Liebte Nayiga ihn etwa?
»Aber wenn er es nicht war, wer war es dann? Kayleigh Monahan?«
»Kayleigh.« Nayiga schnaubte und starrte Dee aus zornigen Augen an. »Sie ist ein Miststück. Eine Hure ...«
Aus Nayigas Worten sprach so viel Hass, dass Dee schauderte. Sie räusperte sich. »Heißt das, dass Sie glauben, dass Monahan die Daten gestohlen hat?«
»Ich sagte es bereits: Ich habe keine Ahnung, wer diese verdammten Daten gestohlen hat. Ich weiß nur eins: Dass dieses Miststück ihn verführt hat. Für sie hätte er alles getan. Alles. Sogar seine Seele verkauft.«
Und ob Nayiga in ihn verliebt war!
»Aber Sie sagten doch eben noch, dass er nur die Flotte liebt.«
»Das war, bevor er Kayleigh kennenlernte.«
Nayigas Worte gingen Dee nicht aus dem Kopf. Hatte Monahan McAllister derart den Kopf verdreht, dass er die Daten für sie gestohlen hatte? Und präsentierte ihn danach als Sündenbock, um selbst nicht in Verbindung damit gebracht zu werden? Dann lief eine Verräterin frei auf einem Schiff der Flotte herum. Und ein weiterer Verräter befand sich an Bord der Nyx. McAllister ...
Nein, sie konnte einfach nicht glauben, dass Coulthard sich so in ihm täuschte! Coulthard ließ sich nicht hinters Licht führen. Außerdem wirkte sie, als wüsste sie mehr.
Ein anderer Gedanke driftete an die Oberfläche. Was, wenn sie ihn als Köder auf die Nyx geholt hätte?
Dee wurde kalt. Sie zog die Decke enger um die Schultern und drehte sich auf die andere Seite, um eine bessere Einschlafposition zu finden. Doch McAllisters hasserfülltes Gesicht tauchte immer wieder im Dunkel des Quartiers auf, als würde er sie verfolgen.
Mist! Dann konnte sie genauso gut aufstehen!
Erneut wechselte Dee die Seite und starrte in die Schwärze der Kabine. Ein blauer Schimmer sickerte durch die Dunkelheit. Verdichtete sich. Hätte sie nicht gewusst, wie tödlich die blaue Strahlung war, hätte das Licht fast magisch gewirkt.
Sie befand sich in einem engen Raum. Ein Versorgungsschacht? Träumte sie etwa wieder?
Da entdeckte sie den Körper. Obwohl es ihr widerstrebte, rutschte sie näher. Der Mann versuchte, sich auf dem Ellbogen aufzurichten. Keuchend wandte er den Kopf in ihre Richtung. Es war McAllister.
Sein Gesicht war schweißnass und schmerzverzerrt.
»Sie?« Ungläubig riss er die Augen auf. Als habe das Wort all seine Kräfte gekostet, sank er im nächsten Augenblick stöhnend in sich zusammen.
Aber ... Das war ein Traum! Wie konnte er sie bemerken? Lag es daran, dass er ein Mutant war? Beeinflusste er sie etwa?
Trotz allem war es nur ein Traum. Er konnte ihr nichts tun. Und sie musste wissen, was er hier tat. Damit sie verstehen konnte ...
Vorsichtig robbte Dee näher und beugte sich über ihn.
Er blinzelte. Sein Blick irrte über sie hinweg. Er flüsterte etwas. So leise, dass Dee es nicht verstehen konnte.
Erschrocken wich sie zurück. Ihr Herz hämmerte.
Zitternd streckte er die Hand nach ihr aus, um sie festzuhalten und entblößte dabei seine rechte Seite, die von Blut getränkt war. Ein Stöhnen quoll aus seinem Mund. Zitternd ließ er die blutige Hand sinken, den Blick starr auf Dee gerichtet.
Der Anblick krampfte Dees Eingeweide zusammen. Spontan wollte sie nach seiner Hand fassen. Doch bevor sie ihn berühren konnte, wurden sein Blick glasig. Erstarrt hielt sie mitten in der Bewegung inne und schloss die Augen, um der lähmenden Verwirrung Herr zu werden.
Als sie die Lider wieder öffnete, stand sie in der Kommandozentrale. Dees Blick zuckte zum Hauptmonitor. Sie wusste, was sie dort sehen würde. Ein Fächer aus Geschossen raste auf die Nyx zu. Nichts konnte sie davon abhalten, das Schiff zu zerstören.
Wie festgesaugt hing ihr Blick an dem Bild. Von fern drangen die Schreie der anderen Crewmitglieder an ihre Ohren. Sie fühlte noch, wie sich die Nyx unter den Treffern aufbäumte. Dann füllte ein blendender Feuersturm die Brücke und löschte ihr Denken aus.
Mit einem erstickten Keuchen schreckte sie hoch. Durch die Dunkelheit drang Nayigas gleichmäßiges Atmen an ihre Ohren.
Ein Traum. Nur ein Traum.
»Sie?«, hörte sie McAllisters Stimme in ihrem Kopf. Stöhnend schlug sie die Hände vor ihr Gesicht.
Er wird sterben. Sie wusste es so klar und deutlich, als hätte sie es auf ihrem Konsolenmonitor gesehen. Und wenn er starb, starben sie alle.
Nein! Das war Unfug! Sie war keine Seherin.
Und Hawks Tod? Den hatte sie auch gesehen. Und Vaters Tod auch. Aber man konnte die Zukunft nicht ändern. Hatte sie es versucht? Hatte sie es denn je versucht?
Oh nein, sie wollte nicht sterben! Noch nicht. Sie wollte leben, Karriere machen, unabhängig und erfolgreich sein. Einen Mann finden, der sie liebte, ein Kind bekommen. Glücklich werden.
Dann musste sie ihn retten. So einfach war das.
Aber wenn sie ihren Traum falsch interpretierte? Wenn sie nur überleben konnten, wenn er starb? Oder sein Tod rein gar nichts mit der Zerstörung der Nyx zu tun hatte?
Nein. Sie wusste genau, was ihr Traum bedeutete. Dass die Nyx zerstört werden würde, weil er starb. Warum auch immer. Und das ließ nur einen Schluss zu – dass sie ihn retten musste.
Aber wie?
Coulthard informieren. Gute Idee! Die würde ihr bestimmt glauben.
Und wenn sie sich alles nur einbildete? Wenn er es war, der sie das sehen ließ? Er war ein Mutant der Klasse zwei. Die konnten solche Dinge.
Aber was hätte er davon? Er wurde des Hochverrats angeklagt. Wenn er sich einfach nur rächen wollte? An der Flotte, der Erdregierung oder wem auch immer?
Und sie saß dazwischen und war sein Empfänger, sein Schaf, das er zur Schlachtbank führte, um seine Rache zu vollziehen.
So viel Zorn und Hass. Wenn jemand Grund hatte, sich zu rächen, dann er. Sie durfte ihm nicht trauen.
Coulthard vertraute ihm. Und wenn sie ihn nur benutzte? In einem Spiel, von dem sie nichts wusste. Und auch Coulthard konnte sich irren!
Sie musste aufpassen. Sie musste ihn beobachten, bis sie klarer sah.
Aber wenn es dann zu spät war?
Sie erinnerte sich an den Zorn in seinem Gesicht, als er sich gegen den Spind warf, den Hass in seinen Augen, der De Sutton galt, an den Hass, mit dem er sich gegen seine Verhaftung zur Wehr setzte.
Er war gefährlich. Ihm im Wege zu stehen, konnte genauso tödlich sein wie diese Geschosse, die die Nyx treffen würden. Falls es diese Geschosse wirklich gab.
»Langsam und mit Bedacht«, sagte Siobhan immer. Genauso würde sie es halten.
Müde und zerschlagen setzte sich Dee am nächsten Morgen an ihren Platz im Besprechungsraum.
Sie hatten es tatsächlich geschafft. Dee konnte es immer noch nicht glauben. Aber Riley und Peres hatten ihr bewiesen, dass sie sich auf sie verlassen konnte. Dankbarkeit und ein bisschen Stolz erfüllten sie, überlagerten die Angst, die sie in der Nacht erfüllt hatte.
»Guten Morgen!« Coulthards Stimme klang frisch wie immer. Sie wandte sich sofort an Dee. »Statusbericht, MacNiall?«
Dee hob den Kopf. »Alle Teile überprüft, Ma’m. Einige Abweichungen, aber alle im Normbereich und beseitigt.«
»Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann.«
Coulthards Lächeln ließ Dee im siebten Himmel schweben. Bis sie McAllisters Blick wahrnahm. Starr sah er sie über den Tisch hinweg an. Die Drohung war so deutlich, dass Dee nur ein Rauschen in ihrem Kopf hörte. Bis McAllister ruckartig den Kopf in Coulthards Richtung drehte.
»McAllister, Ihre Ergebnisse!«
»Aye, Sir.« Als habe es den Moment nie gegeben, begann McAllister zu dozieren. »Ich habe Dysons Ähnlichkeitstheorem auf die beiden Kursbahnen angewandt. Gehe ich von zwei unterschiedlichen Kursbahnen aus, von der die eine nichts mit der anderen zu tun hat, ergibt das eine Endlosschleife. Dies weist daraufhin, dass ein Kurs den anderen beeinflusst hat. Mit einer Ähnlichkeitsanalyse dritten Grades kann ich bei Annahme ...«
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