Als deine Mutter mit dir über deine Beziehung zu Frauen gesprochen hat, hast du sie dir nackt vorgestellt, beim Liebesspiel mit deinem Stiefvater, und du hast dir beide nackt in ihrem Bett in ihrer Wohnung im vierten Stock eines Hochhauses mit hundertzwanzig Wohnungen vorgestellt. Es gab Worte, über die du mehr nachgedacht hast als über andere, deine Mutter redete über den sexuellen Akt, du hast sie dir nackt neben deinem Stiefvater vorgestellt, und du hast über das Wort «Stellung» nachgedacht. Dieses Wort dürfte es nicht geben. Du hast über die Sprache einiger deiner Lehrer nachgedacht, über die Sprache der Mitglieder der Einheitspartei, das Wort «Stellung» war mit der Doktrin der Einheitspartei verbunden, es war mit sexuellen Spielen verbunden, es war Teil der Sprache der Jäger, das Wort «Sprache» dürfte es nicht geben. Du hast über den Sinn des Wortes «Schule» nachgedacht, das Wort «Schule» hat mehrere Bedeutungen, das Wort «Schule» dürfte es nicht geben, du hast über das Wort «Rolle» nachgedacht, «Liebe», während deine Mutter dir erklärt hat, wie man sich Frauen gegenüber verhält, du hast über die Wörter nachgedacht, die es nicht geben dürfte.
Das Wort «Schule» hast du schon in verschiedenen Verwendungen gehört, und dein Onkel, der Bruder deiner Mutter, hat oft über das gesprochen, was er «die Schule des Lebens» nannte. Dein Onkel machte einen Unterschied zwischen der Schule, in der man Geographie und Physik lernt, und der «Schule des Lebens». Dein Onkel wusste nicht, dass du masturbiertest, und er hat nie erfahren, wer die erste Frau war, mir der du schliefst. Er nahm dich oft mit, in seinem Dienstwagen, er zeigte dir Leute und Bäume, Häuser und Straßen, Hoftore und viele andere Dinge.
Die Schule, in die du jeden Tag mit einer Tasche voller Bücher und Hefte gingst, war für deinen Onkel ein Bestandteil seiner «Schule des Lebens». Die Schule, in der du deine Freunde und Freundinnen hattest, diese Schule, in der es Lehrerinnen und Lehrer gab, war in der «Schule des Lebens» enthalten, und die «Schule des Lebens» deines Onkels bedeutete alles, was ein Mensch auf Erden erleben und verstehen und lernen kann. Die Einheitspartei war ein winziger Teil der «Schule des Lebens», die Einheitspartei wollte sich durch die Sprach- und Verhaltensweise ihrer Parteimitglieder der Schule des Lebens entziehen, die Einheitspartei war nichts als ein dürres Blatt in der Schule des Lebens, die dein Onkel und der Rest der Welt dir in jedem Augenblick deiner Existenz vorhielten. Die Wörter sind nicht Teil der Schule des Lebens. Die Wörter erfassen kaum etwas von der Welt, sie treiben durch die unendliche Weite dahin und scheinen zu schweben. Die Schule des Lebens hat nichts mit den Wörtern zu tun. Die Schule des Lebens ist all das, was vor jedem Wort und vor allen Wörtern passiert.
Dein toter Vater, vor dir in seinem Sarg aus Holz, war eine Facette dieser Schule des Lebens, die dein Onkel dich zu lehren anfing. Dein Vater, der einige Frauen kannte und der dir jede Frau, die er kennengelernt hatte, vorstellte, benutzte öfters den Ausdruck «sich selber sein», und so gab es zwei Ausdrücke, über die du während deiner Tage und Nächte immer wieder nachdachtest, du dachtest an deinen Onkel und an die Schule des Lebens, du dachtest an deinen Vater und an das Sich-selber-sein.
Deine Mutter wusste, dass ihr Bruder mit dir über die Schule des Lebens sprach, und sie wusste, dass dein Vater mit dir über das Sich-selber-sein sprach. Deine Mutter hat einmal gesagt, «ich hasse die Frauen», und diese Worte deiner Mutter haben inmitten der Worte deines Vaters und derjenigen deines Onkels einen Platz eingenommen. Du hattest Worte, die von deiner Mutter stammten, du hattest Worte, die von deinem Vater stammten und von deinem Onkel, und du hast all diese Worte zusammengetragen, und manchmal hast du dir gesagt, dass es Worte nicht geben dürfte.
Ich weiß nicht, welche Worte du bei mir aufgeschnappt hast. Ich kenne die Worte, welche du von anderen aufgeschnappt hast, ich weiß, dass du alle Worte hörst, und du hast mir mehrmals von deiner Art, wie du dir Worte aneignest, erzählt. Du hast eine eigene Art, dir Worte anzueignen. Du bist ein Herr der Worte, und ich habe dich gesehen, wie du die Blumen in meinem Garten gegossen hast, ich habe dich die Blumen und die Autogarage anschauen sehen, die Blumenerde, den Gartenschlauch und den Wasserstrahl, und du hast an ein Wort gedacht, an ein einziges Wort, das die Blumen, ihre Erde, die Autogarage, den Gartenschlauch und den Wasserstrahl, der aus dem Plastikschlauch kam, miteinander zu verbinden vermag: Und als ich dich damals so sah, warst du zehn Jahre alt, und du masturbiertest.
Einige der Arbeiter deines Vaters masturbieren noch immer, und sie sind gekommen, um sich von deinem Vater zu verabschieden. Du wusstest, dass einige der Arbeiter deines Vaters masturbierten, und du hast einige Arbeiter deines Vaters in dunklen Ecken der Baustelle beim Masturbieren gesehen. Sie masturbierten in Räumen, die sich im Bau befanden, sie masturbierten bei der Arbeit, und sie setzten ihre Tätigkeit nach dem Masturbieren wieder fort. Du kanntest die Arbeiter, die auf der Baustelle arbeiteten, gut, und du konntest an ihren Gesichtern ablesen, ob sie in die Kantine oder in eine der dunklen Ecken der Baustelle masturbieren gingen. Einer der Arbeiter hat dir einmal gesagt, «du bist noch klein und hast keine Ahnung», und du hast geantwortet, «ich weiß, dass du masturbierst und dass du stöhnst, wenn du hinter dem Stoß Dachpappenrollen masturbierst!», und dieser Mann hat nach diesem kurzen Wortwechsel nicht mehr auf der Baustelle masturbiert. Das Wort «Masturbation» dürfte es nicht geben.
Angesichts der sterblichen Überreste deines Vaters sagen dir die Wörter wenig. Du bist bei deinem toten Vater, und ihr seid jetzt zusammen und ohne Wörter. Bei allen Leuten siehst du ihr «ohne Wörter», und du fragst dich, ob «ohne Wörter» in der Schule des Lebens mit eingeschlossen ist, oder ob die Schule des Lebens in «ohne Wörter» mit eingeschlossen ist. Du stellst dir diese Frage mit vierzehn Jahren, und du stehst vor deinem toten Vater, und ich schaue dich mit meinen achtundneunzig Jahren an, und mir wird bewusst, dass du dabei bist, Gott in die anderen Wörter mit einzuschließen, und auch das Gegenteil machst du, du schließt jedes Wort in Gott mit ein, dann vermischst du die Bedeutungen irgendwie miteinander und suchst das Wort, das sämtliche Wörter enthalten wird, du kannst das Wort noch nicht finden, und du weißt nicht, ob es überhaupt ein Wort ist, das du finden wirst, und ich schaue dich an und weiß, dass ich sterben und nicht wissen werde, wie weit du gegangen bist in deiner Wahrnehmung der Welt und der Wörter.
Schau deinen Vater an und durchsuche das Bild, das du von ihm im Sarg hast, so wie du meine Kisten voller Werkzeuge und Nägel durchsucht hast. Du hast diese Kisten mit einem Blick und mit Handgriffen durchsucht, wie ich sie nie zuvor bei jemandem gesehen habe. Mit deinem auf die Werkzeuge und Nägel fixierten Blick hast du den Rest der Welt in meine Kisten gebracht, und meine Nägel und meine Werkzeuge waren Frauen und Männer, waren Lebensgeschichten, meine Nägel waren Soldaten im Schützengraben und Leute, die auf einer Terrasse ein Bier tranken. Meine Werkzeuge waren Blumen und Kochtöpfe, sie waren Kinder in einem Schulhof, du hattest einen Blick wie einen Faden, an dem die Welt hing, und du hast mit diesem Faden meine Werkzeugkisten durchsucht.
Du bleibst alleine bei deinem toten Vater zurück, sie lassen dich alleine mit ihm. Niemand kommt jetzt mehr in das Zimmer des Hauses deiner Stiefmutter zurück, in dem du dich alleine mit deinem toten Vater, in seinen Sarg aus Holz gebettet, befindest. Alle sind draußen, Männer und Frauen, sie reden über die Schuld des Fahrers. Das Wort «Schuld» dürfte es nicht geben. Sie sagen, «der Fahrer ist schuld!», sie sagen, dass der Fahrer nicht in den Leerlauf hätte schalten dürfen, sie sagen, dass er zu spät reagiert habe, sie sagen, er hätte früher bremsen sollen.
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