1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 Reier H (1982) Die altdeutschen Heilpflanzen, ihre Namen und Anwendungen in den literarischen Überlieferungen des 8.-14. Jahrhunderts. 1. Band A-H, Selbstverlag Kiel.
Reiniger W (1941) Zur Geschichte des Haschischgenusses, Ciba-Ztschr 7, 2766–2772.
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Tschirch A (1909–1925) Handbuch der Pharmakognosie, 3 Bände, Tauchnitz Verlag Leipzig.
3 Die Geschichte eines Gesetzes: Von der Ausnahme zur regulären Verschreibung von Cannabis
Franjo Grotenhermen
Die juristische Auseinandersetzung, die schließlich zur Durchsetzung von Ausnahmeerlaubnissen für die Verwendung von Cannabisblüten ab dem Jahr 2007 und zu einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für den Eigenanbau von Cannabis durch Patienten im Jahr 2016 führte, begann mit einer Verfassungsbeschwerde durch acht Patienten am 14. Dezember 1999. Bereits im Jahr 1995 gelangte ein durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstelltes Gutachten zu dem Schluss, dass die medizinische Verwendung von Cannabis bzw. Tetrahydrocannabinol (THC) nicht mit dem Argument zurückgewiesen werden könne, es gäbe „auf jedem Gebiet bessere therapeutische Alternativen“ (Goedecke u. Karkos 1996).
3.1 Die Folgen eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts
Im Dezember 1999 hatten acht Patienten mit verschiedenen Erkrankungen eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot der medizinischen Verwendung von Cannabis eingereicht. Ihre behandelnden Ärzte hatten ihnen bescheinigt, dass sie von Cannabisprodukten profitieren (Grotenhermen 2018). Das Bundesverfassungsgericht öffnete mit seinem Beschluss die Tür für dynamische juristische und politische Auseinandersetzungen, die schließlich am 19. Januar 2017 zur einstimmigen Verabschiedung eines Gesetzes führten, durch die Cannabisblüten in Deutschland verschreibungsfähig wurden.
3.1.1 2000: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht entschied am 20. Januar 2000, dass Patienten bei der Bundesopiumstelle des BfArM eine Ausnahmeerlaubnis zur Verwendung von Cannabis beantragen können (2 BvR 2382–2389/99). Das Bundesverfassungsgericht wies darauf hin, dass sich Patienten auf den § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) beziehen können, in dem es heißt:
„(2) Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.“
In ihrem Urteil schrieben die Richter, dass auch die medizinische Versorgung der Bevölkerung ein öffentlicher Zweck sei, der im Einzelfall die Erteilung einer Erlaubnis rechtfertigen kann.
„Die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist danach auch ein öffentlicher Zweck, der im Einzel fall die Erteilung einer Erlaubnis gemäß §3 Abs. 2 BtMG rechtfertigen kann (…).“
„Zwar steht die Erteilung einer Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln im Ermessen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte; jedoch haben Antragsteller einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.“ (Bundesverfassungsgericht 2000)
3.1.2 2005: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
Von der Möglichkeit eines Antrags an die Bundesopiumstelle gemäß des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts haben mehr als 100 Patienten Gebrauch gemacht. Darunter war auch ein Rechtsanwalt, der an multipler Sklerose (MS) mit schweren Symptomen litt, die sein Leben massiv beeinträchtigten. Alle Anträge wurden durch die Bundesopiumstelle mit dem Verweis auf die Möglichkeit der Verwendung von Dronabinol abgelehnt. Mehrere Patienten klagten gegen diese Ablehnungen vor den Verwaltungsgerichten. Am 19. Mai 2005 verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht das BfArM den Antrag des MS-Patienten erneut zu prüfen (Bundesverwaltungsgericht 2005).
„Die medizinische Versorgung der Bevölkerung ist kein globaler Akt, der sich auf eine Masse nicht unterscheidbarer Personen bezieht. Sie realisiert sich vielmehr stets durch die Versorgung einzelner Individuen, die ihrer bedürfen.“
Das Bundesverwaltungsgericht betont in seinem Urteil den hohen Wert des im Grundgesetz verankerten Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
„In das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann nicht nur dadurch eingegriffen werden, dass staatliche Organe selbst eine Körperverletzung vornehmen oder durch ihr Handeln Schmerzen zufügen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist vielmehr auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden.“
Bundesverwaltungsgericht 2005
Die Entscheidung, einem Patienten den Erwerb oder, was insbesondere bei Cannabis in Betracht kommt, etwa den Anbau zu gestatten, bleibt stets eine Einzelfallentscheidung. Sie muss die konkreten Gefahren des Betäubungsmitteleinsatzes, aber auch dessen möglichen Nutzen in Rechnung stellen. Dieser kann gerade bei schweren Erkrankungen, wie sie hier in Rede stehen, auch in einer Verbesserung des subjektiven Befindens liegen. Dabei ist sich der Betroffene bewusst, dass es keinerlei Gewähr für die therapeutische Wirksamkeit des eingesetzten Betäubungsmittels gibt.
3.1.3 2007: erste Ausnahmeerlaubnisse durch die Bundesopiumstelle
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts führte ab 2007 schließlich zur Etablierung eines Verfahrens, bei dem Patienten einen Antrag auf eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG bei der Bundesopiumstelle stellen konnten, mit dem Ziel einer sogenannten ärztlich begleiteten Selbsttherapie mit Cannabisblüten oder einem Cannabisextrakt. Dabei musste der behandelnde Arzt darlegen, dass Standardtherapien nicht ausreichend wirksam waren oder ausgeprägte Nebenwirkungen verursachten, sodass ein Therapieversuch mit Cannabisprodukten indiziert war. Häufig hatten die Antragsteller bereits festgestellt, dass eine Therapie mit Cannabis ihre Leiden linderte. Zwischen 2007 und 2016 nahm die Zahl der jährlichen Antragstellungen und Ausnahmeerlaubnisse stetig zu. Nach Angaben der Bundesopiumstelle besaßen im Januar 2017 insgesamt 1.040 Personen eine solche Erlaubnis (Grotenhermen 2018).
3.1.4 2016: das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
Da sich viele Erlaubnisinhaber die Cannabisblüten aus der Apotheke, die pro Gramm 12–25 EUR kosteten, nicht oder nicht in dem medizinisch erforderlichen Umfang leisten konnten, beantragten einige den für sie finanzierbaren Eigenanbau von Cannabispflanzen für die eigene medizinische Versorgung. Diese Anträge wurden von der Bundesopiumstelle sämtlich abgelehnt. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. April 2016 sorgte dafür, dass einem MS-Patienten, der seit Jahren gerichtlich für eine Erlaubnis zum Eigenanbau stritt, am 28. September 2016 als erstem Patienten in Deutschland überhaupt eine Genehmigung zum Anbau von Cannabis für die eigene medizinische Behandlung erteilt wurde (Bundesverwaltungsgericht 2016). Das Gericht stellte fest, dass der Eigenanbau von Cannabis erlaubt werden muss, da der Erwerb von Medizinalcannabisblüten aus der Apotheke aus Kostengründen ausschied.
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