Er nahm eine Scheibe Graubrot, die Butter war kalt, ein fester hellgelber Klumpen, der am Messer klebte, ein Loch in die Brotscheibe riss, als er versuchte, ihn zu verschmieren.
Das Messer erzeugte einen metallenen Misston, jedes Mal, wenn es gegen den Teller stieß, je leiser er sein wollte, desto lauter. Er verbrannte sich die Zunge, der Tee war heiß, er sog mit offenem Mund Luft an, sie hatte keinen Grund, so zu sein. Keinen. Er sollte wütend sein, sie hatte geschnüffelt, gespitzelt, alles aufgezogen, geöffnet, angefasst und besehen.
Sie saß noch immer auf dem Sofa, das Gesicht zum Fenster gewandt, die Arme vor der Brust verschränkt.
»Wo ist die Tischdecke«, fragte er. Vor ihr auf dem Couchtisch stand ein Teller mit einem angebissenen Honigbrot, daneben lag der Pommernbildband, sie hatte ihn nicht weggeräumt.
»Dreckig, vollgekleckert mit Kartoffelsuppe«, sie sah nicht zu ihm hin, sie sah weiter aus dem Fenster, den dicht kreiselnden Schneeflocken zu.
»Sie kommen mit«, sagte er.
»Wohin?«
»Zum Alexanderplatz.«
Endlich drehte sie den Kopf, wandte ihm das Gesicht zu, zwischen Nasenflügel und Mundwinkel eine scharf gezeichnete Linie, ihre Lippen zusammengepresst.
»Und dort?«
»Fotografieren.«
»Es schneit.«
»Darauf habe ich lange gewartet.«
Er drehte sich, ehe sie antworten, ihre Stirn runzeln konnte, drehte sich um und ging. Schloss die Wohnungstür auf, die Zeitung lag wie immer auf dem Boden, er schlug noch im Gehen die Brandenburgseiten auf, überflog die Polizeinachrichten, nichts. Der Schirm hing wieder an dem Garderobenhaken.
Sie war ihm böse. Er fühlte, sie war ihm böse. Fühlte es mit der Haut zwischen seinen Schulterblättern, mit den Muskeln im unteren Teil seines Rückens, die sich verspannten, eine niedrige Wand wurden, gegen die das Porzellanscheppern, mit dem sie ihren Teller auf den Küchentisch stellte, brandete und zurückgeworfen wurde. Er fühlte es an der Luft, die sie verdrängte, während sie in wütenden kurzen Bewegungen das Pedal des Mülleimers heruntertrat und die Krümel von seinem Teller hinabrieseln ließ, den Teller knallte sie neben ihn in die Spüle, das Besteck auch. An der Luft, die rasch seinen Rücken, seine Schultern, seine Ärmel entlangstrich, schneller und mehr als sonst. Er sah nicht zu ihr hin. Er machte Tee. Stand vor dem Herd, fühlte die Wärme der Gasflamme an seinem Bauch, starrte den Kessel an, beige und mit rotem Blumenkranz und schwarz, vom festgebrannten Fett. Er nahm die Pappschachtel Pfefferminztee vom Bord, hängte zwei Beutel in die Kanne und fühlte, sie war ihm böse.
Er schmierte die Brote, vier Mettwurst, vier Schmelzkäse, tat die Thermoskanne in die Plastiktüte, wickelte sie zusammen, legte sie in die Tasche. Einen zweiten Becher könnte er einpacken, stattdessen nahm er den Apfelsaft aus dem Kühlschrank.
»Sie brauchen Handschuhe«, sagte er.
»Ich habe keine.«
Er zog die Schublade der Flurkonsole auf, »es ist kalt«, sagte er, in einem Müllbeutel hatte er die Handschuhe, Schals, Tücher und Mützen seiner Frau in die Altkleidersammlung gebracht, die Konsole war fast leer. Sie sah ihm zu, an den Türrahmen gelehnt.
»Ich weiß«, sagte sie, »ich weiß, dass es kalt ist. Deshalb will ich nicht mitkommen.«
Er nahm ein altes Paar Lederhandschuhe und hielt sie ihr hin.
»Die sind zu groß«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust, »die sind viel zu groß.«
»Wie Sie wollen«, er legte die Handschuhe auf die Konsole, »es sind Ihre Hände, die frieren werden.«
Entschlossen nahm er den Schirm von seinem Haken, »den nehmen Sie«, sagte er, »Sie kennen ihn ja schon«, und legte ihn neben die Handschuhe.
Sie hielt den Blick gesenkt auf die Treppenstufen hinab zur U-Bahn. Schwieg auch, als sie am Automaten vorbeigingen, er hatte eine Monatsmarke, er brauchte keine Fahrkarte. Sie sah hinab zu den Gleisen, fragte nicht, bat nicht.
»Wir können durchfahren«, sagte er, um etwas zu sagen, »müssen nicht umsteigen.« Stumm war sie neben ihm zur Station gegangen, langsam diesmal, er hatte sie antreiben müssen, auf das Licht verwiesen, das mit der Sonne schwinden würde. Frau Potulski hatte ihr Gesicht abgewandt, die Schaufenster betrachtet, die Betrunkenen vor dem Kiosk, hatte weiter gemächlich einen Turnschuh vor den anderen gesetzt.
»Wie war sie?« Frau Potulski sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, drei Minuten leuchtete grün auf der Anzeigetafel.
»Wer?«
»Ihre Frau«, antwortete sie, sah ebenfalls hoch zu den drei Minuten.
Er traute den Anzeigen nicht, die Minuten schienen immer so lang zu dauern, wie es den Verkehrsbetrieben dienlich war. »Hausfrau. Nichts Besonderes.«
»Hat keine Kinder gekriegt«, setzte er hinzu, mehr war nicht zu sagen.
»Höher, Frau Potulski, höher«, er presste das rechte Auge gegen die Gummifütterung des Kamerasuchers. »Der Schirm ist immer noch im Bild.« Er richtete sich auf, sie hatte die Augen verdreht, viel Weiß war zu sehen.
»Mir ist kalt«, sie klang erbost, ihre Nase gerötet im kälteblassen Gesicht, die Lippen bläulich, mit kleinen weißen Hautfetzen bedeckt.
»Halten Sie ihn höher, dann geht es schneller.«
Er beugte sich wieder hinab, zwei Männer standen vor der Tafel neben der Kirchentür, studierten sie eingehend, er musste warten.
»Machen Sie Ihr verdammtes Bild«, sie stampfte einen Turnschuh in den vereisten Boden.
»Höher«, entgegnete er.
»Meine Nase«, sie ließ den Schirm erneut sinken, durchwühlte ihre Taschen, ein durchsichtiger Tropfen hing an ihrer Nasenspitze, schließlich wischte sie ihn mit dem Ärmel ab.
»Sie sind widerlich«, sagte er, auf dem Ärmel war ein dreieckiger Fleck, feucht noch, bald würde er silbrig getrocknet sein, »nehmen Sie ein Taschentuch.«
»Ich habe keins«, sie betonte jedes Wort einzeln, Schneeflocken legten sich auf ihre Wimpern, schmolzen dort, das Wasser ließ sie die Augen zukneifen.
»Hier«, er reichte ihr eines von seinen, sie nahm es, ohne ihm zu danken.
Aus dem Taschentuch wurde in kürzester Zeit ein feuchter, grauer Klumpen. Jedes Mal, wenn sie ihre Nase putzte, klappte sie den Schirm zusammen, klemmte ihn zwischen ihre Knie, Schneeflocken setzten sich auf die Kamera, er versuchte, sie mit den Händen abzuschirmen. Jedes Mal zog sie die Handschuhe von ihren Fingern, steckte sie in die Jackentasche, holte den grauen Klumpen hervor und schnäuzte sich.
»Beeilung, die Kamera«, sagte er.
Ungerührt zog sie die Handschuhe wieder an, prüfte bei jedem Finger einzeln, ob sie richtig saßen.
Er sah durch den Sucher. Vor dem Kirchenportal sammelte sich eine Gruppe Touristen um eine Frau, die ein Schild hochhielt, auf dem Guide stand.
Seine Hände wurden kalt, »kurze Pause«, er drehte den Deckel auf das Objektiv, zog die Regenhaube über die Kamera. Zuoberst in der Tasche lag der Saft, er reichte ihn ihr, sie nahm ihn, ohne zu zögern, klappte stumm den Schirm zusammen. Als er die Thermoskanne aus der Tüte wickelte, konnte er ihre laue Wärme durch seine Handschuhe spüren.
Er schraubte den Becher von der Kanne und klemmte ihn zwischen die Knie, er brauchte beide Hände, um den Verschluss aufzudrehen.
»Soll ich«, fragte sie.
Das Gewinde schmatzte, als es nachgab, kleine Teebläschen zerplatzten an der Öffnung.
»Ich mache das jeden Tag«, antwortete er.
Er gab acht, nicht zu tropfen, nichts zu vergeuden, goss den Becher nur halb voll, das genügte, um zu wärmen, neun halbvolle Becher konnte er aus einer Kanne rausholen, manchmal fast zehn. Er hielt die Tasse mit beiden Händen, der aufsteigende Dampf legte sich warm auf seine Wangen.
»Und ich«, fragte sie.
»Soll ich?« Er stellte den Becher auf dem Taschendeckel ab, streckte die Hand nach der Saftpackung aus, sie sah hinab auf ihre Hände, als hätte sie den Saft vergessen. »Ich brauche den Tee«, sagte er, die Saftpackung hatte einen Drehverschluss, seine Handschuhe rutschten ab, »meine Finger«, sagte er, »meine Finger werden steif.«
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