Aus Dees Unwohlsein wurde Faszination. Er verstand das tatsächlich. So ähnlich hatte nur der Professor für höhere Mathematik an der Akademie geklungen.
Coulthard unterbrach ihn mit einem Räuspern. »Können Sie das so erklären, dass auch ein Laie Sie versteht?«
McAllisters dunkelgraue Augen zeigten eine Spur von Irritation. Er fuhr sich mit der Hand über den Nacken und wirkte mit einem Mal zehn Jahre jünger. Der Eindruck verflog sofort, als er sich straffte und wieder zu sprechen begann.
»Fähre zwei hat sehr offensichtlich einen Verfolgungsalgorithmus benutzt, um die Fähre mit Lieutenant Hawk abzufangen. Ich tippe auf den Standardalgorithmus der Flotte. Hawk hat es bemerkt und versuchte auszuweichen. Leider zu spät.«
Das konnte er berechnen? Unglaublich! Oder hielt er sie gerade zum Narren?
Coulthard rieb sich die Stirn. »Sind Sie sicher?«
»Aye.«
De Suttons Stimme platzte dazwischen. »Ist das eine Theorie oder können Sie Ihre Behauptungen auch beweisen?«
Ein Wink Coulthards genügte, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Genug! Ich denke, wir waren uns einig, Commander De Sutton.«
Mit herablassender Miene erwiderte De Sutton Coulthards Blick. »Es gibt keinen Grund, ein Versetzungsgesuch einzureichen.«
»Es freut mich, das zu hören.« Als wäre nichts geschehen, wandte sich Coulthard noch einmal McAllister zu. »Hätten Sie an Hawks Stelle die Kollision vermeiden können?«
McAllisters Blick wurde nachdenklich. »Möglich«, sagte er endlich. »Mit einer Traversale in scharfem Winkel ... Die meisten Verfolgungsalgorithmen machen da schlapp. Wenn die Triebwerke es mitmachen ... Ja.« Das »Ja« klang sehr bestimmt.
Angeber! Oh nein. Er meinte es genau so, wie er es sagte. Er war tatsächlich fest davon überzeugt, es zu schaffen.
»Danke, McAllister«, lächelte Coulthard. »Ziehen wir alle verfügbaren Daten in Betracht«, fuhr sie an alle gewandt fort, »können wir nur zu einem einzigen Schluss gelangen: Die Kollision war ein gezielter Anschlag auf eine Sternenflottenfähre, möglicherweise sogar auf einen Admiral der Flotte. Wir müssen zudem davon ausgehen, dass sich weitere Attentäter an Bord befinden, die die Funkverbindung unserer Fähre manipuliert haben, damit Hawk keine Verbindung mit uns aufnehmen konnte. Watanabe, Sie wissen, was das bedeutet.«
Watanabe nickte.
»Gut.« Coulthard erhob sich. »Dann werde ich jetzt Botschafterin Hagen hereinbitten, damit sie uns ihre Ratschläge hinsichtlich der diplomatischen Belange unserer Mission geben kann.«
An diesem Tag trug Hagen petrolblauen Chiffon. Ihr Blick wanderte über die versammelten Offiziere und blieb fragend an McAllister hängen.
»Ich glaube, wir wurden einander noch nicht vorgestellt, Lieutenant ...«
»Verzeihung«, mischte Coulthard sich ein. »Darf ich Ihnen Lieutenant Jameson McAllister vorstellen? Er wird Lieutenant Hawk für die Dauer unserer Mission ersetzen.«
McAllister war bei Coulthards Worten aufgestanden und ahmte wieder den Protagonisten des Flottenwerbefilms nach. Breitbeinig, hoch aufgerichtet und mit auf dem Rücken verschränkten Händen, fixierte er die Wand hinter der Botschafterin.
Hagen musterte ihn. »Mutant, nicht wahr?« Weder Coulthard noch McAllister antworteten ihr. »Angenehm«, sagte sie nach einer kleinen Pause und bot ihm die Hand.
McAllister deutete ein Nicken an und setzte sich wieder. »Madam!«
Hagens Miene erstarrte. Mit einem Räuspern überging sie den peinlichen Moment und schritt in die Mitte des U-förmigen Besprechungstisches.
»Ich denke, ich brauche Ihnen nicht zu erklären, wie wichtig der Besuch des Botschafters auf Persephone für unsere Zukunft ist.«
Dee hatte den Eindruck, Hagen meinte mit diesen Worten nur McAllister.
»Wie dem auch sei«, fuhr Hagen fort. »Die Vereinten Kolonien sind in einer verzweifelten Lage. Wir brauchen diesen Waffenstillstand, um endlich wieder in Kontakt mit den von uns abgeschnittenen Planeten in der neutralen Zone treten zu können. Rücksicht auf Einzelschicksale können wir uns dabei nicht leisten.«
Wieder schienen Hagens Worte allein McAllister zu gelten. Der schien das nicht zu bemerken oder zu ignorieren. Starr fixierte er die Wand hinter Hagen.
»Ich wünsche daher ...« Hagens Stimme gewann an Schärfe. »... dass jeder auf diesem Schiff sein Bestes gibt. Zwischenfälle jeglicher Art – und seien sie noch so trivial – müssen unterbunden werden. Ich wünsche, dass der Botschafter und sein Leibwächter mit gebührendem Respekt und ausgesuchter Höflichkeit behandelt werden. Auch wenn das Verhalten des Botschafters Ihnen das vielleicht schwer machen sollte. Ich bin persönlich für das Gelingen dieser Mission verantwortlich und ich kann kein Fehlverhalten dulden.«
Dee schluckte. Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu Coulthard, die der Botschafterin mit regloser Miene zuhörte.
»Über die Sicherheitsvorkehrungen haben wir bereits gesprochen«, fuhr Hagen fort.
Sowohl Coulthard als auch Watanabe nickten bei diesen Worten.
»Ich wünsche, dass alles so abläuft, wie wir es besprochen haben.« Hagen fixierte Coulthard. »Nun ist es an Ihnen, tätig zu werden, Captain.«
Dee stand in der Reihe der im Hangar wartenden Offiziere. Von der Beobachtungskabine aus hatte sie gesehen, wie die Fähre mit dem Botschafter an Bord behutsam aufsetzte. Da sich McAllister nicht im Hangar befand, nahm Dee an, dass er die Fähre gesteuert hatte.
Das Schott öffnete sich. Hagen trat zur Luke. Kurz darauf wurde ein großer, breitschultriger Mann in schwarzem Overall sichtbar.
Dee überlief es bei seinem Anblick eiskalt. Es war das erste Mal, dass sie einem Mitglied der Schwarzen Garde begegnete. Killer, war das Erste, was ihr einfiel. Monster das Zweite.
Als ob die Erdregierung mit der Produktion der Mutanten nicht genug Unheil angerichtet hatte! War es wirklich nötig, diese genverbesserten Soldaten zu züchten?
Der Leibwächter des Botschafters – niemand anders konnte er sein – verließ mit den Bewegungen eines gefährlichen Reptils die Fähre und stellte sich lauernd neben dem Schott auf. Hinter ihm wurde die Gestalt eines zweiten Mannes sichtbar, der die dunkelblaue Uniform der Erdflotte trug. Er war groß und grauhaarig und musterte die Anwesenden wie eine Bulldogge, kurz bevor sie zubeißt.
Hagen lächelte ihn an und trat auf ihn zu. »Es ist mir eine außerordentliche Freude, Sie an Bord der Nyx begrüßen zu dürfen, Botschafter.«
Erstaunlicherweise erwiderte Duras das Lächeln. Wenn es auch auf Dee wie das Lächeln eines Haifischs wirkte.
»Die Freude ist ganz meinerseits, Mistress Hagen.«
Mit einer eleganten Bewegung drehte sich Duras um, um die wartenden Personen überblicken zu können.
»Darf ich Ihnen Captain Coulthard vorstellen?«, fragte Hagen und wies auf Coulthard, die Duras am nächsten stand.
»Botschafter.« Coulthard grüßte Duras mit einem Nicken.
Duras trat auf sie zu und deutete eine Verbeugung an. »Captain Coulthard! Ich hätte Sie sofort an Ihrer Größe erkennen müssen. Wer könnte besser zu diesem kleinen Schiff passen!«
Coulthards Miene vereiste.
Hagen lächelte verbindlich. »Ich versichere Ihnen noch einmal mein aufrichtiges Bedauern darüber, dass wir kein größeres Schiff für Ihren Transport finden konnten. Aber Sie werden sehen, dass die technischen Spezifikationen der Nyx die mangelnde Bequemlichkeit bei Weitem wettmachen.«
»Darf ich Ihnen meine Offiziere vorstellen?«, mischte sich Coulthard ein.
Duras bedachte sie mit einem Blick, als sei sie ein Insekt. »Ich hoffe doch, dass ich und mein Leibwächter adäquat untergebracht werden!«
»Aber sicher«, erwiderte Coulthard honigsüß. »Mein Erster Offizier Commander De Sutton hat sich höchstpersönlich darum gekümmert. Ich bin sicher, dass alles zu Ihrer vollsten Zufriedenheit sein wird.«
Читать дальше