1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Bei den Bemühungen um die Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion war die zentrale Herausforderung die Frage, ob und wie Deutschland bereit war, die „mythische DM“ zugunsten des Euro aufzugeben. Letztlich wurde diese Frage gegen hinhaltenden Widerstand der Bundesbank politisch entschieden. Um den deutschen Befürchtungen entgegenzukommen, wurde aber jedenfalls die neue Europäische Zentralbank (EZB) bezüglich ihrer rechtlichen Grundlagen und ihrer wirtschaftspolitischen Orientierung nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank gestaltet. Das entsprechende Mandat im Art. 127 des EU-Vertrags (AEUV) lautet demnach: „Das vorrangige Ziel des ESZB (Europäisches System der Zentralbanken) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten.“ Hinzugefügt ist der folgende Satz: „Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik der Union, um zur Verwirklichung der im Art. 3 festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen.“ Zu diesen im Art. 3, EU-Vertrag, festgelegten Zielen gehören die Zielsetzungen „hohes Beschäftigungsniveau“, „beständiges, nicht inflationäres Wachstum“, aber auch entsprechende Aspekte des Umweltschutzes.
Als Notenbanker kann ich mit diesem Mandat gut leben und habe mich ihm immer verpflichtet gefühlt. Nicht zuletzt, weil Preisstabilität nicht nur effiziente wirtschaftliche Planbarkeit bedeutet, sondern auch soziale Risiken gerade für Bezieher kleinerer Einkommen mindern kann. Es hat in der Auslegung des gesetzlichen Mandats immer wieder Diskussionen – auch im EZB-Rat – gegeben, wobei die „orthodoxe“ Bundesbank-Politik dahin geht, dass Preisstabilität ohnedies die Voraussetzung für das Erreichen aller anderen genannten Ziele sei, der letzte Satz daher überflüssig sei. 11In der langen Frist ist dem wohl zuzustimmen, für die kürzere – und oft gerade beschäftigungspolitisch relevante – Sicht kann es freilich erforderlich sein, mit Augenmaß die gesamtwirtschaftlichen Folgen geldpolitischer Maßnahmen mit zu berücksichtigen. Noch viel mehr gilt dies bei Maßnahmen zur Sicherung der Finanzmarktstabilität, im Speziellen zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Banken- und Versicherungssektors einer Volkswirtschaft. Gefährlich ist es aber auch aus meiner Sicht, die Geldpolitik zu überlasten, sie zum „only game in town“ zu machen. Auf diese Problematik wird bei der Diskussion der EZB noch eingegangen werden.
8Gerhard Botz: Nationalismus in Wien: Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39. Mandelbaum, Wien 2008.
9Vgl. dazu: Tobias Straumann: 1931: Debt, Crisis and the Rise of Hitler. Oxford University Press, Oxford 2019.
10Felix Butschek: Österreichische Wirtschaftsgeschichte – Von der Antike bis zur Gegenwart. Böhlau, Wien 2011.
11Otmar Issing: Der Euro – Geburt, Erfolg, Zukunft. Vahlen, München 2008, S. 56 f.
4.Die Welt der Wissenschaft
Während meines gesamten beruflichen Wirkens habe ich mich stets primär als Wissenschafter gesehen, freilich als Wissenschafter, der zeitweise innerhalb und zeitweise außerhalb der Institutionenwelt der Wissenschaft lebt. Ein bisschen wie ein Mönch, der zeitweise im Kloster und zeitweise außerhalb wirkt – wobei ich die Analogie nicht zu weit führen will. Mein Fachgebiet ist die Volkswirtschaftslehre, die ich als Teil der Sozialwissenschaften sehe. Der deutsche Begriff „Volkswirtschaftslehre“ ist aber eher veraltet, und die englische Bezeichnung „economics“ lässt auch mehr Spielräume für die Beachtung internationaler Aspekte und den Bezug zu anderen Wissenschaftsbereichen wie Soziologie, Geschichte und Mathematik bis hin zur Philosophie. Im Kern gilt noch die klassische Definition, die Alfred Marshall in seinen grundlegenden „Principles of Economics“ 1898 gab: „Political economy or economics is a study of mankind in the ordinary business of life; it examines that part of individual and social action which is most closely connected with the attainment and with the use of the material requisites of wellbeing.“
Heute ist die Wissenschaft der Ökonomie in eine Vielzahl von Spezialgebieten aufgegliedert, wobei mein wissenschaftliches Interesse primär dem Bereich der Makroökonomie, das heißt dem Verhältnis wirtschaftlicher Gesamtgrößen, und hier wieder den Fragen der Geld- und Fiskalpolitik gilt. Gerade in diesen Bereichen ist die Verbindung zu politischen Fragestellungen besonders eng, und es ist hier daher besonders wichtig, bei der wissenschaftlichen Arbeit zwischen faktenorientierter Analyse und wertbezogenen Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Da ich selbst ja lange Zeit gleichzeitig Universitätsprofessor und Politiker war, war mir diese Unterscheidung stets besonders wichtig und wurde auch von meinen Studentinnen und Studenten so verstanden.
Mein Interesse für die Welt der Wirtschaft war, wie gezeigt, schon früh geweckt, wobei es sich zunehmend auf den Bereich der Volkswirtschaft und nicht der Betriebswirtschaft bezog. Wegen des volkswirtschaftlichen Schwerpunktes entschied ich mich, an der Universität Wien und nicht an der Hochschule für Welthandel zu studieren. Mitentscheidend war freilich auch mein Unbehagen mit dem politischen Geist, der damals nach meiner Einschätzung noch bei manchen Professoren und Teilen der Studentenschaft an der Hochschule herrschte. Eine dramatische Bestätigung meines Misstrauens ergab sich 1965 mit der Affäre Borodajkewycz. Borodajkewycz entstammte dem „katholisch-nationalen Lager“ und „würzte“ seine Vorlesungen an der damaligen Hochschule für Welthandel mit antisemitischen und Nazi-affinen Zwischenbemerkungen, unter großer Zustimmung vieler seiner Hörer.
Der Student (und spätere Finanzminister) Ferdinand Lacina zeigte eine entsprechende Mitschrift seinem Freund (und späteren Bundespräsidenten) Heinz Fischer, damals Sekretär im sozialdemokratischen Parlamentsklub. Fischer wies in einem Artikel auf das skandalöse Verhalten von Prof. Borodajkewycz hin, wurde von diesem geklagt und vor Gericht verurteilt. Er hatte sich nämlich geweigert, den Verfasser der Mitschrift zu nennen, da Lacina zu dieser Zeit noch studierte und negative Reaktionen gegen ihn auf der Hochschule befürchten musste. Heinz Fischer war also bereit, eine Verurteilung in Kauf zu nehmen, um einen Freund nicht zu gefährden – was für einen jungen Juristen am Beginn seiner Berufslaufbahn ein überaus mutiges und nobles Verhalten darstellt.
Ich habe diese Entwicklungen als Student mit höchstem Engagement mitverfolgt und schätze seit dieser Zeit Heinz Fischer, inzwischen einen meiner besten Freunde, als ehrlichen, zuverlässigen und mutigen Menschen. Nachdem Lacina sein Studium beendet hatte, konnte Heinz Fischer das Verfahren wieder aufnehmen, was dann letztlich zu einer Versetzung in den Ruhestand (mit um einen Prozent gemindertem staatlichem Ruhegenuss) von Prof. Borodajkewycz führte. Vorher hatte es eine gewaltige Demonstration gegen Borodajkewycz gegeben. Was für mich alarmierend und erschreckend war, war der Umstand, dass es als Reaktion darauf (unter dem Vorwand des Schutzes der „Freiheit der Lehre“) zu massiven Gegendemonstrationen rechtsgerichteter Studenten kam, was dann bei Zusammenstößen zum Tod eines betagten Demonstranten führte – das erste Opfer einer politischen Gewalttat in der Zweiten Republik.
Es ist aber auch wert hervorzuheben, dass die Verbreitung und Akzeptanz von Denkweisen in oft bedenklicher Nähe zu Nationalsozialismus und Antisemitismus bis auf kleine Restbestände heute aus Österreichs Hochschulen verschwunden sind. Zwar gibt es etwa noch schlagende Verbindungen, die auch durchaus beachtlichen Einfluss in Rechtsparteien haben – im Universitätsleben spielen sie aber keine Rolle mehr. Dies gilt auch für den „Ring Freiheitlicher Studenten“ (RFS), vielfach als ein Sammelbecken rechter Gruppierungen gesehen. War noch Mitte der 60er-Jahre der RFS an vielen Universitäten, speziell im Bereich Technik und Wirtschaft, größte oder zweitgrößte Studentengruppe, so ist sein Anteil bei den jüngsten Hochschülerschaftswahlen nur mehr minimal. Besonders freut mich diese Entwicklung bei „meiner“ Universität, der Wirtschaftsuniversität. Heute hat der RFS an dieser Universität überhaupt kein Mandat mehr in der Hochschülerschaft – ein klarer und vielleicht zu wenig beachteter Fortschritt und für mich ein Zeichen dafür, dass es sich lohnt, für eine humane und offene Demokratie einzutreten.
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