Bspe.:Schlag mit einer Eisenstange auf den Kopf; Stich mit 7 cm langen Schraubendreher in Brustbereich 429; Überfahren mit Kfz; Infizieren mit HI-Virus 430; exzessives Röntgen 431.
209Dabei ist zu beachten, dass die Art der Behandlung, die unmittelbar zum Körperverletzungserfolgführt, selbst lebensbedrohend sein muss; auf eine dadurch eingetretene nachfolgende Situation kommt es nicht an.
Bsp.: 432T stößt den O leicht, so dass dieser auf die Straße fällt und beinahe überfahren wird. – § 224 Abs. 1 Nr. 5 ist zu verneinen, da der Stoß, d. h. die „Behandlung“, nicht generell geeignet war, das Leben zu gefährden. Die Lebensgefahr ergibt sich hier erst aus einer weiteren Folge, nämlich einem möglichen nachfolgenden Unfall.
Einführende Aufsätze:
Hardtung , Die Körperverletzungsdelikte, JuS 2008, 960 (die gefährliche Körperverletzung, Erläuterung der qualifizierenden Merkmale mit Beispielsfällen); Wengenroth , Die Verwirklichung der gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen, JA 2014, 428.
Übungsfälle:
Heinrich/Reinbacher , Venezianisches Finale, JA 2007, 264 (Die Spritze als gefährliches Werkzeug, Antibiotikum als Gift oder gefährliches Werkzeug, daneben Selbsttötung und Rechtfertigungsgründe); Kudlich, Ein Arzt in Not, JA 2009, 185 (das Skalpell als gefährliches Werkzeug, rechtfertigender und entschuldigender Notstand); Müller/Raschke , Samstag halb vier in Deutschland, Jura 2011, 305 (der Laserpointer und die Vuvuzela als gefährliches Werkzeug).
Rechtsprechung:
BGHSt 22, 235– Wandstoß (gefährliches Werkzeug i. S. d. Nr. 2); BGHSt 32, 130– Salzsäure II (Beibringen von Gift i. S. d. Nr. 1); BGHSt 43, 346– Röntgen (lebensgefährdende Behandlung i. S. d. Nr. 5); BGHSt 47, 383– Gehilfe („gemeinschaftlich“ i. S. d. Nr. 4); BGHSt 51, 18– Kochsalz (gesundheitsschädlicher Soff i. S. d. Nr. 1).
III.Schwere Körperverletzung, § 226
1.Geschütztes Rechtsgut und Systematik
210§ 226 Abs. 1 stellt eine Erfolgsqualifikationi. S. d. § 18 zu § 223 dar, so dass es hinsichtlich der schweren Folge des Todes keines Vorsatzes bedarf. § 226 Abs. 2 enthält hingegen eine echte Qualifikation mit Vorsatzerfordernis im Sinne von dolus directus 1. oder 2. Grades.
211
Prüfungsschema § 226 Abs. 1: Erfolgsqualifikation
1. Tatbestand
a) Verwirklichung des Grundtatbestands des § 223
aa) Objektiver Tatbestand
bb) Subjektiver Tatbestand
b) Erfolgsqualifikation i. S. d. § 18
aa) Eintritt einer schweren Folge i. S. d. § 226 Abs. 1
(1) Nr. 1: Verlust des Sehvermögens auf einem Auge oder beiden Augen, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit
(2) Nr. 2: Verlust oder dauernde Gebrauchsunfähigkeit eines wichtigen Glieds des Körpers
(3) Nr. 3: Dauernde Entstellung in erheblicher Weise oder Verfallen in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung
bb) Kausalität zwischen Handlung und schwerer Folge
cc) Wenigstens Fahrlässigkeit hinsichtlich der schweren Folge
dd) Objektive Zurechnung der schweren Folge
ee) Gefahrspezifischer Zusammenhang zwischen Grundtatbestand und schwerer Folge
2. Rechtswidrigkeit
3. Schuld
Prüfungsschema § 226 Abs. 2: Qualifikation
1. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand
aa) Grundtatbestand des § 223
bb) Schwere Folge i. S. d. § 226 Abs. 1
b) Subjektiver Tatbestand
aa) Vorsatz bzgl. des Grundtatbestands des § 223
bb) Absicht oder Wissentlichkeit bzgl. der schweren Folge i. S. d. § 226
2. Rechtswidrigkeit
3. Schuld
212 a) Schwere Folgen des § 226 Abs. 1.Voraussetzung sowohl für Absatz 1 als auch für Absatz 2 ist der Eintritt einer schweren Folge nach Absatz 1 Nr. 1 bis 3. Alle Folgen zeichnen sich durch ein Element der Dauerhaftigkeitaus.
213 aa) § 226 Abs. 1 Nr. 1ist verwirklicht, wenn die Körperverletzung den Verlust des Sehvermögens auf einem Auge oder beiden Augen, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit zur Folge hat. Eine wesentliche Herabminderung der Funktion stellt ebenfalls einen Verlust dar 433. Ein Verlust des Sehvermögens auf einem Auge oder beiden Augenist gegeben, wenn die Fähigkeit, Gegenstände als solche zu erkennen, weitgehend aufgehoben ist 434. Der Einsatz von Brillen und Kontaktlinsen stellt das Sehvermögen nicht wieder her; vielmehr werden lediglich die Auswirkungen des Verlustes gemildert 435. Mit Gehörist die Fähigkeit gemeint, artikulierte akustische Laute zu erkennen 436. Das Sprechvermögenist betroffen, wenn die Fähigkeit zur artikulierten Rede nahezu aufgehoben ist 437. Ein Verlust der Fortpflanzungsfähigkeitliegt vor, wenn die Zeugungs- oder Gebärfähigkeit aufgehoben ist 438.
214 bb)Nach § 226 Abs. 1 Nr. 2wirkt der Verlust eines wichtigen Gliedes des Körpers oder dessen dauernde Gebrauchsunfähigkeitstrafschärfend. Ein Verlust liegt vor, wenn das Glied vom Körper physisch abgetrennt wird. Anders ist jedoch zu entscheiden, wenn eine Wiederherstellung (z. B. Annähen eines Fingers) ohne unzumutbares Risiko möglich ist, selbst wenn das Opfer entsprechende Maßnahmen ablehnt 439. Erst Recht muss eine Zurechnung ausscheiden, wenn nicht die nachträgliche Beseitigung verweigert wird, sondern bereits (zumutbare) Maßnahmen zur Verhinderung des Eintritts der Folge abgelehnt werden, wie etwa bei Verzicht auf Physiotherapie mit der Folge weitgehender Gebrauchsunfähigkeit einer Hand 440. Bloße künstliche Ausgleichsmaßnahmen – wie z. B. das Einsetzen einer Prothese – sind hingegen nicht ausreichend, um den Verlust des Organs zu kompensieren 441. Eine dauernde Gebrauchsunfähigkeit ist gegeben, wenn das Glied seine spezifische Funktion dauerhaft nicht mehr erfüllen kann und damit die Beeinträchtigung einem Verlust gleich kommt; so etwa, wenn die Hand durch die Tat versteift wird 442.
215
Definition
Ein Gliedist jedes Körperteil, das mit dem Körper oder einem anderen Körperteil verbunden ist und eine besondere Funktion im Gesamtorganismus einnimmt 443. Innere Organesollen nach der Rechtsprechung keine Glieder sein. Begründet wird dies vor allem mit der Wortlautgrenze (Art. 103 Abs. 2 GG). Daher soll z. B. der Verlust einer Niere nicht den Tatbestand verwirklichen 444. Dies überzeugt jedoch nicht, weil auch innere Organe Teile des Körpers mit selbständigen Funktionen sind. Sie können unter teleologischen Gesichtspunkten für den Gesamtorganismus mindestens ebenso wichtig sein wie äußere Körperteile 445. Auch können so Fälle eigenmächtiger Organentnahme mit dem höheren Strafrahmen des § 226 sachgerecht erfasst werden. Aus demselben Grund kommt es richtigerweise auch nicht darauf an, ob – wie bei Armen, Beinen, Fingern – eine Verbindung durch ein Gelenk besteht, so dass auch Nase und Ohren erfasst werden 446.
Читать дальше