Geistesabwesend greift Hans zu der Kassette, die immer in der Mittelkonsole seines Jeeps liegt, und schiebt sie ins Autoradio. „Hörst du die Stimme, die dir sagt“, plärrt er sich selbst aus den Lautsprechern entgegen. Was willst du mir noch sagen, Alter? „Ich bin zerrissen, wann kommst du meine Wunden küssen?“
Zerrissen. Das Wort hallt in ihm nach wie der Refrain seines Songs „Out of the Dark“ aus den Lautsprechern. „… into the light …“ Die Worte umarmen sich, verschmelzen miteinander wie bei einem grandiosen Liebesakt, werden eins. „Muß ich denn sterben, um zu leben?“ hört er Falco fragen. Und plötzlich ist ihm, als wäre damit alles gesagt.
Out of the dark. Das weiße Licht kommt näher, Stück für Stück. Ja, und warum denn net?
Dann wär’ endlich Ruhe. Auf das wart’ i doch jetzt schon fast zwanzig Jahr’. Was hätt’ i denn zum Verlieren? A Oide? Die hat sich grad vertschüßt. A Karriere? Die is eh schon seit Jahren im Arsch .
A Leben? Was für ein Leben?
Auch schon was. Was is des Leben gegen an starken Abgang? 10.000 Fans am Zentralfriedhof. Der Zilk halt’ a Rede. Alle rotzen. Und am offenen Grab spielen s’ ‚It’s all over now, Baby Blue‘. Na, wunderbar. Des is a G’schicht. Halb acht, Zeit im Bild. Showtime zur Primetime. Das is Showbiz .
Das Band im Autoradio ist bei der Nummer „Egoist“ angelangt. „… damit mein Spiegelbild mir meinen Schlaf bewacht“, singt Falco. Hans lächelt.
Mein’ Schlaf bewach’ ich mir selber, lieber Freund. Von hoch oben. Hoch wie nie. Und zwar ohne dich .
Weil du mußt dann dableiben, dich werden s’ wiederentdecken und sagen, was für a leiwander Alter du eh immer warst. A Genie. Und vor allem: der einzige wirkliche Popstar in dem Land. Was für a guter Musiker. Und was für a genialer Texter. Bitte, das is ja das einzige, was net dir zusteht. G’schrieben hab’ immer no alles ich. Aber sollst sie haben, die Lorbeeren. Immerhin hast du sie ja net so schlecht über die Bühne ’bracht .
Und jetzt wird’s wieder so sein wie in unsern allerbesten Zeiten. Jetzt, bei deinem letzten Auftritt. Laß dich feiern. Und dann wirst mich nie wieder so angrinsen, so von da oben runter, wannst auf einer Bühne stehst, arrogant, präpotent, höhnisch, weil du’s g’schafft hast und i auf der Strecke ’blieben bin .
Fast bewegungslos sitzt Hans in seinem Pajero. Fasziniert von dem Szenario in seinem Hirn. Den Kopf leicht schief gelegt. Als würde er in ihn hineinhorchen. Und das weiße Licht kommt näher. Stück für Stück .
Die Kassette ist fertiggespielt. Der letzte Ton verklungen. Die Stille undurchdringlich wie eine unsichtbare Wand. Vielleicht ist auch gar nichts dahinter. Aber dieses Nichts ist so friedlich. Ein sicherer Ort. Scheinbar.
Hans startet das Auto. Er hat die Augen offen, aber er schaut nicht auf die Straße. Sieht nicht den Bus, der mit Höchstgeschwindigkeit näherkommt. Er blickt in die Zukunft. Und fährt los.
Mitten hinein. In dieses weiße Licht.
DIE ANFÄNGE
1977–1981
1. KAPITEL
ICH WILL POPSTAR WERDEN
Das Licht traf ihn wie ein Blitz.
Wie ein Geschoß fuhr er in die Senkrechte und knallte mit der Stirn gegen ein Hindernis, daß es nur so durch sein Hirn prasselte. Er hatte das Gefühl, sein Schädel habe einen Sprung.
„Mutti!“ rief er entsetzt und schüttelte sich, um die Benommenheit des Aufpralls loszuwerden. „Mutti, geht’s dir gut?“
Maria Hölzel rieb sich den linken Schläfenknochen und stöhnte. „Mei, Hansi, bald wär’ die Brille hin g’wesen. Du hast vielleicht einen harten Schädel. Was mußt denn auch so in die Höh’ fahren?“
„I hab’ grad was geträumt und dann war’s plötzlich so hell. Wie bei einer Explosion, weißt?“
„Na, weil ich’s Licht auf’dreht hab’. Was du immer zusammenträumst. Jetzt komm, is ja scho halb acht vorbei. Steh auf, sonst kommst’ zu spät. Der Papa is auch scho wieder weg.“
„Der Papa war da? Wieso? Warum hast nix g’sagt, Mutti? Ich wollt’ ihm doch das neue Stückl auf der Ziehharmonika vorspielen.“
„Geh, jetzt in aller Früh. Außerdem hat er sich nur seinen grauen Mantel g’holt, weil’s Schnee ang’sagt haben im Radio. Dann hat er’s schon wieder eilig g’habt, daß er weg kommt. In die Firma, zu dieser … dieser …“ Diese … diese … blieb wieder einmal wie ein ekelerregender Gestank in der Luft hängen.
„Tu weiter, jetzt“, setzte Hansis Mutter plötzlich ziemlich gereizt nach.
Wer ist das, diese … diese …? fragte sich Hansi wie schon so oft in den vergangenen Wochen, während er unglücklich durch die ersten Schneeflocken des Jahres zur Schule stapfte. Immer, wenn von ihr die Rede ist, werden alle komisch. Die Mutti, die Oma, und mit dem Papa kann man schon gar nicht reden. Seit er so viel arbeiten muß, laßt er sich eh nur mehr alle heiligen Zeiten anschauen. Und dann streitet er immer mit der Mama und geht gleich wieder. Wollt nur seinen grauen Mantel holen, haha. Die glauben, mit zehn kann man noch nicht bis drei zählen. Ich merk doch, daß er nie mehr daheim schlaft. Dabei is doch eh genug Platz in der Wohnung. Wenn ich groß bin und Kinder hab’, werd’ ich sicher net woanders schlafen. Und die Mutti weint auch immer am Abend. Wenn er’s nächste Mal kommt, spiel ich ihm mei’ neues Stückl nicht vor .
Mit diesem Vorsatz betrat Hansi die Schule. Obwohl er sich gerade noch eingebildet hatte, daß es eben erst geläutet hat, war die Klassentür schon zu. Mist , fluchte er in sich hinein, schon wieder zu spät . Vorsichtig öffnete er die Tür.
Die Lehrerin war gut aufgelegt und nickte ihm nur kurz zu. Leise schlich Hansi zu seinem Platz und verstaute seine Schultasche unter dem Pult. Deutsch war sein Lieblingsfach, wenn es sowas überhaupt gab. Schule gehörte für ihn eindeutig zu den Dingen, die verboten werden sollten. Und Lehrer gleich mit. Außer vielleicht der Deutsch-Profaxin. Die lobte immer seine Aufsätze, obwohl sie natürlich auch eine blöde Kuh war. Was sie prompt auch jetzt wieder bewies: „Hör auf zum Rascheln, Hansi, wenn du schon unpünktlich bist, stör wenigstens die anderen nicht.“
Bei was denn schon , dachte Hansi aufsässig. Beim Beruferaten? Im Hereinschleichen hatte er gehört, wie der Walter, dieser Oberstreber, lang und breit daherstotterte, daß er einmal Schaffner werden wolle. Na, toll. Riesenkarriere.
Was Karriere war, wußte Hansi. Monatelange hatte die Mutti das dem Papa erklärt, wie er in der Firma Werkstattleiter hätte werden können, und der Papa nicht so recht gewußt hat, ob er das kann. Karriere war seither was Knallrotes in Hansis Phantasie. Wie der Pullover, den ihm die Mutti voriges Jahr gestrickt hatte, und den alle immer so bewunderten. Er konnte es zwar überhaupt nicht leiden, wenn die Tanten und die Freundinnen von der Mutti an ihm herumzupften und er sich wie ein dressierter Tanzbär im Kreis drehen mußte, aber gleichzeitig drehte sich dann auch immer alles nur um ihn. Genauso wie beim Ziehharmonikaspielen …
Hansis Gedanken entfernten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus dem Klassenzimmer und landeten bei dem neuen Schlager, den er gestern im Radio gehört hatte, für den er den ganzen Nachmittag gebraucht hatte, um ihn nachspielen zu können, und den er dem Papa seit heute früh auf keinen Fall mehr vorspielen wollte. Noch dazu, wo der ihm akkurat eine Ziehharmonika hatte schenken müssen, obwohl er sich doch so dringend ein Klavier gewünscht hatte. Oder eine Gitarre.
Die Ungerechtigkeit addierte sich zu den neuerdings aufgetauchten Fehlern des Vaters in einem Tempo, das Hansis Mathelehrer zu einem Tanz vor der Tafel angestachelt hätte. Doch gleich darauf war auch der Papa wieder vergessen. Überblendet von einem Bild, das schon seit einiger Zeit einen Stammplatz in Hansis Vorstellungswelt einnahm: Er auf einer Bühne, einer echten Bühne, nicht so einer wie beim Kirtag in Bad Tatzmannsdorf, wo ihn die Mutti immer zu den Kurtanzereien mit diesen Pimperl-Combos mitschleppte. Und unter ihm eine beachtliche Menschenmenge, die mit jedem Lied, das er dort oben sang und zu dem er sich selbst mit der Gitarre begleitete, größer und größer wurde. Und dann – der donnernde Applaus, die begeisterten Pfiffe …
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