242Zunächst hat sich T durch das Aufstellen der Flasche nach § 222 strafbar gemacht. Dem steht auch nicht eine freiverantwortliche Selbstgefährdung des O entgegen, da dieser zwar selbst trank, jedoch die lebensgefährlichen Auswirkungen dabei nicht erkannte. Anknüpfungspunkt für eine vorsätzliche Körperverletzung durch Unterlassen nach §§ 223, 13 ist das nicht rechtzeitige Herbeirufen ärztlicher Hilfe durch T. Zwar hatte sich O bereits zuvor durch Trinken des Mittels an der Gesundheit geschädigt, jedoch genügt es, wenn durch das Unterlassen eine nicht unerhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes eintritt. Die Handlungspflicht des T resultiert aus einer Überwachungsgarantenstellung kraft Sachherrschaft über die Flasche als gefährlichen Gegenstand sowie kraft pflichtwidrigen Vorverhaltens (Ingerenz) aufgrund des Aufstellens der Flasche. Die Garantenstellung erstreckt sich dabei nicht nur auf die Körperverletzung i. S. d. § 223, sondern zugleich auch auf den Tod als schwere Folge 499. Fraglich ist freilich, ob der gefahrspezifische Zusammenhangvorliegt. Der BGH stellt hierfür maßgeblich darauf ab, ob der Täter in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand – hier also durch Aufstellen der Flasche – herbeigeführt habe 500. Dies überzeugt aber nicht. Denn wenn Anknüpfungspunkt für den Grundtatbestand erst das nachfolgende Unterlassen ist, kann die vorausgehende Fahrlässigkeit zwar eine Strafbarkeit nach § 222 begründen, sie ist aber gerade keine dem Unterlassen innewohnende spezifische Gefahr – sondern eben gerade die spezifische Gefahr eines vorausgehenden, selbständig zu beurteilenden Aktes 501. Richtigerweise wird man verlangen müssen, dass durch die Vertiefung der bereits bestehenden Körperverletzung i. S. d. § 223 zugleich eine nicht unerhebliche Erhöhung der Lebensgefahr derart bewirkt worden ist, dass sich gerade die in der Vertiefung liegende Gefährlichkeit in der schweren Folge niedergeschlagen hat 502, was hier zu bejahen ist, so dass sich T nach §§ 227, 13 strafbar gemacht hat.
4.Versuchskonstellationen
243 a) Strafbarkeit des Versuchs.Da es sich bei erfolgsqualifizierten Delikten um Vorsatzdeliktehandelt (vgl. § 11 Abs. 2), ist der Versuch nach allgemeinen Regeln strafbar, soweit es sich – wie bei § 227 – um ein Verbrechen handelt oder die Versuchsstrafbarkeit ausdrücklich angeordnet ist.
244 b) Versuchte Erfolgsqualifikation.Erfasst wird zunächst die versuchte Erfolgsqualifikation, bei der das Grunddelikt der Körperverletzung versucht oder vollendet ist und der Täter Tatentschluss bezüglich der nicht eingetretenen schweren Folge besitzt. Im Rahmen des § 227 besitzt diese Konstellation jedoch keine praktische Bedeutung, da §§ 227, 22, 23 von den dann ebenfalls verwirklichten §§ 212 (211), 22, 23 im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängt werden.
Bsp.:T greift O mit einem Messer an und nimmt dabei billigend in Kauf, dass O beim Ausweichen tödlich stürzt. O kann jedoch ohne Sturz ausweichen. – §§ 227, 22, 23 sind hier zwar verwirklicht, weil zum versuchten Grunddelikt (versuchte Körperverletzung) der Tatentschluss in Form von dolus eventualis hinsichtlich der schweren Folge (Tod) tritt; gem. § 18 wird auch vorsätzliches Handeln bzgl. der schweren Folge erfasst („wenigstens Fahrlässigkeit“). Jedoch werden §§ 227, 22, 23 von §§ 212, 22, 23 verdrängt.
245 c) Erfolgsqualifizierter Versuch.Größere Bedeutung besitzt hingegen der erfolgsqualifizierte Versuch. Dieser liegt vor, wenn bereits bei einem versuchten Grunddelikt die schwere Folge eintritt. Nach h. M. ist auch diese Konstellation strafbar, da es – entgegen der Letalitätslehre 503– für den gefahrspezifischen Zusammenhang genügt, dass die schwere Folge auf der Körperverletzungshandlung (der Körperverletzungserfolg tritt in dieser Konstellation ja gerade nicht ein) beruht.
Bsp. (1):T versucht O zu schlagen; O weicht zurück, stürzt aus dem Fenster und kommt durch den Sturz zu Tode. – T macht sich gem. §§ 227, 22, 23 strafbar.
Bsp. (2): 504T verfolgt mit weiteren Beteiligten den O, um ihn schwer zu misshandeln. O stürzt in Panik und Todesangst durch die Glastüre einer abgeschlossenen Haustüre. Auf Grund der Schnittwunden verblutet er. T hatte den O jedoch bereits zuvor aus den Augen verloren und die Verfolgung aufgegeben. – T hat sich gem. §§ 227, 22, 23 strafbar gemacht. Hinsichtlich des Grunddelikts der versuchten Körperverletzung müsste in einer Prüfungsarbeit vor allem das unmittelbare Ansetzen zur Körperverletzung durch die Verfolgung sorgfältig begründet werden. Hinsichtlich der schweren Folge ist zu beachten, dass zum Zeitpunkt des Eintritts der schweren Folge die Körperverletzungshandlungen bereits beendet waren (Abbruch der Verfolgung) und das Opfer auf Grund eines eigenen Entschlusses durch die Tür sprang. Die Paniksituation des Opfers führt jedoch zum Ausschluss eigenverantwortlichen Handelns, zumal O gerade auf Grund seiner Todesfurcht den Abbruch der Verfolgung nicht erkannte. Daher ist der gefahrspezifische Zusammenhang zu bejahen; zu einem anderen Ergebnis gelangt wiederum die Letalitätslehre.
5.Täterschaft und Teilnahme
246Da es sich bei § 227 um ein Vorsatzdelikt handelt (§ 11 Abs. 2), kommt auch eine Beteiligungan dieser Tat nach Maßgabe des § 18in Betracht. Dabei ist zu beachten, dass jedem Beteiligten hinsichtlich der schweren Folge selbst wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fallen und zwischen Grundtatbestand und schwerer Folge der gefahrspezifische Zusammenhang bestehen muss 505. Für die Mittäterschaft bedeutet dies, dass lediglich in Bezug auf das Grunddelikt die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 vorliegen müssen. In Fällen der Anstiftung oder Beihilfe bezieht sich die akzessorische Haftung ebenfalls nur auf das Grunddelikt 506.
247§§ 212, 211 verdrängen § 227 im Wege der Gesetzeskonkurrenz 507; zwar ist der Tatbestand des § 227 auch bei Vorsatz hinsichtlich des Todes verwirklicht (vgl. auch § 18: „wenigstens Fahrlässigkeit“), jedoch ist dieser im vorsätzlichen Tötungsdelikt vollständig enthalten. § 227 verdrängt hingegen seinerseits als spezielleres Gesetz § 222 und §§ 223, 224 508.
Einführende Aufsätze:
Kudlich , Die Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt, JA 2000, 511; Kühl , Das erfolgsqualifizierte Delikt (Teil I) – Das vollendete erfolgsqualifizierte Delikt, Jura 2002, 810 (Zusammenhang zwischen Grunddelikt und der besonderen Folge); ders., Das erfolgsqualifizierte Delikt (Teil II) – Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts und Rücktritt, Jura 2003, 19; Steinberg , Die Erfolgsqualifikation im juristischen Gutachten, JuS 2017, 970 (dogmatische Einordnung); Ransiek , Körperverletzung mit Todesfolge, JA 2017, 912 (bei fahrlässiger Verursachung des Todes).
Übungsfälle:
v. Heintschel-Heinegg/Kudlich , Der Regensburger Fenstersturz, JA 2001, 129 (tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang bei eigenem Verhalten des Opfer); Hinderer , Eine schlechte Partnerwahl, JA 2009, 25 (Beruhen der Folge auf Taterfolg oder Tathandlung, daneben auch Strafmilderung gem. § 28 StGB und die Verdeckungsabsicht des § 211 StGB beim Unterlassen); Norouzi , Die Welt zu Gast bei Freunden, JuS 2006, 531 (Strafbarkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs); Safferling , Verfolgung mit tödlichem Ausgang, Jura 2004, 64 (Strafbarkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs, Unmittelbarkeitskriterium); Timpe , Die Rockband, Jura 2009, 465 (Unmittelbarkeitszusammenhang, tatbestandsspezifischer Gefahrenzusammenhang).
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