„Sei nicht niedergeschlagen“, sagte Kurelen freundlich. Er hockte sich neben den Mönch und betrachtete ihn mit launigem Lächeln. „Wir sind keine schlechten Menschen. Geh deines Weges und halte deine Zunge im Zaum, und dir wird kein Leid geschehen.“
Der Priester jedoch hatte in Kathai gelebt und verstand die Sprache einigermaßen. Er gab einen zornigen Laut von sich. „Mein Vater ist ein Prinz!“ rief er aus.
Kurelen warf ihm über die Schulter einen spöttischen Blick zu.
„Der ganze verfluchte Ort steckt voll Prinzen“, bemerkte er. „Sei weise und passe dich an. Aber, wie gesagt, wirst du bestimmt mit unserem Schamanen dicke Freundschaft schließen. Ihr habt vieles gemeinsam.“
Wieder wandte er sich dem Mönch zu, der zu weinen begonnen hatte. Kurelen zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Der Mönch schaukelte auf seinen Habseligkeiten hin und her und wehklagte. „Der Herr hat mich berufen, den Heiden und den Verirrten das Licht zu bringen und hat mich in die tiefste Wüste geschleudert, wohin kein Lichtstrahl fällt.“
Kurelen zuckte die Achseln. „Nun, dann beschere uns eben dein Licht. Aber ich warne dich, laß dich auf keinen Wettstreit mit dem Schamanen ein. Er hat üble Manieren.“
Der Priester empfand tiefste Verachtung für den Buddhisten und warf ihm immer wieder hochmütige Blicke zu.
„Dein Gott ist ein böser Geist, aber meiner ist die Wahrheit. Hier will ich sein Banner und sein Kreuz aufstellen und die Bewohner der Finsternis ins ewige Licht rufen.“
Kurelen lächelte ihn sinnend an. Wütend rückte sich der Priester auf seinen irdischen Gütern zurecht, zerrte an seinem Bart, warf finstere Blicke um sich und schnaufte verächtlich. „Wo ist der Häuptling?“ brüllte er. „Ich lasse mich nicht so behandeln! Ich bin der Sohn eines Prinzen!“
„Hat man euch nicht aus Kathai vertrieben?“ fragte Kurelen. „Wenn ich mich recht entsinne, hast du und deinesgleichen einen üblen Stunk in jenem Lande aufgewirbelt und der Kaiser hat euch höflichst ausgewiesen.“
Aber der Priester grunzte nur verächtlich und fand es unter seiner Würde, zu antworten.
Kurelen erkundigte sich nach dem Namen des Mönchs und des Priesters. Der Buddhist sagte ihm, daß er Jelmi hieße und aus einer uralten Mandarinsfamilie stammte. Ah, dachte Kurelen, daher seine Sanftmut und Höflichkeit, seine Bescheidenheit und sein Langmut. Nur die an Körper und Gedanken wahrhaft Vornehmen hatten diese Eigenschaften. Der Priester ignorierte zuerst Kurelens Frage und verkündete dann hochfahrend, daß er Seljuken hieß, und wiederholte mit erhobener Stimme, daß sein Vater ein Prinz sei. Kurelen grinste. Er kannte diese wilden ‚Prinzen‘ von Steppe und Salzsee, diese winzigen Potentaten, die halbrohes Fleisch aßen und auf Überfälle und Mord angewiesen waren, um leben zu können.
Lebhafter Trubel in der Ferne belehrte Kurelen, daß Jesukai die Jurte seiner Gemahlin verlassen hatte und nun daranging, die Beute zu verstauen. Seine neue Gemahlin, das Mädchen aus Korait, wurde in ein Zelt gebracht und erhielt eine Dienerin zugeteilt. Jesukai verschwand in dieser Jurte und kehrte nicht wieder. Kurelen hatte seine Wanderung wieder aufgenommen, vertrieb die Hunde mit Fußtritten und sah sich neuerlich die Berge gestohlener Waren an. Als er an der Jurte der neuen Gemahlin vorbeikam, schnitt er eine Grimasse. Er hielt an und lauschte. Hinter der verschlossenen Klappe drang kein Laut hervor.
Er ging zu seiner Schwester zurück. Sie hatte ihren Sohn in den Armen und gab ihm die Brust. Ihr Gesicht war kalt und abgewendet und sie hielt das Kind achtlos. Beim Eintritt ihres Bruders jedoch leuchteten ihre Augen auf und sie lächelte ihm entgegen. Er tätschelte ihre Schulter, beugte sich über den Kleinen und kniff in seine feste rosige Wange. Das Kind machte eine ungeduldige, abwehrende Bewegung mit einer kräftigen Hand, ließ sich aber trotz des schmerzhaften Kneifens nicht von seiner anstrengenden und ernsten Tätigkeit ablenken.
„Ah“, sagte Kurelen, „das ist ein prächtiger Bursche. Meinst du, sieht er mir vielleicht ähnlich?“
Houlun lachte. Sie sah sich das Kind mit plötzlich erwachtem Interesse an und langsam und widerwillig machte sich der Stolz in ihrem Gesicht breit. „Ich denke nicht. Er hat nicht deine sanften Züge.“ Sie kicherten gemeinsam. Sie wickelte sich eine Haarsträhne des Kindes um die Finger. „Sieh dir sein Haar an! Rotgold wie die Abendsonne! Und seine Augen sind so grau wie der Sand der Wüste.“ Mit zögernder Stimme, der sie den Stolz nicht anmerken lassen wollte, der sie jäh erfaßt hatte, sagte sie: „Er wird doch sicher ein mächtiger Mann werden?“
„Oh, daran habe ich keinerlei Zweifel“, antwortete er großzügig. Sie sah ihn argwöhnisch an, aber nichts konnte frömmer sein als seine Miene. Sie drückte das Kind heftig an ihre Brust und rief:
„Du mußt ihm das Lesen beibringen und ihn in fremde Länder führen, Kurelen! Sicher wird er ein bedeutender Mann werden, denn er ist mein Sohn und mein ganzer Lebensinhalt!“
Kurelen schürzte nachdenklich die Lippen. Er zwickte den Kleinen ins Ohr und zog das runde Gesichtchen spielerisch von der mütterlichen Brust fort. Bei dieser Kränkung stimmte der Kleine ein lautes, wütendes Geschrei an und strampelte in einem Anfall von Jähzorn mit den nackten Gliedern. Kurelen lachte entzückt. Er drückte das Kindergesicht gegen die schwellende Brust und nach einigen empörten, glucksenden Tönen begann das Kind neuerlich zu trinken.
Da sagte Kurelen mit merkwürdiger Stimme: „Er ist dein ganzer Lebensinhalt, sagst du. Aber vielleicht ist er auch der ganze Lebensinhalt seines Vaters. Lehre ihn nicht, seinen Vater zu hassen, Houlun. Nichts ist schlimmer für die Seele eines Sohnes, als seinen Vater zu hassen. Ich weiß das.“
Dann wandte er sich ab und verließ die Jurte. Houlun sah ihm stirnrunzelnd nach. Sie hielt das Kind fest an sich gepreßt. Sie fühlte seine kräftigen Lippen an ihrer Brust. „Er ist mein Leben“, murmelte sie und runzelte nochmals die Stirn.
V
In überschäumender Freude beging Jesukai seinen Sieg und die Geburt seines Stammhalters mit einem großen Fest und sein Volk feierte fröhlich mit. Das Dasein dieser Leute war sehr rauh, denn sie lebten in den ausgedehnten, verschneiten Steppen, den gähnenden, leeren Ebenen, den roten, flimmernden Bergen und der Wüste, die trocken und farblos war wie der Bart eines alten Mannes. Wind und Blitze, Staub und Hagel, Donner und Dürren, Eis und Stürme waren die Gefährten ihrer Tage. Diese Nomaden kannten keine festen Heimstätten, sondern mußten mit den Jahreszeiten wandern, vor den weißen Sturmangriffen der bittersten Winter und der Trockenheit und dem Sand des Sommers, vor Wüstenhitze und Wüstenorkanen fliehen. Hunger hieß das Gespenst, das bei jeder Mahlzeit neben ihnen saß, wie üppig sie auch ab und zu ausfallen mochte. Ihnen wurde die Behaglichkeit und Sicherheit der Städter nicht zuteil. Oft brandeten sie gegen die große Mauer an, die das Volk von Kathai vor ihrem barbarischen Einfluß beschützte, aber die Pforten des steinernen Wächters öffneten sich nur selten für wenige Händler und schlossen die anderen aus. Manchmal kauerten die Horden vor der Mauer und sahen neiderfüllt auf die dicken Männer, die durch ihre Tore gingen. Wenn die Weiden unfruchtbar gewesen waren und Pferde und Rinder starben, hockten sie verzweifelt vor der Stadt, rieben sich ihre flachen, leeren Bäuche und haßten die Städter. Waren jedoch die Weiden gut und hatten die Raubzüge Erfolg gebracht, dann verachteten sie die feisten Stadtbewohner und ergingen sich schallend im Lob der Freiheit und der wilden Steppen, über die die bleichen Schatten der Sonne und des Nordlichtes dahinzogen, das sich zur Freude der freien Menschen großartig über den winterlichen Himmel wälzte, und prahlten mit den unberührten Tälern, in die sich kein Städter jemals vorwagte.
Читать дальше