„Du sitzt drauf“, sagte Hans und zog an dem Zipfel des gesuchten Kleidungsstücks. Lang hob den Hintern, bis das Ding in seiner ganzen Pracht zum Vorschein kam. Allein das Muster des Stoffes war sehenswert. Kleine verschnörkelte Karos in dunklem Blau und Weinrot. Darüber ein einfärbiger Kragen aus echter Seide und an der Taille eine in sich gedrehte Seidenkordel mit Fransen. Hansi hätte den Fetzen nicht für viel Geld angezogen.
Hans schlüpfte in die antiquierte Kluft und band die endlos lange Kordel sorgfältig zu einer Masche. Er sah aus wie der jugendliche Liebhaber in einem billigen Boulevardstück, der sich nach der Ehefrau auch den Hausmantel des Gatten aneignete und jetzt auf Sir machte.
Er ist ein Sir, dachte Hansi, jedesmal aufs neue überrascht von dieser Erscheinung. „Abgesehen von dein’ altvatterischen G’schmack beim G’wand sind wir echt a guates Team“, meinte er und war im Geist wieder mitten in der nächtlichen Session. „Wenn ich nicht in’ Häfen müßt, hätt’ ma wirklich a Zukunft.“
„Jessas, der Häfen. Den hab’ i ja ganz verdrängt“, sagte Hans. „Ist das schon ganz sicher? So eine blöde G’schicht. Meier gehn wegen solche Deppen. Wieviel hast ausg’faßt?“
„Herst bitte, i will gar net dran denken.“
„Weilst auch so ein guter Trottel bist! Hätten sich die ihr Zeug net selber besorgen können, die Wappler?“
„Kömma jetzt über was anderes reden, bitte?“
„Nein, weil wenn du im Landl bist, können wir das mit’n Berühmtwerden eine Zeitlang vergessen. So kann ma ja net arbeiten. Außer …“ Der Rest des Satzes brauchte Zeit.
Hansi konnte richtig sehen, wie sich hinter Hans’ Stirn eine Idee zusammenbraute. „Außer was?“ fragte er ungeduldig.
„Außer, wir gehn’s g’schickt an.“
„Von was redest denn da?“
„Na, Oida, du hast doch im Bau mehr Zeit als jemals heraußen. Da kannst dich endlich einmal in Ruhe hinsetzen und Lieder schreiben.“ Hansi schaute ihn an, als hätte er ihm vorgeschlagen, sich in die Kapuzinergruft zu legen, um ihre Karriere vorzubereiten. Dann begann es ihm zu dämmern.
„Herst, ja“, packte ihn plötzlich die Aussicht, aus der bisher schlimmsten Misere seines Lebens doch noch etwas Sinnvolles machen zu können. „I schreib’ die Nummern …“
„… schmuggelst sie raus, ich mach’ den Text dazu und melde sie bei der AKM an.“
Der Geruch der Verschwörung, der auf einmal im Raum lag, stieg den beiden ins Hirn wie das berauschende Aroma eines uralten sündteuren Cognacs, den sie verbotenerweise geöffnet hatten.
„Ich hab’ da eh schon was im Sinn, kein Kommerz, weißt, aber trotzdem a Groove, die hundertprozentig einegeht“, ereiferte sich Hansi, „wie nennt ma die Dinger, in denen immer die Sachen g’schmuggelt werden?“ fiel er sich selbst ins Wort, „Kassierer? Irgendwas mit Kassa … Kassa …“
„Kassiber!“
„Genau. Sowas besorg’ ma uns, da drin versteck’ i das Lied und schick’ dir’s.“
Die Idee hatte ihn sichtlich beeindruckt. Die beiden verstiegen sich in immer neue Pläne, wie man den kreativen Unterbau ihres sagenhaften Aufstiegs in der Popszene aus dem Gefängnis heraus und möglichst schnell an eine Plattenfirma bringen könnte.
Besonders Hans, der fraglos den bequemeren Part der Operation erwischt hatte, erschien Hansis Mißgeschick mittlerweile wie ein echtes Omen. Während der sich immer deutlicher zwischen einer dürftigen Holzpritsche und dem sogenannten Rettich, wie das Klo in Wiens Landesstrafanstalt genannt wurde, sitzen sah, erging sich Hans bereits in der pressemäßigen Ausschlachtung des PR-Gags, mit dem er den Haftaufenthalt des Freundes nun schon verwechselte.
„Wann geht’s denn los?“ fragte er schließlich ungeduldig.
„Weiß noch nicht, in a paar Wochen, hat der Richter g’sagt“, sagte Hansi weit weniger enthusiastisch.
Als sähe er die Schlagzeilen schon vor sich, rief Hans: „Songs im Kassiber geschmuggelt – Hits aus dem Gefängnis! Das klingt net schlecht.“
3. KAPITEL
SONGS IM KASSIBER
„Laaaang! B’suach! Adfakat!“
Vor ein paar Wochen hatte Hansi gerade seinen eigenen Namen verstanden. Nun, da er sich einigermaßen in der abgeschiedenen Welt hinter Gittern eingelebt hatte, wußte er, was ihm der ältliche Wachebeamte mit diesen Worten sagen wollte: Sein Anwalt war da.
Kommt wie aufs Stichwort, dachte Hansi, wuchtete sich von der Pritsche und damit heraus aus seinem Tagtraum. Er war wieder bei Hans in der Ziegelofengasse gewesen, der sich der romantischen Vorstellung hingab, welche Meisterwerke Hansi im Gefängnis verfassen könnte, und ihm eben erklärte, was ein Kassiber ist. Hansi grinste. Mittlerweile wußte er noch ganz andere Sachen. K’siberln wollt’ ma ausseschmuggeln, wir Trotteln!
„Was grinst’ so g’feanzt, Blunzenstricker?“ wollte der Wächter wissen.
„Ich heiß’ Hansi“, berichtigte der Häftling zum wiederholten Mal.
„Vornamen gibt’s nicht“, informierte der Beamte wie immer.
Die Häßlichkeit des Besuchsraumes verlieh dem Anwalt etwas ungewohnt Edles. Ein Anblick, der Hansi zu Beginn seines Aufenthaltes hier noch mehr deprimiert hatte. Jetzt amüsierte ihn der Kontrast. Im Häfen lernt man, die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen.
„Ich hab’ nicht viel Zeit“, verbreitete der Jurist die Hektik der Außenwelt, „ich bin überhaupt nur da, weil mich der Hans schickt, wegen eurem G’sangl.“ Sein Tonfall verriet unmißverständlich, wie unnötig die zeitraubende Aktion seiner Meinung nach war. Im Grunde seines Paragraphengemüts hielt er Musik an und für sich für ein Strafdelikt. Und in die heimische Popszene war er bloß hineingerutscht, weil er sich gesetzestechnisch mit Drogen auskannte.
„Ja?“ fragte Hansi erwartungsvoll. Beim letzten Besuch hatte ihm der Rechtsanwalt die Nachricht übermittelt, daß Hans den Studiobesitzer René Reiz überredet hatte, den ersten seiner in der Zelle komponierten Songs aufzunehmen. „Be my love“ hatte er ihn genannt – nach den ersten paar Wochen im Abseits der Gesellschaft etwas zu sehnsüchtig. Jetzt hieß er „No modern love“ und sollte vorige Woche Peter Vieweger, einem gemeinsamen Freund aus der Underground-Band Drahdiwaberl, vorgelegt werden. „Und? Was hat er g’sagt?“ drängte Hansi den Anwalt.
„Leiwande Nummer, hat er g’sagt“, erwiderte der, als hätte er Hansi das Ableben seiner Mutter mitzuteilen.
„Na bitte, i hab’s ja g’wußt“, freute sich Hansi umso mehr, „und was g’schieht jetzt damit?“
„Ab ins Archiv zu den Akten“, gestand der Rechtsbeistand plötzlich nicht unfröhlich.
„Ab in die Zelle“, bellte der Wachebeamte wie ein Echo nach.
„Herst, Oida, du hast keine Ahnung, wie oft ich in den letzten Monaten da g’sessen bin.“
Hansi sah sich in Hans’ winziger Zimmer-Küche-Wohnung um, als befinde er sich in den Prunkgemächern der Hofburg. Sein eigenes Domizil, eine düstere Angelegenheit in Wien-Währing, deprimierte ihn mehr als seine Zelle. Zu allem Überfluß hatte er gestern entdecken müssen, daß seine Freundin hinterrücks zu einem anderen übergelaufen war. Die ersten Tage nach seiner Enthaftung waren durchaus geeignet, ihn heftig an der Institution Freiheit zweifeln zu lassen. Umgehend hatte er sich auf den Weg ins „Voom Voom“ gemacht.
Es war alles beim alten dort. Dieselben Typen, dieselben Gespräche, derselbe Sound, dieselben Drogen. Hansi bestellte ein Bier und konnte sich kaum entscheiden, ob er es trinken oder ob er hineinweinen sollte. Da klopfte ihm Chouchou auf die Schulter.
Hans’ putzige Freundin kam ihm vor wie eine Erscheinung, und plötzlich war es viel heller im „Voom“. Chou versprühte dezente Begeisterung darüber, daß er wieder da war. Sie trug die hochhackigen roten Lackpumps, die Hans ihr geschenkt hatte, und sah aus, als hätte sie gleich noch einen Termin beim Steuerberater. Sogar ihre Art zuzuhören war irgendwie gestylt. Sie nippte an ihrem pinkfarbenen Drink, er redete.
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