Inger Gammelgaard Madsen
Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11
Saga
Blaue Iris - Roland Benito-Krimi 11 Übersetzt Kirsten Vesper Cover Bild: Shutterstock Copyright © 2019, 2019 Inger Gammelgaard Madsen und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726094862
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Das Eis auf dem Fjord reflektierte das Licht und blendete sie. Der Schnee knirschte unter den Sohlen, Eiskristalle glitzerten auf der spröden Oberfläche; der Himmel war blau, die Luft frostklar und schneidend. Einer dieser Tage, an denen sie es liebte, mit Smiley spazieren zu gehen. Der Hund war in der weißen Landschaft schwer zu sehen, aber jetzt lief er ihr freudig entgegen. Genau deswegen hatte sich für einen Samojeden entschieden, weil es aussah, als ob er immer lächelte. Das gab ihrem Leben einen positiven Hauch, nun, da Simon sie nicht mehr anlächelte.
Er war direkt nach Neujahr begraben worden und sie war froh, dass sie trotz allem Weihnachten und Neujahr zusammen hatten verbringen können, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt krank gewesen war. Jetzt war ein ganz neues Jahr angebrochen. Der Januar war dunkel und lang und hatte gerade erst angefangen, aber sie hatte beschlossen, dass es ein gutes Jahr werden sollte. Simon hatte nun seinen Frieden und sie hatte die Kinder und Enkel – und Smiley. Martha Bæk warf einen Schneeball und der Hund stürmte ihm nach, so schnell es der Schnee erlaubte. Die Rasse stammte aus Sibirien, wo sie zusammen mit den Nomadenstämmen lebte und als Schlittenhund gebraucht wurde und sie konnte auch deutlich sehen, dass er die Winterlandschaft genoss.
Ihr Atem blieb in der kalten Frostluft hängen. Sie rieb die Handschuhe aneinander und schlug die Arme um ihren Leib, während sie nach dem Hund schaute. Jetzt verschwand er hinter dem Hügel runter an den Fjord. Sie pfiff, aber Smiley hörte nicht. Sie seufzte und folgte der Spur des Hundes. Als sie oben auf dem Hügel angekommen war, entdeckte sie zuerst eine dunkle Gestalt und danach Smiley, der am Fjordufer um die Gestalt herumtanzte. Es sah aus, als versuchte die Person den Hund zu verjagen. Martha pfiff erneut. Smiley war viel zu zutraulich, verspielt und gesellig – jedenfalls kein guter Wachhund. Aber normalerweise hörte er.
Sie versuchte auf dem Weg den Hügel hinunter im Schnee das Gleichgewicht zu halten. Die Stiefel rutschten und mehrmals verlor sie beinahe den Halt, fing sich aber wieder.
„Smiley!“, rief sie und pfiff noch mal, so laut sie konnte.
Jetzt bemerkte die Person in dem schwarzen Mantel sie. Sie konnte nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war, ebenso das Gesicht nicht sehen, es war unter einer Kapuze mit Pelzkragen verborgen.
„Sie müssen keine Angst haben, der tut nichts! Er heißt Smiley!“, rief sie und lächelte, obwohl man das von da unten aus der Entfernung sicher nicht sehen konnte. Sie bereute, Smiley losgemacht zu haben, aber in der Regel ließ er sich leicht abrufen, und sie hatte nicht erwartet, hier auf dem freien Feld so früh jemanden zu treffen.
Plötzlich rutschte sie aus und stöhnte vor Schmerzen, als eine Sehne im Knie riss. Sie versuchte es beharrlich, kam aber nicht mehr hoch. Dieses Knie hatte immer schon Probleme bereitet.
„Hallo! Können Sie mir helfen? Mein Bein ist verletzt“, rief sie und winkte der Gestalt, die neben dem Boot stand, über das sie sich schon gewundert hatte. Es hatte den ganzen Winter dagelegen, voller Wasser, das zu Eis gefroren war. Das tat einem Boot nicht gut. Smiley war selbstverständlich dorthin gelaufen, das machte der Hund jedes Mal, und letztes Mal hatte sie ihn von dem Boot wegziehen müssen, um ihn mit zurück zum Auto zu nehmen. Bestimmt zogen ihn diese blauen Lilien an, die auf dem Eis lagen – oder ob es wohl Iris waren? Simon war der bessere Botaniker gewesen. Sie hatte sich auch gefragt, warum da Blumen lagen. Sie wirkten völlig fehl am Platz, aber heutzutage passierten so viele seltsame Dinge.
Sie winkte, im Zweifel, ob sie übersehen worden war. Konnte man das? Smiley reagierte auch nicht. Der Hund bellte und folgte der Person, die sich in den Schneewehen abwehrend von ihm weg in die entgegengesetzte Richtung bewegte und plötzlich losrannte. Smiley lief hartnäckig hinterher und bellte laut. Er dachte sicher, sie würden spielen. Aber warum rannte der Fremde? War sie hier oben auf dem Hügel so schwer auszumachen? Blauer Mantel in weißem Schnee. Das müsste man eigentlich sehen.
Martha stöhnte vor Schmerzen, als sie nochmals versuchte, auf die Beine zu kommen und sich sofort wieder in den kalten Schnee legen musste. Die Hose war durchnässt und sie fror wie ein Schneider. Sie rief erneut und versuchte lauter zu schreien.
Die Person hielt jäh inne und schaute zu ihr hinauf. Das Morgenlicht fiel in die Kapuze und verblüfft erkannte sie das Gesicht selbst aus dieser Entfernung.
„Du bist das?! Was in aller Welt machst du hier so früh? Komm her und hilf mir, ich komme allein nicht mehr auf die Beine!“, rief Martha und winkte wieder. Smiley verfolgte den Ärmsten weiter, schnappte nach den Waden und erwischte das eine Hosenbein, an dem er riss und zerrte, während sein Opfer kämpfte, um freizukommen. Was war nur mit ihm los? Das war kein Spiel mehr.
Ein wütendes, zurechtweisendes Kommando an Smiley blieb ihr im Hals stecken, als er plötzlich herzzerreißend winselte und zusammensackte. Um Atem ringend versuchte Martha wieder vergeblich, auf die Beine zu kommen, als sie den Hund im Schnee ein paarmal zucken sah, bevor er still und reglos liegen blieb.
„Smiley!“, schrie sie.
Jetzt drehte sich die Gestalt um und kam langsam und zielstrebig zu ihr hoch.
Es hatte leicht zu schneien angefangen, als Roland Benito an der Stelle am Norsminde Fjord ankam, wo die Frau von ein paar Kindern gefunden worden war, die auf den schneebedeckten Feldern Schlitten fahren wollten. In der Sonne sahen die Flocken wie feine, weiße Daunen aus, die langsam vom Himmel fielen. Ein hübscher Anblick vor dem Eis des Fjordes, das wie Gold glänzte.
Mein erster Fall, dachte er, während er durch die Schneewehen zu den Kriminaltechnikern in blauen Schutzanzügen stapfte, die sich zusammen mit der Rechtsmedizinerin Natalie Davidsen hinter dem Hügel befanden. Waren die Anzüge heute blau statt gewohntermaßen weiß, damit sie sich vom Schnee abhoben oder dachte sein Gehirn nach längerer Abwesenheit vom normalen Polizeidienst bloß an etwas anderes, bevor er mit dem Anblick konfrontiert werden sollte, vor dem er in den knapp vier Jahren als Ermittler bei der Unabhängigen Polizeibehörde überwiegend verschont geblieben war? Eine Leiche.
Er war bei seinem Auto selbst auch in einen Anzug geschlüpft. Er knisterte beim Laufen im Frost. Roland versuchte, nicht in die vor ihm liegenden Fußspuren zu treten, die bald vollständig von frisch gefallenem Schnee bedeckt sein würden. Neben die am deutlichsten sichtbaren hatten die Kriminaltechniker gelbe Schildchen mit Nummern gestellt.
Die Frau war als Martha Bæk identifiziert worden. Man hatte ihr Auto im Starupvej gefunden.
Selbstverständlich war das nicht sein erster Fall. So fühlte es sich allerdings an, obwohl er in der Mordkommission im Polizeipräsidium in Aarhus viel länger gearbeitet hatte als bei DUP. Er hatte dem Angebot des Polizeipräsidenten nicht widerstehen können und Irene hatte recht, wenn sie sagte, dass er es vermisst hatte, wirkliche Verbrechen aufzuklären, statt gegen Polizeibeamte zu ermitteln, die das Gesetz übertreten hatten. Der Ermittlungsleiter bei DUP, Viktor Enevoldsen, war natürlich von seiner Kündigung überrascht gewesen, hatte dann kurz darauf aber lächelnd den Kopf geschüttelt und gesagt, er habe geahnt, dass das eines Tages passieren würde, da Roland sich nie daran hatte halten können, nur gegen Polizeibeamte zu ermitteln, sondern immer stärker in die Fälle selbst involviert gewesen war, mit denen man ihn in der Behörde betraut hatte. Manche seien einfach geborene Ermittler und Roland einer von ihnen. Er würde Viktor Enevoldsen, Karina Ottesen, Mark Haldbjerg und all die anderen bei DUP vermissen, aber nun würde er wieder mit seinen alten Kollegen zusammenarbeiten und den neuen, die in den Jahren seiner Abwesenheit dazugekommen waren.
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