Er zog sich zusammen, in der dünnen Restwärme unter der Decke, zog die Knie an, bis er die Füße mit den Händen berühren konnte, seine Füße kalt und fremd. Im Flur niemand, aus dem Wohnzimmer kein Laut. Reglos lag er da, fühlte sein Herz schlagen, stetig und schnell.
Er schlug jäh die Decke zurück, stieß sie mit den Füßen von sich, er wollte zum Fenster, wollte die Vorhänge aufreißen, die Dielen kalt unter seinen Sohlen. Er sah sie gerade noch rechtzeitig, fing den Schritt in der Luft ab, setzte ihn knapp neben die weißen Quadrate auf den Boden. Sie lagen mit der Vorderseite nach unten, so gingen sie kaputt, Agfa las er, Agfa in Blassbraun. Er zog die Vorhänge auseinander. Sie haben sie umgebracht. Schneegriesel sank auf die leere Straße hinab, Sie haben sie umgebracht, kreiselte und tanzte im Licht der Laternen. Ein glühendes Band schlang sich um seinen Steiß, als er sich hinabbeugte, »Ischias«, sagte er leise vor sich hin, die Bilder intakt, keine Kratzer, kein Fett.
Er meinte die Dielen zu hören, die Dielen im Flur, unter ihrem Gewicht.
»Fenster auf, wenn Sie fertig sind«, brüllte er.
Die Badezimmertür schlug zu, sie drehte den Schlüssel.
Es gab keinen Grund, leise zu sein. Barfuß zu gehen. Zu überlegen, welche Dielen knarrten. Keinen, bei jedem Geräusch im Flur stillzustehen, die Bilder fest gegen den Bauch gepresst. Im Bad Regentropfen auf einem Plastikdach. Es gab keinen Grund zu denken, unter der Dusche würde sie ihn nicht hören, und dann zu eilen.
Das Wohnzimmer war ungelüftet. Sie hatte die Stehlampe angeknipst, eine der Birnen nur. Im Lichtkegel auf dem Couchtisch stand ein Glas mit einem Wasserrest, helle Krümel schwammen darin, ekelten ihn. Daneben, akkurat gestapelt, Agfa , las er, lagen die restlichen Bilder, die Vorderseite unten.
Sie hatte ihr Bettzeug nicht weggeräumt, es lag zerknüllt auf dem Sofa, roch säuerlich nach Schweiß. Das Kopfkissen war beinahe zu Boden gerutscht, darunter lugte etwas Blaues hervor. Er hob das Kissen an, das Blaue war die Tasche mit dem aufgenähten Anker. Sie hatte auf ihr geschlafen, hatte sie unter dem Kopfkissen versteckt.
Er nahm die Bilder, blätterte sie eilig durch, wollte nachsehen, ob sie vollständig waren. Sicher war er nicht, er hätte sie zählen können, siebenundvierzig mussten es sein. Er sah sich um, wo hätte sie die Bilder hintun sollen. Die Tasche. Sie konnte die Bilder in die Tasche getan haben. Hatte die Tasche unter dem Kopfkissen versteckt, hatte darauf geschlafen, glaubte, die Bilder seien eine Waffe, glaubte, etwas in der Hand zu haben gegen ihn. Im Bad Stille.
Er zog die Bettdecke zur Seite, in einer der Falten war etwas Orangefarbenes, es fiel auf die Dielen, als er die Decke anhob. Es klang nach Plastik, er sah hinab, dort lag sein Küchenmesser, orangefarbener Plastikgriff, kleine Klinge, das Messer, mit dem sie gestern die Kartoffeln geschält hatte. Er hob es auf, berührte mit dem Daumen vorsichtig die Schneide, sie war scharf. Jana Potulski hatte sich bewaffnet. Er prüfte die Festigkeit der Klinge, sie ließ sich mit zwei Fingern problemlos verbiegen.
Er beugte sich vor, wollte nach der Tasche greifen, sein Fuß stieß gegen etwas Hartes. Neben seinem Fuß, zur Hälfte unter die Couch geschoben, lag ein Schirm. Sein Schirm, schwarz, in einem Kunstlederetui. Der Schirm gehörte an die Garderobe, die Garderobe hatte zwei Haken, einen für die Kleiderbürste, an dem anderen hatte gestern Abend noch der Schirm gehangen. Er ließ sich auf das Sofa fallen, das Kopfkissen fiel zu Boden, es scherte ihn nicht. Die Tasche war sehr leicht, er drückte sie zusammen, versuchte die Bilder zu ertasten, aber da war nur Weiches. Er zögerte, im Bad Stille, kein Wasser zu hören, nichts zu hören. Der Reißverschluss schnurrte leise, das Metall kühl zwischen seinen Fingern. Wäsche. Das schwarze T-Shirt obenauf, eine zerknüllte Unterhose, er schob beides zur Seite, darauf achtgebend, dass er die Hose nicht berührte. Ein Paar Tennissocken, ein schwarzer BH, keine Bilder. Er stand auf, ließ alles liegen, das Kopfkissen auf der Erde, die Tasche offen, den Schirm auf dem Couchtisch, dort, wo die Bilder gelegen hatten.
Der Schuber war noch offen, die Lade herausgezogen, er legte die Bilder zurück, schob die Lade mit dem Schienbein zu. Tat das Messer in die Spüle, es hatte auf dem Boden gelegen, es musste abgewaschen werden.
Er wartete im Schlafzimmer, bis er meinte, die Badezimmertür zu hören, wartete still an die Tür gelehnt, der Bademantel fest verknotet, sein Kulturbeutel unter den Ellbogen geklemmt. Er hatte versucht, die Haare mit den Fingern nach hinten zu streichen, im Schlafzimmer hing kein Spiegel.
Auf der Türschwelle hielt er inne, die Badezimmertür stand einen Spalt offen, das Licht war aus.
Ihre Haare waren noch nass, als er ins Wohnzimmer kam, sie saß auf der Kante der Couch, die blaue Tasche offen vor ihr auf dem Tisch. Die Bettwäsche hatte sie zusammengelegt, sie lag ordentlich gestapelt auf der Armlehne, das Kopfkissen obenauf.
»Wo wollen Sie frühstücken?« Sie sah kurz auf, wünschte ihm keinen guten Morgen, fragte nicht, wie es ihm ginge.
»Küche«, antwortete er, »haben Sie das Fenster aufgemacht?«
Sie nickte stumm.
Beißend kalt war es im Bad, er wartete einen Moment, nachdem er das Fenster geschlossen hatte, setzte sich auf den Toilettendeckel und zog den Bademantelkragen enger zusammen. Der Wannenabfluss glänzte silbrig, keine Haare, keine Seifenspuren. Er könnte die Heizung aufdrehen, ein wenig nur. Er ließ es bleiben, die Rohre knackten, wenn sie warm wurden, wären auch im Wohnzimmer zu hören.
Den Kulturbeutel hatte er ins Waschbecken gelegt. Der Hahn war nicht fest genug zugedreht, langsam lief ein Wassertropfen am grün verkrusteten Sieb zusammen. Er sah zu, wie der Tropfen voller wurde, wie er den Halt verlor und auf dem Beutel aufschlug. Sie hatte geschnüffelt, gespitzelt, alles aufgezogen, geöffnet, angefasst und besehen. Er konnte sie nicht in der Wohnung lassen. Dort, wo der Tropfen aufgeschlagen war, war ein nass glänzender Fleck auf der Tasche. Ein zweiter Tropfen fiel in die Mitte des Flecks, ein wenig Wasser lief die Falten hinab, stockend erst, doch dann beschleunigte es, bevor es im Weiß des Waschbeckens verschwand. Sie musste mitkommen. Die Kirche fotografieren, die kleine Kirche am Alexanderplatz neben dem Park. Nicht wirklich ein Park, eher eine unbebaute Fläche mit Wegen kreuz und quer, mit dürren Büschen und einem abgeschalteten Springbrunnen, der mit Laub gefüllt war. Er war an ihr vorbeigefahren auf dem Heimweg vom Dom, hatte beschlossen zu warten, bis Schnee lag, Schnee auf dem Müll, auf Kot und den Parkplätzen hinter der Kirche, dem löchrig getretenen Rasen, den vereisten Pfützen. Die Kirche am linken Bildrand, im Zentrum vereinzelt Bäume, so hatte er es sich vorgestellt, wie eine Kirche mit Pfarrgarten sollte es ein, menschenleer.
Mühsam stand er auf, die Kälte war schädlich, seine Muskulatur wurde steif. Den Beutel ließ er im Waschbecken, es dauerte, bis seine Finger den Bademantelknoten gelockert hatten. Der Boden der Dusche war bereits trocken, er drehte das Wasser auf, presste die Zähne aufeinander.
Die rote Dose ließ er auf dem Waschbeckenrand stehen, seine Zahnbürste stellte er in den Becher, gab acht, das sie die hellgrüne nicht berührte.
Der Tisch war gedeckt, die Tischdecke fehlte, Teller, Tasse, Messer und Gabel, in eine Serviette gewickelt, lagen auf der weißgrau beschichteten Platte. Teekanne, Marmeladenschälchen, den Wurst- und Käseteller und den Brot- und Butterteller hatte sie danebengestellt. Kein Eierbecher mit weichgekochtem Ei, vermerkte er. Die andere Hälfte des Tischs war leer, ohne Teller und Tasse und ohne Besteck.
Es war sehr still in seiner Küche, die Stuhlbeine schleiften über den Boden, als er sich an den Tisch setzte, es musste auch im Wohnzimmer zu hören sein.
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