Bei ihm gebe es nicht viel zu sagen, meinte Kurt. Er saß auf dem Tisch, wippte mit dem Unterschenkel und zwirbelte die kurzen Härchen seines Oberlippenbartes. Er habe nie etwas Großes erwartet. Er habe sich angestrengt, eigentlich habe er sich zeit seines Lebens angestrengt, aber Erfolg, was solle er denn für einen Erfolg haben. Ihm habe der Spruch gefallen:»Ich bin Bergmann, wer ist mehr?«Deshalb sei er zur Wismut, und wegen des Geldes. Seine ganze Familie habe immer Dreckarbeit gemacht, und er eben auch. Illusionen hätte er nie gehabt. Deshalb sei er zufrieden. Und jetzt, wenn es gerecht zugehe, sei das auch gut. Es müsse gerecht bezahlt werden, wenigstens halbwegs gerecht, das sei für ihn die Hauptsache.
Schorba sprach von seinem Traum, etwas Richtiges zu erleben und zu leisten. Deshalb sei er drei Jahre zur Armee gegangen, als Fallschirmjäger, dann zur Wismut, später sogar als Hauer, bis ihn sein Steiger auf die Idee gebracht habe, sich zu qualifizieren, fünf Jahre die Schulbank zu drücken, also Abschied vom schnellen Geld. Obwohl Irma, seine Frau, ihn immer darin bestärkt und unterstützt, ja selbst auf ein Studium verzichtet habe wegen der Kinder, die plötzlich gepurzelt kamen, eins nach dem anderen, sei er immer im Zweifel gewesen, ob er die richtige Entscheidung getroffen habe. Alles sei so schnell vorüber gewesen. Natürlich hatte er bei der Wismut Privilegien, die besten Ferienplätze, Vierraumwohnung und das Angebot mit dem Auto. Aber das konnten sie sich gar nicht leisten. Und es nehmen und weiterverkaufen fanden sie nicht in Ordnung. Sie hätten die Anmeldung zurückgegeben, dafür habe man ihn für verrückt erklärt. 364Er wisse gar nicht, warum er das erzähle, solche Nebensächlichkeiten, aber der Haß damals, wegen etwas, das doch im Sinne der Gesellschaft gewesen sei, das habe er nicht verstanden, davon habe er noch heute Alpträume.
«Na ja«, sagte Frau Schorba nach einer Weile, in der es atemlos still gewesen war,»na ja, die Männer, die erzählen das so glatt runter und reiben sich an Sachen auf, die unsereiner gar nicht merkt. Na ja, da wird man nicht viel machen könn, auch zukünftig, mein ich. Er ist halt mein erster Mann gewesen, mein erster und einziger, da war ich noch nicht mal siebzehn. Mit achtzehn kam die Tanja, und mit zwanzig der Sebastian, und als ich mit Anja schwanger war, da war er beim Studium und hat mit anderen rumgebumst, obwohl ich mich nie verweigert habe, er hat ja Kinder, für die er zahlen muß, deshalb hat’s vorn und hinten nicht gelangt. Er ist in die Partei, sonst hätten sie ihn rausgeschmissen, vom Studium, die haben nämlich drauf geachtet, ob einer Familie hat und wie er sich benimmt. Er wollte mich wirklich sitzenlassen, mit drei Kindern. Und da hab ich gesagt: Ich bring dich um. Wenn du das tust, bring ich dich um. Mehr hab ich nicht gesagt, und da hat er’s gelassen und ist wieder jeden Freitag nach Hause gekommen, und dann war das Studium rum. Inzwischen sagt er, daß ich recht hatte, damals. Und ich sag ihm jetzt, der Herr Türmer, der schätzt mich so, daß ich genausoviel verdien’ wie du, das heißt, er kann froh sein, dasselbe wie ich zu bekommen, und überhaupt, daß er dabeisein darf, bei so was Großem wie hier.«
«Ja«, sagte Mona,»bei was Großem, das ist toll. Aber die Männer, da geht’s immer nur ums Vögeln, das ist wirklich so. Ich hab nich was dagegen, aber wenn’s doch immer nur darum geht. Und wenn ich dann seh, wie sie die Frauen sitzenlassen nach zehn oder zwanzig Jahren, das ist erbarmungslos, richtig erbarmungslos, als gäb’s wirklich nur das. Deshalb ist’s schön, wenn’s noch was gibt, was anderes, Großes. Und nächstes Jahr will ich dann rumfahren. Wir freuen uns so, daß Sie gekommen sind!«
Ich dachte schon, wir hätten es hinter uns, da fing Ilona mit ihrer Selbstmordgeschichte an, die ich schon kannte, aber sie haspelte das Ganze so herunter, daß es eigentlich niemand verstand. Fred sagte nur, ihm tue es leid, daß er den Wehrdienst verweigert habe. Denn jetzt sei keine Zeit mehr, ein Studium nachzuholen, und der Kopp, er stieß sich mit der Faust gegen die Stirn,»is ooch nüscht mer gewohnt«. Jetzt seien sie wirklich — pardon, aber es gebe nun mal kein anderes Wort dafür — die Angeschissenen. In der DDR war’s nicht weiter schlimm, Heizer zu sein. Aber jetzt. Was habe er denn schon lernen können? Die Lust an dem ganzen Jubel und Trubel sei ihm vergangen. Ein schönes Auto vielleicht, aber sonst? Noch mal zehn, fünfzehn Jahre jünger sein …
Als sich unsere Blicke trafen, sagte Fred:»Na is so, is wirklich so!«
«Mir geht’s gut!«sagte Manuela, erhob sich, stemmte die Arme in die Hüften, wie um ihren grünen Hosenanzug zu präsentieren.»Ich hab ja nicht geglaubt, daß es das mal geben könnte, aber gehofft hab ich immer, daß ich was für mich finde, das Spaß macht und viel Geld bringt. Ich verdiene viel mehr als der Chef!«rief sie und drehte sich dabei hin und her.»Wenn ich erst mal die Zeitung in der Hand habe, muß ich gar nichts mehr sagen. Dann sammle ich die Anzeigen nur noch ein. «Kurt pfiff durch die Zähne, aber Manuela beendete unbeirrt ihren Werbetanz.
Plötzlich richteten sich alle Blicke auf mich. Selbst Vera und Michaela sahen herüber, nicht fordernd, eher geduldig, bereit zu warten.»Und jetzt du«, sagte Fred.
«Seine Hoheit«, rief Jörg, Seine Hoheit habe das Wunder bewirkt, uns zum Reden zu bringen. Und dafür seien wir ihm alle dankbar.
Ich habe dann darüber gesprochen, wie es vor einem Jahr gewesen ist und vor einem halben und daß ich mir nie hätte vorstellen können, wieviel Spaß mir das tätige Leben machen würde.
Mit Sekt stießen wir auf den Erbprinzen an, der sein Glas nur symbolisch erhob, denn er trinkt keinen Alkohol. Er sah müde aus, und ich machte mir Vorwürfe, nicht auf ein schnelleres Ende gedrängt zu haben. Er wünsche jedem von uns das Beste, von ganzem Herzen, und hoffe doch sehr, daß wir morgen wieder Gelegenheit hätten, einander zu sehen.
Schorba und ich trugen ihn hinunter. Dort hatte sich ein kleiner Menschenauflauf um den Wagen gebildet, auf dessen Nummernschild» Texas «stand. Massimo hob den Erbprinzen hinein, der Erbprinz winkte noch einmal.
Auf dem linken Handrücken des Erbprinzen prangte deutlich der Abdruck eines Lippenstiftes. Vera hatte es ebenfalls bemerkt. Der Erbprinz lächelte, als er unsere Blicke gewahrte, und verbarg das rote Zeichen mit der anderen Hand.
Wir saßen abends im Gästehaus der Stadt in kleiner Runde zusammen und aßen belegte Brote mit sauren Gurken, wie es sich der Erbprinz gewünscht hatte. Nun wird wohl alles gut werden.
Sei umarmt von Deinem Enrico
Mein lieber Jo!
Gleich ist es fünf. Wenn Du diese Zeilen hier liest, steht längst fest, ob wir Weltmeister geworden sind oder nicht. 365Hier glaubt jeder an den Sieg! Ich sitze in der» Loggia«, wie Cornelia die Holzveranda am neuen Haus nennt, und sehe über die Stadt. Auf meinem Schreibtisch Kaffeetasse und Milchkännchen, dazu gut verteilt schwere Löffel (Mutter hat ihr Silbernes mitgebracht), weil mir sonst die Papiere davonfliegen. Das Seewetter treibt ganze Herden dunkler Schatten durch die Straßen. Sollte ich je einen Roman schreiben, müßte er so beginnen, mit diesem Blick. 366
Links von mir, auf dem runden Tisch, steht noch das Kaffeegeschirr von gestern. Das Obst und die Blumen, für beides sorgt Vera im Übermaß, duften. (Vera, der die Vögel zu laut sind, schläft bei geschlossenen Fenstern bis Mittag.) Sämtliche Stühle und Korbsessel, die uns Andy überlassen hat, sind mit Veras Klamotten belegt, als wolle sie ihr Territorium markieren. Michaela ist auf Vera eifersüchtig, nicht ohne Grund. Seit Veras Ankunft verzieht sich Barrista ständig» auf die Baustelle«, womit allerdings unsere Veranda gemeint ist, auf der er Zigarren raucht und sich von Vera» Drinks «servieren läßt (das Geläut der Eiswürfel schreckt Astrid auch aus dem tiefsten Schlaf, sie ist ganz närrisch auf Eis). Selbst in Michaelas Anwesenheit spricht Barrista mit Vorliebe von zurückliegenden Abenteuern, und auch das nur in Andeutungen, deren eigentlichen Sinn wohl nur Vera versteht.
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