seinen Namen. Er sieht auf. Er kommt näher und bleibt witternd stehen. Wir lernen uns kennen.
Das Reiten habe ich als Kind gelernt. Wir hatten ein Haflinger Pony. In seiner weißen Mähne konnte ich mich vergraben. Ich war noch klein, sechs Jahre alt, als mein Vater es kaufte. Es stand auf der Weide. Ich wollte ihm Zucker bringen und lief zu ihm hin. Es galoppierte davon, und ich weinte. Mein Vater wollte, dass ich am Zaun stehen bleibe und warte. Das Pony hat gefressen. Es ging in Schlangenlinien und zupfte sein Gras. Ich stand am Zaun mit dem Zucker und weinte.
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