8.4.77
Auf dem nächsten Schriftstellerkongress wird es zu Mittag vermutlich Pferdefleisch geben, weil dort zum Auftakt Pegasus geschlachtet werden wird.
29.3.78
Interview mit „Sonntag“. Als der Redakteurin meine Antworten nicht gefallen, beginnt sie (Das müsste man besser so sagen …), die ihren aufzuschreiben. Als ich gegen ihr Selbstgespräch protestiere, erklärt mir der Chefredakteur, dass sich der Klassenkampf ständig verschärfe und der Klassenfeind nebenan auf jegliche Blöße laure. Kein Dialog, die Tür ist zu, die Gesellschaft geschlossen.
14.4.78
Antwort eines Kreis-Funktionärs auf das Ersuchen eines Bürgers, seinen todkranken Vater in Hamburg besuchen zu dürfen: Der stirbt auch ohne Sie!
3.7.78
Unblutige Exekution, 11 Uhr morgens. Rudolf Ch., Leiter des Verlags „für kommunistische Jugenderziehung“, macht uns die amtliche, eiskalte Mitteilung, die Redaktion „Temperamente“ sei ab sofort aufgelöst. Er als Sprachrohr des Zentralrates der FDJ. In 15 Minuten wird alles zerstört an Hoffnung und Engagement: das schreiende Missverhältnis zwischen den Mühen und Freuden einer Geburt und der Kälte und Schnelligkeit des Abtreibens. Kein Dank für geleistete Arbeit, perfid: „Bei uns wird niemand auf die Straße geworfen …“ In den Medien tönt’s währenddessen vom Vertrauen zwischen Kunst und Partei: Noch nie sei es so vertrauensvoll zugegangen. Die Geschichte der Zeitschrift eine permanente Geschichte des Administrierens, des Verbots, der Zensur. Um uns das Schweigen: Weder der „Bücherminister“ noch der Schriftstellerverband rühren sich.
Anwesend wir Redakteure: Rulo, Fritz-Jochen, Mischa, Frank, Richard, ich. Keine Diskussion. Und das alles, während der Renaissance Ulbrichts, der niveaulosen Arbeiterfestspiele (genannt Fest der Lebensfreude), der Verteilung der Staatspreise an die staatstragenden Kollegen, der Verurteilung Bahros wegen Landes- und Geheimnisverrats, der Einführung eines militärischen Pflichtfachs an den Schulen. Abschied nehmen von dem illusionären Gedanken, gebraucht zu werden. Gerade die Linken stören, weil sie auf der Utopie bestehen. Mitläufer, Heuchler, die schweigende Mehrheit sind problemlos zu regieren. Vita intra muros.
17.8.78
Heiner H. wird als Cheflektor abberufen. Zusammenspiel von Blockpartei, Stasi und Büro Hager. Nach der Redaktion nun auch im Verlag der Kahlschlag der Politpuristen.
30.8.78
Weitsicht: Unbeirrt / voranschreitend sehen wir / wie sich das Ziel / entfernt
7.6.79
Neun Kollegen werden aus dem Verband ausgeschlossen. Straffe Regie, die Funktionäre Hermann K., Günter G. und Gerhard H. reden von Optimismus, von der Richtigkeit der Kulturpolitik der Partei. Die Auszuschließenden lieferten dem Gegner Munition, ließen sich antikommunistisch vermarkten, schlügen die ausgestreckte Hand aus. Dann kommt die Stunde der Kollegen Scharfmacher, der Füsiliere des zweiten Glieds. Teils tragisch, teils erbärmlich. Meine Wortmeldung zu Anfang wird übergangen. Der Bezirksvorsitzende zieht die Abstimmung durch. Die vorbestimmte und vorher beschaffte Mehrheit steht. Ich sehe Leute die Hand heben, von denen ich nicht weiß, was und ob sie schreiben. Der Ergebenheitsbrief an die Parteiführung ist vorfabriziert. Wir stimmen dagegen: es ändert nichts. Wie mit diesem Tag hier leben und weiterschreiben?
20.6.79
Havemann in Fürstenwalde zu Geldstrafe verurteilt. Polizeikordon um die Stadt und Gerichtsgebäude. Ein „Post“-Entstörfahrzeug fährt vor, Generator wird angeworfen, die Straßendecke aufgerissen. VP-Offizier: Herr Havemann, Sie behindern die Bauarbeiten! Ein eisiger Sommer: Aus meiner Anthologie werden 11 Kollegen durch die Zensur entfernt, Freund Frank H. hat Parteiverfahren an der Humboldt-Uni, mein Lektor Klaus S. soll aus dem Verlag, der sich Neues Leben nennt, fliegen. Der Cheflektor L.: Empörte Autoren des Verlags hätten ihm berichtet, Klaus S. habe gegen den Ausschluss der Neun gestimmt, damit sei er untragbar für den Verlag. Perversionen, Deformationen, wohin ich sehe.
18.8.80
DDR-Urlaub-Sommer Ostsee: die um sich greifende Nivellierung, die Urlauberströme. Niemand braucht zu hungern, doch was über dieser gewerkschaftlich organisierten Massenabfütterung liegt, ist abgeschafft: Freude am Finden eines außergewöhnlichen Genusses. Stattdessen Groß-Restaurants mit drei Gerichten jeden Abend: Broiler, Bauernfrühstück, Tartar (ohne Ei). Keine Servietten, Tee ist alle. Die Kellnerinnen lamentieren über ihre Belastung, die Gäste mümmeln schweigend, gedemütigt täglich, zu müde zum Protestieren. Es herrscht weithin das zentral verwaltete Masseneinweisungssystem. Das Individuelle, nicht etwa der Staat, stirbt ab.
19.11.80
Der kulturpolitische Oberhofmarschall Kurt H. verkündet Reisestopp für DDR-Künstler, um nicht länger „die magere Kulturlandschaft in der BRD aufzuwerten“. Mein Gott, welch blinde Selbstgefälligkeit, welch dümmliche Arroganz. Immer breiter klafft die Schere Realität-Ideologie.
12.12.80
Empfang in der Ständigen Vertretung. Die Diplomaten als die Fettaugen auf der ungenießbaren Welt-Suppe. Die ideologischen Gegner verzehren gemeinsam ausgesuchte Delikatessen. Karl-Eduard v. S. neben Fritz P. Small talk, schweifende Blicke, entzückte Ausrufe, falsche Freundlichkeit. Gipfel der Geschmacklosigkeit: Ein DDR-Vertreter und einer aus der Bundesrepublik wetten, ob die Rote Armee bis zum Jahresende in Polen einmarschiert oder nicht. Sie wetten um eine Kiste Deinhard lila.
13.4.81
Honecker spricht auf X. Parteitag vom gewachsenen Bildungsstand der Menschen, lässt sich aber am Abend von einigen zigtausend FDJlern bejubeln. Eine Rundfunkreporterin, vom Jubel aufgeputscht, sagt, die Bäume Unter den Linden seien „aus dem Boden geschossen“.
22.4.81
Heute fiel Schnee und es kamen die Störche: Sie segelten durch die Flocken wie zu früh gekommene Dichter.
27.6.81
In der Universität wird eine noch volle Wahlurne vom letzten Mal gefunden.
1.10.81
Die Revolution steht noch aus. Die herrschenden Politbürokraten fürchten die Utopie, versuchen die Träume als konterrevolutionär zu denunzieren. Ziel dieser Revolution wird sein: die Assoziation freier Menschen, die Demokratie, das Ende der Unmündigkeit und der Arbeitsteilung in Leitende und Angeleitete, wird die kreative und transparente Gesellschaft sein.
27.10.81
Die Druckgenehmigung für meinen Günther-Roman von der Zensurbehörde verweigert. Daraufhin zieht mein Verlag den Druckantrag zurück. Die Verlagszensoren begründen: Es gäbe veränderte politische Umstände, die zu neuen Überlegungen im Staatsinteresse zwängen, die Parallelitäten im Roman seien evident, es gäbe eine Reihe von Stellen, in denen die Geschichte der Gegenwart den Spiegel vorhalte. Das Buch könne so nicht erscheinen, die Produktion sei gestoppt, nun läge es an mir, den Änderungsvorschlägen nachzukommen. Der Zensor der Hauptverwaltung für Verlage und Buchhandel hat im Manuskript genau die Stellen angestrichen, die ihn treffen müssen und sollen (Zensurpraxis im 18. Jahrhundert, das Spitzelwesen im Königreich Sachsen, die Überwachung der Künstler). Es wäre zum Lachen, hätte ich an diesem Buch nicht drei Jahre gearbeitet.
18.11.81
Klaus H., Chef der Zensurbehörde, der sich gern Bücherminister nennen lässt, schreibt mir auf meinen Brief (in dem ich schrieb, ich möchte in der DDR leben, schreiben und veröffentlichen, wenn aber das Buch nur im Westen erscheinen könne, dann dächte ich auch daran, dort zu leben, wo meine Bücher seien), er fände meine Überlegungen „elementar abstoßend“. Christa W. rät mir zu lernen, mich von Derartigem nicht mehr verletzen zu lassen, findet aber, ich dürfe dem Literatur-Administrator H. diese Formulierung nicht durchgehen lassen. Doch ich bin müde, will den Clinch nicht.
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