Irgendwann an diesem fortgeschrittenen Abend tänzelte eine andere Erscheinung in Hansis nun schon etwas gemilderte Depression. Sie nippte an einem türkisfarbenen Drink und redete selber. Als er ihr in einer ihrer raren Atempausen von der Bruchbude erzählte, die ihn in sein altes Stammlokal getrieben hatte, stand sie auf und sagte: „Na gut, dann geh’n wir halt zu mir.“ Im Hinausgehen nickte er Chouchou kurz zu. Ihr Blick folgte ihm wie ein Laserstrahl.
„Willst einen Kaffee?“ riß ihn Hans, der schon mit seinem Wasserküberl in der Hand im Türrahmen stand, aus seinen Gedanken. Hansi nickte. Fast ergriffen beobachtete er die Zeremonie, lauschte verträumt dem Rauschen des Wassers an der Bassena, verfolgte stumm jeden Handgriff, mit dem Hans den Kocher anwarf und den Kaffee aufbrühte. Nur der groteske Morgenmantel fehlte. Hans reichte ihm die Tasse. Das ist Freundschaft, dachte Hansi, heute besonders anfällig für rührselige Stimmungen. In diesem Fall aber hatte er durchaus recht. Hans hatte ihm eine halbe Garderobe geschenkt, ihm Geld gegeben und das Gefühl, daß alles wieder gut werden würde.
Mitten in diese männliche Eintracht hinein stand Chouchou plötzlich im Raum, als wäre sie lautlos aus dem Parkettboden gewachsen. „Servas, Schatzl“, sagte Hans, drückte ihr einen Kuß auf die Wange und eine Tasse Kaffee in die Hand. Offenbar hatte er sie erwartet.
„Hallo, Hansi“, sagte Chou. „Na, ausgeschlafen?“
„Danke“, murmelte der reichlich verlegen.
Was red’ ich denn da? fragte er sich gleich darauf verwundert. Abrupt richtete er sich im Fauteuil auf und fand seine Haltung wieder. Bin ich schon völlig deppert seit dem Häfen? Ich tu ja, wie wenn ich ihr Rechenschaft schuldig wär’, das ist doch die Freundin vom Hans, was soll das eigentlich alles?
Hans schien von der Spannung zwischen den beiden nichts zu merken. Der unüblich seichte Smalltalk tröpfelte vor sich hin wie der Wasserhahn über der Bassena. Irgendwas stimmte heute nicht.
Irgendwas stimmt heute nicht , dachte Hans, während er weiterhin Banalitäten absonderte, irgendwas hat sie vor, die Chou, das kenn’ ich am Blick, das flatterhafte G’schau haben’s immer alle, wenn’s nix sagen und alles schon wissen. Sie is’ gestern schon so komisch g’wesen. Zwei Jahr’ bin ich jetzt mit ihr z’amm … lang eigentlich, aber fad is’ mir net ’worden mit ihr. Bitte! Ich will jetzt kein Kopfweh, tu mir das net an, Chou, ich kann mich noch erinnern an die G’schicht mit’n Kolbert … war net mehr als schöne Augen, aber ich weiß noch, die Angst, die mir da eing’fahren is, daß ich sie verlieren könnt’. Ich will sie net verlieren! Ich will überhaupt net verlieren. Und was, um Gottes willen, hat der Hansi damit zu tun?
Hansi, der des Umgangs mit anderen Menschen derzeit entwöhnt war und sich eigentlich auf einen Nachmittag unter Männern gefreut hatte, entwickelte Fluchtgedanken. Wir wollten doch über unsere Songs reden, dachte er, vielleicht a bißl spiel’n, wozu hab’ ich denn meine Klampfen mit’bracht, was mach’ ich überhaupt da? Unvermittelt wuchtete er sich aus dem Sessel und verkündete: „I geh jetzt.“
Als hätte sie nur aufs Stichwort gewartet, sprang auch Chou auf. „Ich geh mit’n Hansi“, erklärte sie mit einer unheilvollen Schärfe in der Stimme. Die paar Worte hingen wie ein Todesurteil im Raum. Und Hans war der Delinquent. Fassungslos starrten die beiden Freunde das Mädchen an. Kampflustig starrte sie zurück. Doch es fiel kein einziges Wort. Sogar der Wasserhahn war verstummt.
Hans reagierte als erster. Und zwar so, als wär’ nichts passiert. „Na gut, dann pfüat euch“, sagte er freundlich. Wäre da nicht ein leicht belegter Unterton in seiner Stimme mitgeschwungen, hätte man glauben können, es sei nichts passiert. Langsam bekam auch Hansi mit, was sich hier abspielte. Chouchou hatte offenbar beschlossen, die Beziehung zu Hans zu beenden. Und ihn benutzte sie als Schlüsselfigur. Hansi spürte das Ausmaß der Verletzung, das Hans hier niederkämpfte, fast körperlich. Er wollte was sagen, erklären, daß das nicht seine Schuld sei, hierbleiben. Aber für Erklärungen war es zu spät. Das Knistern zwischen ihm und Chou war zu laut gewesen. Und ihr letztes Wort an Hans zu leise. Etwas, das gar nicht ausgesprochen worden war, war auch nicht richtigzustellen.
Hansi machte einen Schritt auf den Freund zu. Hans wich zurück, wie ein Magnet, der vom gleichen Pol eines anderen Magneten zurückgeschoben wird. Plus und Plus ergab plötzlich Minus.
Schweigend gingen Chou und Hansi die Ziegelofengasse entlang. „Es ging nicht mehr“, sagte sie, „ich weiß es schon länger.“
„Leiwand, daß d’ auf mich g’wartet hast, bis du’s ihm sagst“, gab Hansi zurück. „Was kommt als nächstes?“
„Ich komm’ mit zu dir“, sagte sie, irritiert über die Frage. Genausogut hätte sie sagen können: Mein Fingernagel ist abgebrochen.
Weiber, dachte Hansi. Es war ihm, als hätte ihm gerade jemand gesagt, daß es kein Christkind gibt. Raffinierte Luder, eiskalte Hexen … In dem Sinn ging es weiter bis zur nächsten Straßenecke. Chouchou immer dicht neben ihm. Ich darf sie net mitnehmen, war ihm plötzlich klar, net nach dem, was sie dem Hans grad an’tan hat. Aber genauso klar war ihm: Er würde sie mitnehmen. Beim Gedanken an das schwarze Loch, das im 18. Bezirk auf ihn wartete, stieg ihm die Übelkeit auf. Hätte der Teufel gesagt, er kommt mit, er hätte ihn mitgenommen. Er hätte heute jede mitgenommen. Warum nicht sie?
4. KAPITEL
FALCO TRIFFT FAUST
Wer zuletzt geht, dreht in der Stadt das Licht ab. Das schien im München der ausklingenden 70er Jahre die einzig gültige Regel zu sein. Und auch sie wurde nicht eingehalten. München war die Hauptstadt des guten Tons in der Popbranche. Namhafte internationale Bands von den Stones bis zu Queen kamen her, um hier zu arbeiten. Was mit dem gesellschaftsrelevanten guten Ton dieses zutiefst frömmelnden Landstrichs naturgemäß nichts, aber auch gar nichts gemein hatte. Im Gegenteil. Damals gab es in München garantiert mehr Soundstudios als Kirchen, mehr Discos als Bierlokale, mehr Rock- als Pfadfindergruppen und mehr Abtreibungen als Aufgebote. In früheren Zeiten hatte man in solchen Fällen die Wäsche weggesperrt und gleich darauf die Töchter.
Musikanten waren in der Stadt. Darunter auch die Hallucination Company. Adam Wickerls ausgeflipptes Rocktheater, in Wien längst so berühmt wie berüchtigt, war hier auf Anhieb ein Sensationserfolg. Das Gastspiel im „Marienkäfer“ fand höchsten Anklang bei der Kritik und war allabendlich bis auf den letzten Platz ausverkauft. Eine Tatsache, die den Protagonisten aus Wien eine Stammloge im ausgeflipptesten aller In-Lokale der City sicherte: dem „Sugar Shack“.
Auch heute schien wieder ganz München auf Einlaß zu warten. Und die Bodyguards kosteten jeden Millimeter ihrer Macht aus. Wer kein bekanntes Gesicht hatte, wurde nicht einmal ignoriert. Ein Etablissement, das Gäste von Keith Richards abwärts beherbergte und Leute wie die Queen-Stars Brian May oder Roger Taylor zur Stammkundschaft zählte, brauchte sich nicht mit halbseidenen Schwabinger Lokalmatadoren abzugeben. Es war genau das Umfeld, das Hans rund um sich immer vorgeschwebt war. Als er sich dem Lokal näherte, teilte sich die wartende Menge auf einen Wink des Türlstehers wie das Rote Meer vor Moses. Hans durchschritt die Schneise, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan, klopfte dem Typen am Eingang jovial auf die Schulter und schlenderte betont lässig ins Halbdunkel des Allerheiligsten. Drinnen scherte sich kein Hund um ihn, aber das machte nichts, er war bereits auf seine Kosten gekommen. Trotz des Aufruhrs draußen war im Lokal kaum noch was los. Hans fand ohne Schwierigkeiten einen Platz an der Bar. Er bestellte einen doppelten Espresso und ein Mineralwasser. Sein übliches Frühstück um die Zeit, sofern die Company einen spielfreien Abend hatte.
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