1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 „Nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) kann das BfArM eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Die Behandlung des schwer kranken Klägers mit selbst angebautem Cannabis liegt hier ausnahmsweise im öffentlichen Interesse, weil nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts die Einnahme von Cannabis zu einer erheblichen Linderung seiner Beschwerden führt und ihm gegenwärtig kein gleich wirksames und für ihn erschwingliches Medikament zur Verfügung steht. Der (ebenfalls erlaubnispflichtige) Erwerb von sogenanntem Medizinalhanf aus der Apotheke scheidet aus Kostengründen als Therapiealternative aus. Seine Krankenkasse hat eine Kostenübernahme wiederholt abgelehnt.“
3.1.5 2016–2017: vom Gesetzentwurf zum Gesetz
Parallel mit dieser juristischen Entwicklung gab es in den vergangenen Jahren eine zunehmende Offenheit aller im Bundestag vertretenen Parteien hinsichtlich der Notwendigkeit, Patienten einen Zugang zu einer Therapie mit Cannabisprodukten unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten zu eröffnen. Als Alternative zum Eigenanbau entwickelte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf, der vorsah, dass die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet werden, unter bestimmten Voraussetzungen eine Behandlung mit Cannabisprodukten zu finanzieren. Dieser Gesetzentwurf wurde von der Bundesregierung am 28. Juni 2016 in den Bundestag eingebracht (Deutscher Bundestag 2016) und dort am 7. Juli in erster und am 19. Januar 2017 in 2. Lesung beraten (Deutscher Bundestag vom 18. und 19. Januar 2017). Das Gesetz wurde am 19. Januar 2017 im Bundestag einstimmig verabschiedet (Deutscher Bundestag 2017) (Zusammenfassung s. Tab. 1 Tab. 1 Einige Meilensteine auf dem Weg zur medizinischen Cannabisverwendung in Deutschland (Grotenhermen 2018) 1998 Änderung der Einstufung von Dronabinol – (-)-trans-Delta-9-Tetrahydrocannabinol – von der Anlage II in die Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes 2000 Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, nach dem Patienten einen Antrag auf eine Ausnahmeerlaubnis zur Verwendung von Cannabisblüten beim BfArM stellen können 2000–2005 Ablehnungen aller Anträge von Patienten auf eine solche Ausnahmeerlaubnis 2005 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nach dem das BfArM diese Anträge nicht pauschal ablehnen darf 2007 erste Ausnahmeerlaubnis durch die Bundesopiumstelle beim BfArM, zunächst für einen Cannabisextrakt, später überwiegend für Cannabisblüten 20011 arzneimittelrechtliche Zulassung von Sativex ® für die Behandlung der therapieresistenten mittelschweren bis schweren Spastik bei Erwachsenen mit multipler Sklerose 2016 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nach dem einem Patienten eine Ausnahmeerlaubnis für den Eigenanbau von Cannabisblüten erteilt werden muss Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Veränderung betäubungsmittelrechtlicher Bestimmungen zu Cannabis und cannabisbasierten Medikamenten 2017 einstimmige Verabschiedung des Gesetzes am 19. Januar im Deutschen Bundestag und Inkrafttreten des Gesetzes am 10. März 2017
).
Tab. 1 Einige Meilensteine auf dem Weg zur medizinischen Cannabisverwendung in Deutschland (Grotenhermen 2018)
1998 |
Änderung der Einstufung von Dronabinol – (-)-trans-Delta-9-Tetrahydrocannabinol – von der Anlage II in die Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes |
2000 |
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, nach dem Patienten einen Antrag auf eine Ausnahmeerlaubnis zur Verwendung von Cannabisblüten beim BfArM stellen können |
2000–2005 |
Ablehnungen aller Anträge von Patienten auf eine solche Ausnahmeerlaubnis |
2005 |
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nach dem das BfArM diese Anträge nicht pauschal ablehnen darf |
2007 |
erste Ausnahmeerlaubnis durch die Bundesopiumstelle beim BfArM, zunächst für einen Cannabisextrakt, später überwiegend für Cannabisblüten |
20011 |
arzneimittelrechtliche Zulassung von Sativex ®für die Behandlung der therapieresistenten mittelschweren bis schweren Spastik bei Erwachsenen mit multipler Sklerose |
2016 |
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nach dem einem Patienten eine Ausnahmeerlaubnis für den Eigenanbau von Cannabisblüten erteilt werden muss Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Veränderung betäubungsmittelrechtlicher Bestimmungen zu Cannabis und cannabisbasierten Medikamenten |
2017 |
einstimmige Verabschiedung des Gesetzes am 19. Januar im Deutschen Bundestag und Inkrafttreten des Gesetzes am 10. März 2017 |
3.1.6 2016: erste Kritik am Gesetz in der Anhörung im Gesundheitsausschuss
Am 21. September 2016 fand im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags eine öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28. Juni 2016 statt. Dabei wurde unter anderem bemängelt, dass die Krankenkassen eine Therapie mit Cannabis genehmigen müssen. Der Gesetzentwurf sah vor, dass schwer kranke Patienten künftig auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit Cannabisarzneimitteln und Rezepturen versorgt werden können.
Sowohl die Bundesärztekammer (BÄK) und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) als auch andere Sachverständige wiesen den Genehmigungsvorbehalt durch die Krankenkassen als nicht sachgerecht zurück. So sollte nach dem Gesetzentwurf die medizinische Verwendung von Cannabis von den Krankenkassen nur erstattet werden, wenn eine „allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung“ steht.
Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) bemerkte zum Gesetzentwurf in ihrer Stellungnahme:
1. Obergrenzen für Ärztinnen und Ärzten bei der Verschreibung von Medikamenten bzw. drohende Regressforderungen wegen Budgetüberschreitung sollten nicht zu vermeidbaren Versorgungslücken bei der Verschreibung von cannabisbasierten Medikamenten führen. Daher ist es erforderlich, dass die Verschreibung von cannabisbasierten Medikamenten wie eine Praxisbesonderheit behandelt wird. Sonst droht das Gesetz ein Gesetz für Privatpatienten zu werden, von dem gesetzlich versicherte Bundesbürger nicht in dem erforderlichen Umfang profitieren können.
2. (…) Ebenso wie für andere Therapieverfahren sollte auch für eine Behandlung mit Cannabis und Cannabinoiden gelten, dass eine einmal als wirksam und verträglich festgestellte Therapie beibehalten werden kann.
3. (…) Die Risiko-Nutzen-Bewertung einer Behandlung muss grundsätzlich immer auch mögliche Langzeitschäden im Blick haben – dieses ethische Prinzip sollte auch im Falle einer Entscheidung für oder gegen eine Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten Anwendung finden und im Hinblick auf eine Kostenerstattung durch die Krankenkassen berücksichtigt werden.
„Aus Sicht der Patienten und der Ärzteschaft muss es darauf ankommen, dass die Entscheidung, ob ein Patient mit cannabisbasierten Medikamenten behandelt wird, eine Entscheidung von Arzt und Patient ist. Ansonsten bleibt es bei einer Zweiklassenmedizin, mit größeren Optionen für vermögende Patienten.“ (ACM 2016)
3.2 Hintergründe und Meilensteine der rechtlichen und politischen Entwicklungen zwischen 1995 und 2018
3.2.1 1995: Gutachten des BfArM vom November
Ein Gutachten des BfArM vom 2. November 1995 auf Anforderung der Bundesregierung, ist die Grundlage für die Beantwortung einer kleinen Anfrage der PDS, Vorläuferin der im Jahr 2005 gegründeten Partei Die Linke, im Deutschen Bundestag (Deutscher Bundestag 1995).
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