Piatkowski blieb im Türrahmen stehen. Das kleine Gemach, das ich am liebsten gleich bezogen hätte, ist baupolizeilich gesperrt, Fußboden und Außenwand sind einsturzgefährdet. Jeder durfte hineinsehen, bevor wir den dunklen Rückweg antraten.
«Lieber Herr Piatkowski, dafür wollen Sie tatsächlich Miete? Wenn das meine Lebensversicherung erfährt!«Der Baron rief seinen herumschnüffelnden Wolf zurück. Selbst die hochaufragende Gestalt blieb diesmal still.
«Das ist Bauschutt!«rief der Baron.»Ganz einfach Bauschutt!«
Mit der bisherigen Miete sei kaum der Schornsteinfeger zu bezahlen gewesen. Jeden Pfennig hätten sie ins Dach gesteckt, entschuldigte sich Piatkowski.
«Und jetzt wollen Sie mehr Miete? Wem soll ich denn das verklickern?«
Die hochaufragende Person rief:»Ich nehme es!«
«Es tut mir wirklich leid«, wiederholte Piatkowski.
«So hören Sie doch! Ich nehme es!«
«Gehen wir mal höher«, riet Piatkowski. Wir warteten, um die bewährte Reihenfolge einzuhalten, doch die hochaufragende Gestalt scherte aus. Er sei nicht mehr gewillt, dieses Theater mitzuspielen. Er miete für ein Jahr, und damit gut. Über den Preis würden sie sich wohl einig werden.
«Ich hingegen«, sagte der Baron,»möchte nicht die Katze im Sack kaufen!«Er bestand darauf, nach oben geführt zu werden.
«Natürlich, natürlich«, beschwichtigte Piatkowski, und so kam es, daß die hochaufragende Gestalt als letzte und etwas verspätet die beiden Räume betrat, die man ebenfalls durch einen Vorraum erreichte.
«Was wollen Sie denn dafür haben?«fragte der Baron, zupfte an den Haaren seines Oberlippenbärtchens und kaute darauf herum.»Für den Sommer mag es ja gehen.«
«Nun hören Sie mal …«, mischte sich die hochaufragende Gestalt ein. Sie wußte offenbar nicht mehr, an wen sie sich wenden sollte.
«Was würden Sie denn geben?«fragte Piatkowski.
«Nicht viel, oder?«Der Baron sah zu mir und zu Jörg.»Dreihundert bestenfalls, zweihundertfünfzig Ost?«Jörg nickte, ich nickte, Fred und Ilona fanden das viel zuviel, Kurt ging von Fenster zu Fenster, bohrte seinen Daumennagel in den Kitt und blies die abblätternde Farbe weg.
«Tausend«, rief die hochaufragende Gestalt erleichtert,»tausend West! Abgemacht!?«
Das könne er nicht machen, empörte sich der Baron, er verderbe ja hier die Preise, für so ein Loch tausend zu bieten, vollkommen daneben, das sei unmoralisch, das gehe nicht an, wirklich nicht. Wenn das Schule mache … Die hochaufragende Gestalt zeigte sich kurz irritiert, besiegte jedoch ihre Bedenken und sagte:»Das ist Markwirtschaft!«
«Ja«, sagte Piatkowski, zweihundertfünfzig wäre ganz ordentlich, mehr wolle er gar nicht verlangen, er sei ja kein Raffzahn und hier müsse gehörig investiert werden, zweihundertfünfzig Ost, das gehe in Ordnung, nur immer im voraus, immer am Ersten.
Der Baron hielt ihm die Hand hin.»Ab Mai!«sagte er.»Mai?«fragte Piatkowski, schlug aber ein.
Die hochaufragende Gestalt lachte schrill.»Herr Piatkowski! Herr Piatkowski? Tausend West, abgemacht?«
«Ja«, sagte Piatkowski. Er verstehe ihn ja, und nannte die hochaufragende Gestalt bei ihrem langen wohlklingenden Namen, aber er müsse schon einsehen, die Einheimischen, und überhaupt, wie wir es hier eben so gewohnt seien.
«Ja«, sagte Fred,»wir Einheimischen!«Kurt nickte. Seine Daumennägel putzten sich gegenseitig.
Nach einem Schniefer trat die hochaufragende Gestalt vor den Baron, hielt ihm die Hand wie ein Messer vor den Bauch und brüllte:»Gratuliere, gratuliere wirklich, Gratulation!«Da der Baron seine Collegemappe mit beiden Händen an sich drückte, behalf sich die hochaufragende Gestalt mit energischen Kopfbewegungen, machte kehrt und verschwand wie ein Schatten im Dunkel des Hausflurs. Piatkowski händigte uns die Schlüssel aus, dann verabschiedeten wir uns.
Fred plante sofort die Renovierung. Wenn man ihm und Kurt freie Hand lasse, sei das in zwei Wochen komplett erledigt, komplett. Jörg bat mich, an dem Artikel über Piatkowski, der immer noch stellvertretender CDU-Vorsitzender ist, festzuhalten, auch wenn Piatkowski jetzt unser Vermieter sei. Er habe es Marion versprochen.
Der Baron ist stolz auf seine Leistung. Sobald er sein neues Briefpapier habe, werde er uns die Rechnung stellen, eine Monatsmiete Vermittlungsgebühr, normal seien drei, seine erste Einnahme im Osten!
Das alte Ehepaar aus dem Dachgeschoß hat noch nicht zu erkennen gegeben, ob sie sich über ihre neuen Mitmieter freut. Den Haushaltswarenleuten scheinen wir gleichgültig zu sein.
Mobiliar ist kein Problem — die» Lebenshilfe «verscheuert billig das Inventar der Stasivilla! Parkplätze gibt es mehr als genug. Wir müssen nur den oberen Teil der Jüdengasse roden. 157
Nun also das Wochenende. Ich wollte nach Fred und Kurt sehen, die seit Freitag renovierten, und fuhr am Sonnabend mit etlichen Keksschachteln und einer Tüte Kaffee ins neue Haus. Ilona hatte Mann und Kinder mobilisiert. Sie rissen die Tapeten von den Wänden, als gäbe es nichts, was sie lieber machten. Kurt vergipste mit stoischem Gleichmut die Löcher in den Wänden. Pringel war glücklich, daß ich ihn im Schlosseranzug sah. Fred strich bereits das Vertriebszimmer. Meine Kekse nahmen sich neben dem Schaschlik und Ilonas Sahnetorte so ärmlich aus, daß ich nur den Kaffee daließ.
Jörg, Marion und ich hatten am Freitag bis Mitternacht gearbeitet, die zwölf Seiten für Montag waren so gut wie fertig. Ich weiß selbst nicht, warum ich in die Redaktion fuhr, der Eifer der anderen hatte mich angesteckt. Wie früher machte ich mich über die Post her, schlitzte ein Kuvert nach dem anderen mit Ilonas ägyptischem Brieföffner auf und drückte den Eingangsstempel auf Leserbriefe, Anfragen, Manuskripte, sortierte die Abo-Zettel aus und die Kleinanzeigen. Das letzte Kuvert hatte wie zur Belohnung ein erhabenes Wappen auf der Rückseite.
Ich ahnte noch nicht einmal etwas, als ich die vielen Namen im Briefkopf sah. Ich las das Betreff, die Anrede, erreichte den Namen unserer Zeitung und die mir bekannte Überschrift» Schweinerei …«, schneller und schneller las ich, überflog die Sätze, bis ich bei der Zahl 20 000 und der Bezeichnung DM und dem in Klammern gesetzten Wort» zwanzigtausend «stockte. Es folgte schon bald eine» vierzigtausend «in Zahlen und Worten und nach einer Leerzeile freundliche Grüße und eine Unterschrift mit zwei großen Schleifen, die den Namenszug wie ein Geschenk verschnürten.
Ich begann von vorn zu lesen und setzte kurz darauf ein drittes Mal an. Eine Rechtsanwaltskanzlei verklagte uns im Auftrag ihrer Mandanten wegen Verleumdung und drohte, sollten erneut derartige Behauptungen von uns an die Öffentlichkeit gelangen (also der angekündigte zweite Teil über die Schweinemast), wäre eine Strafe von vierzigtausend D-Mark fällig.
An der Tür mußte ich umkehren, weil ich noch immer Ilonas Brieföffner in der Hand hielt. Ich fuhr zu Jörg. Niemand öffnete. Eine halbe Stunde später, ich versuchte es erneut, sagte eine Nachbarin, die beiden seien mit den Mädchen bis morgen nach Gotha gefahren, zu Oma und Opa. Im» Wenzel «wußten sie nicht, wann Barrista wiederkomme, sein Zimmer habe er gestern jedoch um eine Woche verlängert.
Warum nur für eine Woche? Und warum hatte Georg nach diesem Artikel alles hingeschmissen? Mir schien, jeder hatte mit solch einer Wendung gerechnet, nur ich nicht. Ich beneidete Jörg und Marion um ihre Ahnungslosigkeit, um den Abend mit Eltern und Kindern. In der irren Hoffnung, den Wagen des Barons vor der Tür stehen zu sehen, fuhr ich zum neuen Haus — und daran vorbei. Ich sah Ilona durchs Fenster. Mir war nach Heulen zumute.
Wenn sie wenigstens Mark geschrieben hätten und nicht D-Mark !
Zum Glück öffnete Anna, die Verfasserin des Artikels.
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