»Was haben Sie?« Ihre Hände hielt sie ausgebreitet, ihr Oberkörper war zu ihm herabgebeugt.
»Das wissen Sie genau.«
»Nein«, sie schüttelte den Kopf.
»Vergiftungssymptome.«
Sie reagierte nicht. Sah ihn nur unverwandt an, als wüsste sie nicht, was sie sagen sollte, legte sich etwas zurecht.
»Was haben Sie mit dem Essen gemacht?«
Ihre Augen wanderten zur Toilette, sie drehte sich um, sah zum Esstisch, wieder zur Toilette und schließlich ihn an.
»Sie sind verrückt. Dass Sie einen Arzt brauchen, so verrückt.«
»Es hat gekribbelt. Mein Arm hat gekribbelt. Ich konnte die Hand nicht bewegen. Nicht sprechen, leugnen Sie nicht, dass ich nicht sprechen konnte. Ich rutsche vom Stuhl, haben Sie gesagt.«
Sie antwortete nicht, sah auf die Fliesen, schien nachzudenken, arbeitete an einer Erklärung, zwischen ihren Augenbrauen zwei steile Falten.
»Der Mann meiner Chefin hatte einen Schlaganfall«, sagte sie langsam, »er hat vorher auch immer gesagt, es würde kribbeln.«
Das also hatte Sie sich zurechtgelegt.
»Was haben Sie mit dem Essen gemacht?«, wiederholte er, hockte noch immer auf den harten Fliesen, seine Knie taten weh.
»Sie müssen zum Arzt«, sagte sie.
Er richtete sich auf, schob sich an der Toilette hoch, es war zu spät, die Arztpraxen hatten lange geschlossen, er betastete nochmals die Oberlippe, sie kribbelte nicht mehr.
»Oder ins Krankenhaus«, sagte sie.
Er schüttelte den Kopf. Er würde seine Wohnung nicht verlassen, sie ihr überlassen, es konnte ein Trick sein, um ihn für längere Zeit loszuwerden. Sein Körper fühlte sich wieder normal an, er bewegte die Zunge auf und ab, rollte sie ein, streckte sie so weit heraus, wie er konnte, Frau Potulski runzelte die Stirn, die Zunge gehorchte ihm.
Er würde morgen zum Arzt gehen, es war Jahre her, seit er das letzte Mal beim Arzt war, wegen des Ischias, er hoffte, die Praxis existierte noch.
»Was haben Sie mit dem Essen gemacht?«
»Nichts ist mit die Essen«, sie brüllte plötzlich los.
»Dem Essen«, korrigierte er. Wortlos ging sie an ihm vorbei, aus dem Bad, ging zum Esstisch.
»Nichts anfassen, alles liegen lassen«, er beeilte sich, hinter ihr herzukommen, die Beweismittel sichern, er musste die Beweismittel sichern.
»Was haben Sie ins Fleisch getan?«
Sie stöhnte auf, setzte sich, schob ihren Teller beiseite, zog seinen zu sich herüber.
»Nicht«, sagte er, streckte ebenfalls die Hand aus. Sie hob den Ellbogen, ihr Blick ließ ihn innehalten. Schwarz, ihre Augen waren schwarz, nichts Weißes mehr sichtbar, er blieb still neben dem Tisch stehen. Sie nahm sein Besteck, schnitt ein Stück Schnitzel ab, steckte es, ohne zu zögern, in den Mund, wandte ihm ihr Gesicht zu, kaute, sah ihn unentwegt an und kaute, schluckte, »lecker«, sagte sie. Schnitt den nächsten Bissen ab und aß ihn. Er sah zu, wie das Schnitzel immer kleiner wurde, sie kaute ruhig, sah ihn nicht mehr an, strich ein wenig Püree auf das Fleisch, ein paar Pilze, ehe sie die Gabel in den Mund schob. Still war es. Nur das Besteck auf dem Teller war zu hören, ihre Kaugeräusche, ihr Schlucken. Sie streckte die Hand nach ihrem Glas aus, seelenruhig, trank einen Schluck Wasser, ihre Arme bewegten sich mühelos, sie schien nichts zu fühlen, kein Kribbeln, nichts.
»Dann war es eben nur auf der einen Hälfte des Fleisches«, sagte er.
Es klirrte laut, als sie das Besteck auf den Teller warf.
»Sie sind krank«, sagte sie.
»Wo ist es?«
»Was?«
Er würde keine Antwort bekommen. Er ging ins Bad, holte ihren Kulturbeutel aus dem Regal, schraubte den Cremetiegel auf, der Inhalt, hellrosa, sah normal aus, roch süßlich nach Parfum. Er öffnete die Wimperntusche, zog die Bürste heraus, drehte die Flasche um, nichts, nicht einmal ein schwarzer Tropfen kam aus der Öffnung. Er sah auf, sah in den Spiegel, blass sei er, hatte sie gesagt. Er streckte die Zunge heraus, streckte sie weit heraus, rollte die Spitze ein. Die Zunge weiß belegt, er bewegte sie hoch und runter, seine Zunge sah normal aus. Er strich mit den Fingern über seine Oberlippe, fühlte nur Stoppeln, kein Kribbeln, keinen Schmerz.
Er nahm alle Sachen aus dem Schrank, die Pappschachtel mit Reis, mit Knödeln, Halb und halb , Nudelpackungen, Tütensuppen, Erbsen und Möhren in der Dose, Kartoffelsuppe, das alte Honigglas, in dem er Gummibänder sammelte, die Klarsicht- und die Alufolie, Butterbrotpapier, das Glas, in dem er die Drahtclips für die Brottüten aufbewahrte. Stellte alles auf die Arbeitsplatte, als sie voll war, auf den Tisch und die Sitzflächen der Stühle.
»Ich räume das nicht auf.«
Jana Potulski lehnte am Türrahmen, die Beine übereinandergeschlagen, die Arme verschränkt, und sah ihm zu. Unvermittelt lachte sie hell auf, schüttelte nur den Kopf, als er sich nach ihr umdrehte. Er fühlte, wie sich die Kauflächen seiner Backenzähne aufeinanderpressten. Zog den einzig freien Stuhl heran, stieg auf die Sitzfläche, schob die Gegenstände beiseite, ein verstaubtes Päckchen Zimtstangen fiel zu Boden, und kniete sich auf die Arbeitsplatte. Er richtete sich auf, konnte das gesamte Innere des Schranks überblicken. Er war leer, kein kleines Päckchen oder Fläschchen, ganz hinten in einer Ecke, nichts. Frau Potulski bückte sich nach dem Zimt, legte ihn behutsam auf den Küchentisch.
»Tun Sie, was Sie für richtig halten«, sie lächelte, nicht unfreundlich und ging.
Er konnte das Leder der Couch knarren hören unter ihrem Gewicht, ließ seinen Rumpf auf die Fersen sinken. Als er hinabsteigen wollte, fiel sein Blick auf das Fenster, die Küche spiegelte sich in der Scheibe. Er sah sich ungeschickt auf der Arbeitsplatte knien, sah sich schwanken, als er ein Bein nach der Sitzfläche ausstreckte, musste sich an der geöffneten Schranktür festhalten, sonst wäre er nach hinten gekippt. Er sah hinab, das Beige der Arbeitsplatte war das gleiche wie das ihrer Jacke, bemerkte er, streckte das Bein weiter aus, war erleichtert, als sein Fuß den Stuhl berührte.
»Arme hoch«, sagte er, »Arme vom Körper abspreizen.«
Sie sah zu ihm auf, ein Buch lag aufgeschlagen auf ihren Oberschenkeln.
»Die Beine leicht auseinander«, sagte er, sie zog eine Augenbraue hoch.
»Aufstehen!« Er brüllte.
Sie stand auf, hob die Arme, hielt sie angewinkelt über dem Kopf wie im Film, Hände hoch, ihre Lippen zusammengepresst, nicht wütend, nein, belustigt, als unterdrücke sie ein Lachen.
Er tastete zunächst ihre Seiten ab. Begann unter den Achseln, ließ die Handflächen hinabgleiten, fest gegen ihre Rippen gepresst, hinabgleiten bis zu ihrer Taille, tastete den Hosenbund ab, fuhr mit den Händen über ihre Hüftknochen, die Hosentaschen, sie waren leer. Seine Hände glitten die Außenseite ihrer Beine entlang, er musste weiter runter. Er ging vorsichtig in die Hocke, kniete sich schwerfällig auf die Dielen, sah nicht hoch, er wusste, sie lächelte. Die Hosensäume glitten durch seine Finger, nichts, kein Päckchen, keine Tabletten, nichts. Er umfasste ihre Knöchel.
»Und nun?«
Er sah auf, sie hatte die Augenbrauen hochgezogen, hochgezogen zu spitzen Dreiecken.
»Soll ich mich ausziehen und nach vorn beugen?«
Er wollte aufstehen, versuchte sich aus der Hocke hochzudrücken, seine Oberschenkel zitterten, er musste sich festhalten, an ihren Beinen, seine Knie knirschten, als er sie durchdrückte, er stand so dicht vor ihr, dass ihre Bäuche sich beinahe berührten.
»Damit Sie alle Öffnungen durchsuchen können?« Ihr Tonfall belustigt. Unvermittelt wandte sie sich ab, die Entfernung zwischen ihren Bäuchen wuchs rasch.
»Sie müssen die Küche aufräumen«, sie deutete zum Esstisch, »sonst kann ich nicht abwaschen.« Nahm das Buch und setzte sich wieder auf die Couch. Sie konnte es geschluckt haben. Sicher verpackt. Rauschgifthändler taten das, nicht zu seiner Zeit, er hatte davon in der Zeitung gelesen, verpackten es in Gummi und schluckten es. »Die Küche«, sagte sie.
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