Petra E. Jörns
Im Licht der Horen
Auge – Erstes Licht
Space Opera
Jörns, Petra E.: Im Licht der Horen. Auge – Erstes Licht. Hamburg, Plan9 Verlag 2020
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-948700-03-4
Dieses Buch ist auch als eBook erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.
ePub-eBook: 978-3-948700-07-2
Lektorat: global:epropaganda Michael Haitel
Korrektorat: Aileen Hiecke
Satz: 3w+p GmbH, Rimpar
Umschlaggestaltung: Christl Glatz, © Agentur Guter Punkt, München
Umschlagmotiv: © Sylphe_7/GettyImages, Bildnummer: 538337660 (Raumschiff)
© vjanez/GettyImages, Bildnummer: 619672888 (Planet)
© dottedhippo/GettyImages, Bildnummer: 911448766 (Metorit
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Ein heller Punkt zog seine Bahn zwischen den Sternen. Während sie ihm mit dem Blick folgte, wechselte die Perspektive. Persephone tauchte im Hintergrund auf, eine blaue Kugel mit hellen Wolkenbändern vor der Schwärze des Alls. Der helle Punkt bewegte sich von ihr fort, auf eine Stelle in der Umlaufbahn zu, wurde größer und größer und entpuppte sich als Raumfähre der Kolonialen Flotte – und zerplatzte vor ihren Augen in einer Garbe aus gleißenden Funken!
Dee schreckte hoch. Ihr Herz raste, kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn. Einige Augenblicke blieb sie einfach so sitzen, damit beschäftigt, sich in dem fremden Zimmer zurechtzufinden. Bis sie sich erinnerte.
Sie hatte in der kleinen Pension von Mistress Kiriakidis eingecheckt. Weil sie die Leere in ihrer Wohnung nicht ertragen konnte, die in der City von New Haven durch die bodentiefen Fenster auf die Glaspaläste der Umgebung starrte. Einer Wohnung, die noch leerer war, seit sie sie allein bewohnte.
Langsam stand sie auf. Der Holzboden unter ihren nackten Füßen war rau. Sie ging zu der doppelflügeligen Tür, die auf einen winzigen Balkon führte. Sie öffnete die Türflügel, trat hinaus und hob den Blick zum Himmel. Der Wind, der vom Meer her blies, fing sich in ihren Haaren und brachte einen Hauch von Kühle.
Endlich fand sie den Punkt zwischen den Sternen, der die CFF Nyx markierte. Das erste Schiff einer neuen Serie, das die Jäger der Erde vom Himmel fegen würde.
Morgen. Morgen würde sie an Bord gehen, um dort ihren Dienst als Chefingenieurin und Zweiter Offizier anzutreten. Ein Anflug von Stolz erfüllte sie. Hunderte hatten sich für die Stelle beworben, doch sie war ausgewählt worden. Nicht ohne guten Grund, da sie an der Entwicklung der neuen Gelmatrix mitgearbeitet hatte.
War es nicht Ironie, dass Paul indirekt seinen Anteil daran trug? Paul, der Sternenpilot, der ihr vorgegaukelt hatte, eine Familie gründen zu wollen, um sie so von Bord der CFF Achilles nach New Haven in die Forschungslabore zu locken – nur damit er bei der Admiralität Karriere machen konnte. Ein Pilot, der Akten schleppte! Lachhaft. Und sie war darauf reingefallen, hatte alles für ihn und den Kleinmädchentraum von einer heilen Welt aufgegeben. Einen Traum, der nie wahr geworden war, mit diesem Mann nicht wahr werden konnte, da der der Falsche war.
Und doch stand sie nur seinetwegen jetzt an dem vielleicht bedeutendsten Punkt ihres Lebens. Verrückt.
Ihr Blick glitt vom Himmel auf die Bucht, wo die Wellen unablässig an den weißen Strand rauschten. Wegen dieser Aussicht war sie hier, in ihrer letzten Nacht auf Persephone. Das war die Aussicht, an die sie sich in der Enge des Schiffes erinnern wollte, die künftig ihre Heimat sein würde. Und nicht an die glitzernden Glaspaläste und die Leere der ehemals gemeinsamen Wohnung in der City.
Hier. Hier wollte sie hingehören. Dort war nie ihr Zuhause gewesen.
Und morgen, ab morgen würde die Nyx ihr Zuhause sein.
Ihr Blick fand wieder den hellen Punkt zwischen den Sternen. Eine Fähre. Die vor Persephone zerplatzte. Ihre Fähre?
Sie fröstelte, und es war nicht nur der Nachtwind. Nein, sie war keine Seherin. Nur eine minderklassifizierte Maschinenversteherin, gerade genug, um sich einen Ruf als besonders begabte Ingenieurin zu erwerben. Mehr nicht.
Nein, wäre sie imstande gewesen, die Zukunft vorauszusehen, dann hätte sie auch Pauls Betrug sehen können.
Ein Albtraum also.
Mit einem letzten Blick zurück auf das Meer ging sie wieder zu Bett. Und obwohl sie dachte, nicht einschlafen zu können, tat sie es doch.
Das Pad neben ihrem Bett weckte sie viel zu früh. Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen.
Heute war der große Tag.
Vorfreude und ein Hauch von Nervosität erfasste sie. Wie lange war sie nicht mehr an Bord eines Schiffes gewesen? Sechs Jahre? Ganz automatisch ging sie die Rangabzeichen noch einmal durch, rief sich die Namen der Personen in Erinnerung, die mit ihr gemeinsam auf der Nyx dienen würden.
Captain Coulthard, Commander De Sutton, Doktor Tipton, Lieutenant Hawk, Lieutenant Watanabe, Junior Lieutenant Nayiga.
Und ihre Leute, die Crew im Maschinenraum: Chief Petty Officer Riley, Petty Officer Peres ...
Aufhören! Sie machte sich damit nur nervös.
Um sich zu beschäftigen, duschte sie, putzte sich die Zähne und ging zu ihrem Koffer. Die dunkelgraue Uniform nach all den Jahren wieder anzuziehen, jagte einen Schauer über ihren Rücken. Nun, da sie wieder Dienst auf einem Kriegsschiff haben würde, durfte sie sie wieder tragen. Mit Stolz. Sie war keine Angestellte im Forschungslabor mehr. Sie gehörte wieder dazu. Zu jenen Männern und Frauen, die tagtäglich im seit Jahrhunderten währenden Krieg gegen die Erdregierung ihr Leben für die Kolonien riskierten. Zu denen die Bürger der Kolonien zu Recht mit Stolz aufsahen.
Die Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, war ihr fremd. Sie studierte ihr Gesicht, die dunklen, glänzenden Haare, die es umrahmten, die blauen Augen, die wach und neugierig wirkten. Nicht wirklich hübsch, aber auch nicht unattraktiv. Zu wenig Brust; die Uniform betonte den Mangel noch. Paul konnte sich darüber nicht mehr beschweren.
Sie packte ihre Sachen zusammen, schloss den Hartschalenkoffer und trat ein letztes Mal auf den kleinen Balkon hinaus, berauschte sich noch einmal am Anblick des Blaus und der Weite.
Weshalb verkaufte sie die Wohnung in der City eigentlich nicht, um sich hier etwas zu suchen?
Wenn sie zurückkehrte, würde sie sich darum kümmern. Jetzt war die Zeit, einen neuen Anfang zu wagen.
Als sie die knarrende Holztreppe hinunterging, näherte sich das Geräusch klappernder Absätze. Dee unterdrückte ein Seufzen.
»Aah, Mistress MacNiall! Einen wunderbaren guten Morgen!« Im Morgenlicht, das durch die bunten Scheiben des Eingangsbereichs gefärbt wurde, kam ihr Mistress Kiriakidis entgegen. Graue Strähnen wanden sich durch die pechschwarzen Haare, die sich in einer Hochsteckfrisur auf ihrem Kopf türmten. Sie trug ein billiges geblümtes Kleid, das die Hälfte ihrer trotz des Alters immer noch schlanken Oberschenkel freiließ, und dazu viel zu hochhackige Pantoletten, die in Dee die Angst weckten, sie könne sich bei jedem Schritt den Knöchel brechen.
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