»Jana«, fragte die Frau, »Jana Potulska?«
Er sah zum Sofa hinüber, Frau Potulski sah ihn unverwandt an.
»Verwählt«, sagte er schließlich und legte den Hörer auf die Gabel. »Das Radio«, er deutete mit dem Kinn in Richtung Sideboard, »machen Sie es an.«
Sie wollte aufstehen, hielt inne, als das Telefon erneut klingelte. Er hob die Zeitung, schlug sie wieder auf.
»Es ist für Sie«, sagte er.
Er versuchte, nicht zuzuhören, sich auf die Zeitung zu konzentrieren, nicht nach Worten zu suchen in dem fremden Silbenstrom. Ihre Stimme ruhig, freundlich, sie sprach lange, fand er.
»Ihre Adresse«, sagte sie unvermittelt auf Deutsch. »Ich brauche Ihre Adresse«, wiederholte sie.
Er sah auf, sie sprach mit ihm.
»Wozu brauchen Sie meine Adresse?«
Sie atmete tief ein und wieder aus.
»Für den Pass. Irgendwo muss sie ihn hinschicken.«
»Sie blockieren die Leitung«, entgegnete er.
Sie sah ihn stumm an, sprach nicht in den Hörer, saß kerzengerade da, schob das Kinn vor.
»Adresse«, sagte sie.
»Postlagernd«, er sprach mit Absicht leise, sie verstand ihn dennoch, »sie soll ihn postlagernd schicken.«
»Warum darf ich Ihre Adresse nicht …«
»Sie blockieren die Leitung«, wiederholte er.
»Als wenn Sie jemand anrufen würde.«
Sie wechselte wieder ins Polnische, ihr Tonfall schlagartig freundlich.
»Gehen Sie in die Kirche«, fragte sie, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte. Er konnte fühlen, dass sie ihn ansah und wartete.
Nach einer Weile schüttelte er den Kopf.
»Sollten Sie. Sie sind …«, sie senkte die Augen, betrachtete die Platte des Couchtischs.
»Was bin ich?«, seine Stimme klang beunruhigt, stellte er fest.
»Sie sind so traurig«, ihr Zeigefinger zeichnete die Maserung nach, langsam und gründlich.
»Ich bin nicht traurig.« Traurig war abwegig.
»Was sind Sie dann?«
Sie hob den Kopf, musterte sein Gesicht. Er hielt noch immer die Zeitung in der Hand, erleichtert sah er hinab. Zählte stumm die Buchstaben der Überschriften, Frau Potulski musterte seine hängenden Wangen, seine Tränensäcke, er fühlte, dass seine Mundwinkel zitterten, weil er sie aufeinanderpresste.
»Alt«, sagte er schließlich, entzifferte mühsam die Überschrift – die Berliner SPD hatte einen neuen Parteivorsitzenden gewählt.
»Sie wären nicht so allein mit Gott.«
»Ich bin nicht allein.« Er verschickte jedes Jahr eine Fünferpackung Weihnachtsgrüße und erhielt ungefähr die gleiche Anzahl an Karten zurück. Korrespondierte regelmäßig mit der tschechischen Firma, von der er sein Fotopapier bezog. Grüßte sich mit fast allen Nachbarn. Wenn er wollte, konnte er seine ehemaligen Kollegen anrufen, er wollte nur nicht.
»Glauben Sie an Gott«, fragte sie.
Er zuckte mit den Achseln.
»Ich habe lange in Delmenhorst gelebt. Ich habe nicht viele Bekannte in Berlin.«
Seine Frau hatte sich um ihren Freundeskreis gekümmert. Die Literaturdamen kamen regelmäßig zum Kaffee. Den ersten Samstag im Monat hatte sich der Bridgezirkel bei ihnen zu Hause getroffen. Er hatte stumm Zeitung gelesen, während seine Frau reizte, Stiche machte, schnappte, markierte und schnitt. Sie bereitete Platten vor, Sandwiches mit Gürkchen, wie sie versicherte, die er später am Abend herumreichte.
Die ersten Jahre hatte seine Mutter bei ihnen gewohnt, mit Menschen ihres Alters hat sie es besser, betonte seine Frau später. Er war sie am Sonntag oft besuchen gefahren, meist, wenn die Literaturdamen kamen, ihr freier Sonntag, hatte seine Frau es genannt.
Alle waren zur Beerdigung erschienen, einer der Bridgeherren hatte seinen Arm berührt, die anderen waren schweigend gegangen, beim Leichenschmaus hatte er stumm am Tischende gesessen, hatte sich gleichzeitig mit dem Pfarrer verabschiedet, den Kellner bat er, die Rechnung mit der Post zu schicken, nach kurzem Zögern hatte er eingewilligt.
»Gehen Sie ins Bad«, fragte er nach einer Weile.
Er strich mit den Fingerspitzen über die hellbraunen Warzenhöfe, weich und nach außen gewölbt. Bedeckte die Brüste mit seinen Händen, drückte sie zusammen, ihre Brustwarzen rau, gegen seine Handflächen gepresst. Schob die Brüste mit den Handflächen nach oben, zusammen, bis sie hell zwischen seinen Fingern hervorquollen.
Sie sah hinab, betrachtete ihr volles Dekolleté in seinen Händen, unvermittelt zog er die Hände zurück, ihre Brüste glitten auseinander, rutschten abwärts.
»Nun ist gut«, sagte sie.
Er tat, als habe er sie nicht gehört, griff erneut mit beiden Händen zu, schob die Brüste wieder hoch, höher als zuvor. Wo die Brüste auf dem Brustkorb aufgelegen hatten, war die Haut feucht und leicht gerötet. In der Falte des Brustansatzes am stärksten, eine rote Linie, unter den Armen ausfransend.
Er konnte ihre Brustwarzen fühlen, fester als das übrige Gewebe, er schob seine Daumen nach innen. Schob sie zwischen Handfläche und Brust, bis die Kuppen die Warzen berührten, sich die Nägel genau am Übergang zwischen Hof und Warze befanden.
Ihre Augen hatte sie halb geschlossen, ihren Blick auf irgendetwas hinter seiner Schulter gerichtet, er sah sich um, sie betrachtete das Regal, die Rasierseifenlache vielleicht.
Ihre Lider weiteten sich schlagartig, als er zudrückte, seine Daumennägel ins Gewebe presste, fest hineinpresste in den Übergang von Hof zu Warze, die rauen Kügelchen zwischen Daumen und Handfläche eingeklemmt.
Ein heller Laut entfuhr ihr, sie zuckte rückwärts, stieß mit dem Rücken gegen den Waschbeckenrand, zwei steile Falten zwischen den Augenbrauen. Sie bedeckte ihre Brüste mit den Händen, starrte ihn an. Er verschränkte die Arme vor der Brust.
»Raus!«, sagte sie.
Das Bett war frisch bezogen, die Wäsche glatt und angenehm kühl, er lag auf dem Rücken, die Hände warm über dem Bauch gefaltet, die Beine verschränkt. Er hätte ihr nicht weh tun sollen, meinte wieder die kleinen Kugeln zu spüren, gegen seine Handflächen gepresst, rau und fester als das übrige Gewebe. Seine Frau hatte auch nicht gemocht, wenn er kniff oder biss oder sie an den Haaren zog.
Es pochte, kurz und fest, es pochte an der Tür, Fingerknöchel auf Holz, drei Mal, schnell hintereinander. Die Türklinke bewegte sich abwärts, die Tür bewegte sich nicht.
»Ja bitte«, rief er, »was wollen Sie?«
»Machen Sie auf«, ihre Stimme war laut, verzweifelt vielleicht, die Türklinke schlug auf und nieder, sie zerrte an ihr.
»Moment«, er fuhr mit den Füßen in die Pantoffeln. Dumpfe Schläge von der Tür, sie schlug mit der Handfläche gegen das Holz. »Hören Sie auf«, brüllte er, was fiel ihr ein.
Einen Moment war Stille.
»Sie machen jetzt auf«, sagte sie, ruhiger.
»Was wollen Sie«, fragte er, das kühle Metall des Schlüssels zwischen den Fingern.
»Sie machen jetzt auf«, wiederholte sie leise hinter der Tür.
Er drehte den Schlüssel, hatte nicht erwartet, dass sie gegen das Holz gelehnt stand, ihr Gewicht drückte die Tür auf, entriss ihm die Klinke. Jana Potulski taumelte nach vorn, trat auf seinen Fuß, stand in seinem Zimmer, das Gesicht gerötet, die Haare zerzaust. Den einen Arm hatte sie seitlich vom Körper abgespreizt, in der rechten Hand hielt sie einen Stapel Fotos, hielt sie am äußersten Rand, als wollte sie jede Berührung vermeiden. Als sie seinen Blick bemerkte, streckte sie die Hand aus, streckte ihm die Bilder entgegen, die Kanten berührten seinen Bauch.
»Was ist das«, fragte sie, ihre Stimme ganz dünn, er wusste, welche Bilder es waren.
»Es ist Ihnen verboten, die Schuber zu öffnen, Frau Potulski«, seine Stimme überschlug sich, »es ist Ihnen verboten.«
Er stieß ihre Hand weg, der Stapel rutschte ihr aus den Fingern. Sie sah zu, wie sie fielen, auseinanderglitten, sich auffächerten auf den Dielen, eins landete auf seinem Pantoffel, er stieß es weg.
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