Ein persönliches Abschiednehmen war leichter mit den Menschen, die Hans wirklich nahe gewesen waren: mit seiner Mutter, Maria Hölzel, mit Hans Mahr, Markus Spiegel, Thomas Stein, Horst Bork, den Brüdern Bolland, George Glueck, Thomas Rabitsch, seiner Band … Wir erinnerten uns auch gemeinsam mit anderen immer öfter an ihn, an Hans lieber als an Falco, obwohl er als Falco so vielen Menschen so viel gegeben hat. Über all diese Gespräche mit seinen und unseren Freunden wurden wir auch besser mit seinem Tod fertig.
Und wir begannen, gemeinsam mit Andrea Fehringer, diese Erinnerungen aufzuschreiben, festzuhalten. Aus diesen Erinnerungen wurden Szenen, aus den Szenen wurde ein Buch, dieses Buch.
Obwohl alle Menschen glauben, sich an Ereignisse so zu erinnern, wie sie tatsächlich stattgefunden haben, mag hier vieles anders dargestellt sein, als es wirklich war. Aber es hätte so sein können.
Niemand von uns konnte die Gedanken von Hans lesen, niemand wußte, wer wirklich hinter Falco steckte.
Auch mit dem Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod ist das so eine Sache:
Wenn die Seele ewig lebt, ist dann Hans unsterblich? Oder Falco?
Dieses Buch ist Fiktion. Also erfunden.
Erfunden?
Nicht ganz. Vieles ist wahr. Sehr wahr sogar.
Und einiges ist erfunden.
Damit Sie sich leichter beim Lesen und beim Aufregen über dieses Buch tun, ein Vorschlag: Alles, was Sie nicht glauben wollen, ist erfunden. Okay?
Glauben Sie uns.
Hans und uns.
Rudi Dolezal und Hannes Rossacher
„Na, mein Freund“, sagt er und hebt die Flasche hoch, um dem Etikett ins Auge zu sehen. Viel ist nicht mehr drin, die Freundschaft mit Jack Daniels hält nie länger als ein paar Stunden.
Freundschaft , denkt er, und seine Mundwinkel zucken nach unten wie auf ein Stichwort, das noch nie was anderes ausgelöst hat als Enttäuschung. Angewidert legt er die Flasche, ohne sie zu öffnen, wieder auf den Beifahrersitz. Der Gedanke an die scharfe Spur, die der Whiskey stets durch die Kehle zieht, um dann an den Magenwänden hinunterzurinnen, zäh und heiß wie Lava, hinterläßt eine flaue Übelkeit.
Träge, wie durch einen Nebel, läßt Hans Hoelzel den Blick durch seine halbgeöffneten Lider über den staubigen Parkplatz schweifen. Eine grindige Gegend , denkt er, und sein Blick bleibt an dem Gebäude links von ihm hängen. „Tourist Disco“ steht in großen Lettern über dem Eingang. Hier hat er sich immer mit Freund Jack getroffen, wenn er sonst keine Gesellschaft mehr ertragen konnte. Jack war immer da. Vermutlich wartet er auch jetzt auf ihn.
Allein der Anblick des Lokals im gleißenden Licht des Nachmittags erregt Abscheu in Hans. Die abgefuckte Fassade erinnert ihn an tausend Nächte, nach denen ihn die Helligkeit des längst angebrochenen neuen Tages in die häßliche Realität zurückkatapultiert hat. Wie ein Puff bei Tag , denkt er. Wenn man plötzlich nicht mehr die geringste Ahnung hat, was man sich dort drinnen je erhoffen konnte. Die Vorstellung verbreitet genau den Nachgeschmack in seinem Mund, den solche Nächte zurücklassen: Ekel, Reue, den Vorsatz: nie wieder, und das tiefe Wissen, ihn das nächste Mal wieder nicht einzuhalten.
Wie in Zeitlupe tastet sich sein Blick zur Straße vor. Über die paar ausgedörrten Sträucher am Bankett, deren vor Trockenheit eingerollte Blätter von einer dicken grauen Staubschicht überzogen sind, gleiten seine Gedanken dem Horizont entgegen. Die Luft ist schwer von der Feuchtigkeit, die sie mitschleppt. Irgendwo weit hinten ertrinkt das, was sie hier Wiese nennen, im Dunst. Auf seinem Oberkörper verwandelt sich die Hitze in kleine Rinnsale aus Schweiß, die sich gelangweilt immer denselben Weg über seine Brust bahnen.
Was für eine Gegend , denkt Hans, doch unwillkürlich heben sich seine Mundwinkel wieder ein Stück. Für Ironie hat er immer schon was übriggehabt. Eine wunderbare Villa zu Hause in Gars am Kamp, eine feine Wohnung in Wien und jetzt – diese Existenz im Ferienparadies der Dominikanischen Republik. Was für eine Karriere. Und was für ein Leben.
Die Mundwinkel rasten wieder unten ein. Erneut greift er zur Flasche neben sich, wie im Reflex, bis ihm klar wird, daß von Jack Daniels heute kein Trost zu erwarten ist. Die Einsamkeit kommt wie ein kalter Platzregen. Wie zum Schutz geht ein schwarzer Vorhang über seinem Gesichtsfeld herunter. Er schließt die Augen, reißt sie aber gleich wieder auf, denn auf der Leinwand seiner Innenlider explodiert gerade die Welt in Abertausende grelle Lichtpunkte.
Na also, is’ wieder einmal soweit , meldet sich eine innere Stimme, die sich immer dann einmischt, wenn es auf der ganzen Welt keinen einzigen Menschen mehr zu geben scheint, dem er irgendwas erklären könnte. Die immer dann da ist, wenn er sich selbst nichts, aber schon gar nichts mehr vormachen kann.
Du weißt, was jetzt kommt, Alter , fährt die Stimme fort, du hast es schon so oft erlebt. Die Widerwärtigkeit von dem Gefühl, daß d’ wieder a Schlacht verloren hast. Booze fucks you. Wiss’ ma eh. Und Lady C is auch net mehr als a Schlampen, die dir vorgaukelt, wie gut du bist, und daß du eh alles schaffst. Geht das alles jetzt wieder von vorn los? Wie oft denn noch?
Instinktiv schüttelt Hans den Kopf. Eine kleine Bewegung nur, aber sie macht ihn schwindlig. Es wär’ an der Zeit, daß ich mir endlich was Neues überleg’, was ganz anderes. Was, was wirklich Sinn macht in Zukunft .
Die Vergangenheit is in jedem Fall uninteressant. Die hat mich dahin ’bracht, wo i jetzt steh. Und schau mi an, i steh auf nix mehr .
Die Oide is weg. Abgerauscht. Vor einer Woche schon. Aufgegeben. Bei der ersten kleinen Gelegenheit, wo’s drauf angekommen wär’, einen Funken Verständnis zu haben für an Typen, auch wenn man ihn net versteht .
Net, daß es so schad wär’ ausgerechnet um sie, aber es is ja ane wie die andere. Und alle sind s’ weg. Aber bitte, was macht’s für einen Unterschied? Einen einzigen: Wenn s’ dableiben, schau ich ihnen in die Augen und seh dort auch noch, daß sie nix verstanden haben. Gar nix. Und genau das bleibt von ihnen über: a Loch in mein’ Leben, voll mit nix .
Voll mit nix is mein Leben von selber. Wer bin i denn, was hab’i denn, was mach’ i denn, was red’ i denn, wer glaub’ i, wer i bin?
Falco sagen die Leut’ zu mir. Aber das bin net i. Das ist der, der mit mir in mein’ Kopf wohnt. Aber der hört beim Hals auf. Und dort hängt er mir schon seit Jahren raus .
Ja, damals, als wir gemeinsam noch was auf d’ Fiaß g’stellt haben, da hamma noch was g’habt miteinander. Er war Nummer eins in Amerika mit sein’ ‚Amadeus‘. Schon damals war er mir suspekt. Aber dann hat er mich ganz hängen lassen, das G’frast. Hat ’glaubt, er kann den Erfolg genießen, der Depp. Und is über mich drüberg’stiegen wie über a Stück Scheiße .
I hätt’ mich nie einlassen sollen mit ihm. Aber am Anfang hamma so gut z’ammpaßt, wir zwei. Er, der Herr Übernatürlich, mein Missing link zu denen da oben. Ich, sein Alter ego aus der Hacklerpartie .
Eh a gutes Team. Bis es uns a bißl ausg’hoben hat nach dem ‚Kommissar‘. Da sind wir ins Trudeln gekommen. Auf einmal war das alles ka Spiel mehr. Schneller, besser, höher hat alles gehn müssen. Nur net wieder z’ruck am Boden. Weil wir san wer. Und wir werden’s schon allen zeigen .
Er hat’s ihnen eh ’zeigt. Wie ma das Maul aufreißt, auch wenn’s kan Grund mehr dafür gibt. Aber wie’s ihm auf’prackt hat, war i dann schuld. Er, die Nummer eins. Ich, der Versager .
Und später? Da is er überhaupt nur mehr auf’taucht, wenn’s was zum Vergeigen ’geben hat. Leut’ zum Beleidigen, Chancen zum Vertuan. Das hat er ja immer gut können. Wann hab’ i denn was g’hört von ihm zum letzten Mal? Wann?
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