Nur wer gefährlich lebt, versteht es, aus vollem Herzen zu genießen. Deshalb waren Hochzeit, Tod und Geburt jedesmal Anlaß zu übersprudelndem Leichtsinn und maßlosem Feiern. Dann schlachteten sie ihre fetten Pferde und Schafe, füllten ihre Becher mit Kumyß und Reiswein, tanzten, johlten und klatschten in die Hände und lachten aus vollem Halse. Das Gelächter der Nomaden war wie das Lachen von Raubtieren, die vorübergehend von den Nöten des Lebens und seiner ständigen Furcht, Gefahr und Mühsal befreit waren. Die wohlgenährten, verwöhnten und gelangweilten Städter lachten anders, denn der Geborgenheit entspringt kein dröhnendes Gelächter, das gleichzeitig aus dem Bauch und aus der Seele aufsteigt. Das Lachen der Städter tröpfelte, wie Kurelen sagte, spärlich aus dem Gehirn und war dünn und schal wie das Wasser der Wüste. Es war ätzend und boshaft und entstand hauptsächlich aus der Verhöhnung der Dummheit der Menschen. Es war kein unbeschwerter Frohsinn, so ergötzlich er auch für die Eingeweihten mit ihrer Verachtung für die Barbaren war. Kurelen hatte gelernt, daß Schmerz und Leid, Entbehrung und Unsicherheit, Härte und Kampf der Zündstoff waren, an dem sich das gigantische Feuer der Schwelgerei entfachte, daß die Erde in glücklichem Miterleben tanzte, wie sie es für die verweichlichten Wohlstandsbürger niemals tat.
Die Nacht rückte heran und die Lagerfeuer begannen mit lebhaften orangefarbenen Flammen im violetten Zwielicht zu brennen. Die Klappen der kuppelförmigen Jurten waren zurückgeschlagen und drinnen glühten die Kohlenpfannen. Das Himmelszelt verlor sich in unendlichen malvenfarbigen Nebeln, und die schroffen, steilen Berge im Osten standen wie unerbittliche Wände aus leuchtender rosiger Jade, über denen sich sanftes Lila kräuselte. Über den Bergen dehnte sich der ungeheure, verschwommene, purpurrote Bogen der Erde. Im Westen flammten blitzend wie rohes Gold stürmische gelbe Banner auf, durch die sich eisig durchsichtiges Grün webte. Die Erde schwebte wie ein Trugbild dahin und nahm die sonderbarsten Farben an. Die schwellenden Steppen waren mit grauen, blauen und violetten Erdschatten durchtränkt. Die erdrückende, einsame Stille der Gobi senkte sich aus der Unendlichkeit auf die Erde nieder, und selbst die Stimme des graugelben Flusses sank zum Flüstern ab. In rührender Unerschrockenheit züngelten die gelben Flammen der kleinen Lagerfeuer immer höher empor, und in der unirdischen, leuchtenden Luft der Wüste klangen die menschlichen Stimmen vergänglich und zart wie das Zirpen der Grillen angesichts eines weltweiten Traums. Wie winzige schwarze Käfer krabbelten sie zwischen und hinter den Feuern durcheinander und hüpften, von einem scheinbar sinnlosen Leben erfüllt, geschäftig hin und her. Es war, als wollten sich die knorrigen Bäume, die sich wie unter unerträglichen Qualen krümmten, gleich drohenden Ungeheuern aus der Wüste auf das Lager zuschieben. Sie starrten von sonderbaren gezückten Waffen wie stumme Gruselerscheinungen, die sich in den Traum des Weltalls drängten.
Mit einemmal fiel die Dunkelheit wie ein Schleier nieder und Himmel und Erde verschwanden. Und dann sprang aus einem Berg im Westen übergangslos ein übergroßer, funkelnder Mond in die dichte Nacht. Die wasserarme Wüste konnte sich mit keinem milchigen Nebelschleier vor seinem Leuchten schützen. Erde und Himmel tauchten in grelles, gespenstisches Licht, das farblos und gleichzeitig durchdringend war. Die Ferne verlor ihre Unschärfe und rückte deutlich und drohend in den Vordergrund. Schroffe, zerklüftete Gebirgszüge, die meilenweit abseits lagen, sahen aus, als könnte man sie mit wenigen Schritten erreichen. Jeder Kiesel auf dem Boden der Wüste leuchtete in schwachem, bitterem Glanz. Große runde Sterne hingen so tief am Himmel, daß ein Berittener sie zu greifen vermochte. Ihrem gleißenden Gefunkel konnte nicht einmal der Mond etwas anhaben. In diesem Kosmos aus Schwarz, Grellweiß, flimmerndem Grau und tiefen Schatten loderten die orangeroten Dungfeuer wie kleine, unwirkliche Fähnchen. Und wieder brüllte mit hohler Stimme der Wind, der rätselhafte Echos mit sich trug und sich auf Schwingen des Schreckens durch das wallende Mondlicht vom Himmel zur Erde stürzte.
Die Männer an den Lagerfeuern ließen sich's bereits gut gehen, denn heute fand das großartigste Fest seit langem statt. Der Klumpen geronnenen Blutes in der Faust von Jesukais Erstgeborenem hatte die abergläubischen Mongolen tief beeindruckt. Das war ein deutliches Omen der Geister der Luft und des Himmels, daß hier nicht bloß irgendeinem Häuptling ein durchschnittlicher Sohn geboren worden war. Dieser Knabe war dazu ausersehen, ein mächtiger Khan zu werden, ein Kha-Khan vielleicht gar, der seinem Volk fette Weideplätze erobern und die dicken Städter in die Knie zwingen würde. Die Krieger hatten ihre volle Rüstung angelegt. Sie trugen ihre Bogen und Kodier, die kurzen Krummsäbel und Lanzen, ihre dicken Filzmäntel und Schafpelze, gegerbte Lederwämser und glänzende Brustschilde, und hatten sich die mageren, dunklen Gesichter dick eingefettet. Sie tranken Unmengen Alkohol, lachten erregt, oder wiederholten die Geschichte von dem geronnenen Blut. Alte Männer wanderten von Feuer zu Feuer, spielten auf den einsaitigen Fiedeln und sangen mit dünner, zittriger Stimme Balladen von tapferen Helden und Stammesahnen. Als Belohnung hielt man ihnen Becher mit Reiswein entgegen, und sie tranken und wischten sich die nassen Bärte mit dem Rücken ihrer gichtischen Hände trocken. Jenseits der Feuer herrschten Schwärze und Mondlicht, aber im Lager spielten die rötlichen Flammen in groben Linien auf einer dunklen, grimmigen Wange und Lippe da, einem vorspringenden Kinn und in den Höhlen der leidenschaftlichen, offenen Augen dort. Die primitiven Farben der runden, geharzten Lederschilde waren plötzlich bis in die letzte Einzelheit zu erkennen; dort blitzte die Klinge eines Krummsäbels auf; da leuchteten weiße Zähne. Hinter den Feuern erhoben sich die glatten, schwarzen Bienenkorbhügel der Jurten, und Frauen liefen, mit Wein, Schaffleisch und Süßigkeiten beladen, zwischen den Lagerfeuern und den Zelten hin und her. Den Frauen war es gestattet, hinter den Kriegern bei den Feuern zu sitzen, aber die kleinen Kinder stießen blitzschnell vor und rauften miteinander und mit den Hunden um ein paar Bissen. Der Lärm, das Gelächter und die Musik stürmten zu der dunklen Kuppel des unendlichen Himmels empor und der Wind antwortete brüllend und fuhr fauchend in die Flammen.
Es war sehr kalt und beinahe schon Zeit, nach Winterquartieren zu suchen. Ständig mußte neuer Mist in die Dungfeuer geworfen werden und die Krieger zogen sich einen zweiten Mantel aus besticktem Filz über und rieben sich die Hände. Die aufgescheuchten Rinder, Schafe, Kamele und Pferde scharrten unruhig.
Bei den Balladen der Barbaren ging es fast nie um Liebe, sondern um Tapferkeit, Heldentaten und Männerfreundschaften. Solchen Liedern lauschten die Krieger gern und manchmal nahmen sie mit heiseren, jauchzenden Stimmen den Kehrreim auf. An einem der Feuer saß ein alter Mann, stimmte seine Fiedel an und sang:
„Über vierzigtausend Zelte ist unser edler Herr der Khan.
Sohn des blauen Wolfes ist unser Khan, des blauen Wolfes,
der stumm wie ein Schatten über die weißen Steppen lief.
Wer soll unserem Herrn trotzen, der mit seiner Lanze und Flagge
vor dem Mond steht und ihn noch überstrahlt?
Wer soll seinem Sohn trotzen, dem Liebling des Volkes?“
Und die Krieger brüllten jubelnd:
„Wer soll unserem Herrn und dem Sohn unseres Herrn trotzen?
Seine Augen haben die Farbe der grauen Wüste. Sein Herz
ist Eisen. Wer soll dem Herrn, dem Kha-Khan, trotzen?“
Kurelen hockte im Zelt seiner Schwester, während sie das Kind in weiche, edelsteinbesetzte Seide hüllte, und fischte türkisches Zuckerwerk aus einer Silberdose. Die Leckereien waren aus duftenden Rosen zubereitet und erfüllten die vom Feuer erhellte Jurte mit himmlischen Gerüchen. Kurelen leckte sich genußvoll die Finger und aß weiter. Er begann mit seiner ausnehmend schönen Stimme zu summen:
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