Prüfungsschema: Kombinierte Prüfung von § 223 und § 224
1. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand
aa) Grundtatbestand des § 223
bb) Begehung der Körperverletzung
(1) Nr. 1: durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen
(2) Nr. 2: mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs
(3) Nr. 3: mittels eines hinterlistigen Überfalls
(4) Nr. 4: mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich
(5) Nr. 5: mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
b) Subjektiver Tatbestand
aa) Vorsatz bzgl. der objektiven Merkmale des Grundtatbestandes des § 223
bb) Vorsatz bzgl. der objektiven Merkmale des § 224
2. Rechtswidrigkeit
3. Schuld
193 a) § 224 Abs. 1 Nr. 1.Danach ist die Tat qualifiziert, wenn der Täter die Körperverletzung durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffenbegeht.
Definition
Giftist jeder organische oder anorganische Stoff, der unter den konkreten Bedingungen durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung (Arsen, Rauschmittel, Schlaftabletten, Salzsäure, sog. K.O.-Tropfen oder Pfefferspray) geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen 391.
194 aa)Gift ist dabei lediglich ein Beispiel für den Überbegriff der anderen gesundheitsschädlichen Stoffe. Zu Letzteren gehören vor allem mechanisch (z. B. zersplittertes Glas) oder thermisch wirkende Stoffe (z. B. kochendes Wasser) sowie Bakterien und Viren. Auch werden an sich unschädliche Stoffe des täglichen Bedarfs erfasst, wenn diese nach der Art ihrer Anwendung bzw. Zuführung, der Menge, der Konzentration, dem Alter und der Konstitution des Opfers mit der konkreten Gefahr einer erheblichen Schädigung verbunden sind 392.
Bsp.: 393Vergiftung eines Kleinkindes mit Kochsalz.
195 bb)Streitig ist, ob es auch genügt, dass der Stoff (nur) geeignet ist, einfache Gesundheitsschädenhervorzurufen. Eine Mindermeinung bejaht dies, weil der Wortlaut keinerlei Anhaltspunkte für Einschränkungen biete 394. Dagegen versteht die h. M. im Wege einer systematischen Auslegung unter Gift nur Stoffe, die erhebliche Gesundheitsschädenhervorrufen können 395. Da auch das gefährliche Werkzeug i. S. v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 geeignet sein muss, erhebliche Verletzungen hervorzurufen 396, würde ein Wertungswiderspruch entstehen, wenn das Gift eine solche Eignung nicht aufweisen müsste. Im Übrigen ließe sich auch die gegenüber § 223 erhöhte Strafdrohung des § 224 kaum rechtfertigen, wenn jemand einer anderen Person z.B berauschende Mittel beibringt, die zwar die Gesundheit leicht schädigen können, jedoch von vornherein nicht geeignet sind, schwerere Schäden zu verursachen. Zu weitgehend ist hingegen die Forderung, dass der Stoff sogar geeignet sein müsse, eine schwere Körperverletzung i. S. d. § 226herbeizuführen 397. Denn dadurch würde der Tatbestand – auch im Vergleich zu den weiteren Tatbestandsvarianten – zu sehr eingeengt.
Bsp.:T schüttet dem O statt Martini hochprozentigen Schnaps in den Saft; O ist es daraufhin leicht übel. – T hat sich wegen Gesundheitsschädigung nach § 223 Abs. 1 Var. 2 strafbar gemacht; § 224 Abs. 1 Nr. 1 ist hingegen zu verneinen, da der Alkohol nicht geeignet war, erhebliche Gesundheitsschäden herbeizuführen.
196 cc) Beibringenbedeutet, dass der Stoff mit dem Körper derart in Verbindung gebracht wird, dass er gesundheitsschädigend wirken kann. Das Beibringen kann auch von außen geschehen, d. h. es ist keine Wirkung im Körperinneren wie bei einer „klassischen“ Giftgabe erforderlich; denn für den gesteigerten Unrechtsgehalt ist es unerheblich, auf welche Weise der Stoff wirkt 398.
Bsp.: 399T schüttet dem O Salzsäure ins Gesicht, wodurch es zu einer erheblichen Gesundheitsschädigung kommt.
Gegenbsp.: 400T kippt ein Teergemisch in die Haare des O, die verkleben. – Soweit es hier zu keiner erheblichen Gesundheitsschädigung kommt, ist Nr. 1 zu verneinen.
197 b) § 224 Abs. 1 Nr. 2.Dieser Qualifikationstatbestand liegt vor, wenn die Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugsbegangen wird.
198 aa)Das „andere“ gefährliche Werkzeug stellt den Oberbegriffdar.
Definition
Ein gefährliches Werkzeugliegt vor, wenn der Gegenstand nach objektiver Beschaffenheit sowie Art und Weise der Verwendung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche (d. h. gravierende 401oder schwerwiegende 402) Verletzungen hervorzurufen 403.
Nicht erforderlichist dabei, dass durch die Tat Verletzungen i. S. d. § 226 Abs. 1oder vergleichbar schwerwiegender Art eintreten können 404.
Bspe.:Schlag auf den Kopf mit einer Bierflasche; Stich mit der Gabel in das Auge; Plastiktüte, die über den Kopf gezogen wird; Hetzen eines Hundes; Zufahren mit einem Kfz 405.
199 (1)Bei den viel diskutierten Fällen eines Tritts mit dem Schuh gegen den Körper 406oder des Ausdrückens einer brennenden Zigarette auf der Haut 407verbieten sich generelle Lösungen. So hängt die Antwort auf die Frage, ob erhebliche Verletzungen entstehen können, vor allem von dem betroffenen Körperteil ab (Tritt gegen den Kopf oder „nur“ das Bein?). Auch ist die konkrete Beschaffenheit des Schuhs (Springerstiefel oder „nur“ Flip-Flop) und die Art der Tatausführung (z. B. Heftigkeit des Trittes) entscheidend.
200 (2) Instrumente eines Arztes, die lege artis zur Heilbehandlung eingesetzt werden, werden nicht erfasst, da diese nicht als Angriffs- oder Verteidigungsmittel eingesetzt werden 408. Anders ist jedoch zu entscheiden, wenn eine zur Heilkunde nicht befugte Person solche Werkzeuge benutzt, da hier eine erhöhte Gefährlichkeit besteht.
Bsp.: 409T bricht den Besuch eines Heilpraktikerkollegs nach 3 Semestern ab; später betätigt er sich als Heilpraktiker und verabreicht dabei dem gutgläubigen O eine Spritze in die Kopfhaut. – T verwirklicht aus den genannten Gründen §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2; die Einwilligung des O in die Körperverletzung durch T ist im Übrigen mangels beruflicher Qualifikation auf Grund eines rechtsgutsbezogenen Irrtums unwirksam.
(3) Körperteilewie Hand, Fuß usw. sind – wie bereits der Wortlaut nahe legt – mangels Gegenständlichkeit ebenfalls keine Werkzeuge 410. Daher kann auch der schwere Faustschlag eines Boxers gegen den Kopf des Opfers nicht erfasst werden. Dasselbe gilt nach h. M. für unbewegliche Gegenstände, da diese nicht in Richtung des menschlichen Körpers bewegt werden können 411. Demnach liegt kein Fall des § 224 Abs. 1 Nr. 2 vor, wenn der Täter das Opfer mit dem Kopf gegen die Wand, auf den Fußboden oder die Herdplatte der Einbauküche stößt oder eine Person unter Wasser taucht. Jedoch ist zu beachten, dass in solchen Fällen § 224 Abs. 1 Nr. 5 einschlägig sein kann.
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