Ausnahmsweise kann die Anfechtung lediglich einer einzelnen vereinbarten Arbeitsbedingung dann zulässig sein, wenn allein der angefochtene Teil des Vertrags auf einem Irrtum oder einer arglistigen Täuschung beruht und der Arbeitsvertrag auch ohne den angefochtenen Teil sinnvoll ist. Bei einer solchen Anfechtung entfällt nur der angefochtene Teil des Vertrags – soweit möglich – rückwirkend, während der restliche Teil des Vertrags wirksam bleibt (vgl. BAG AP Nr. 4 zu § 60 HGB).
203(2) Bei Nichtigkeit des Arbeitsvertrags besteht im Regelfall ein sog. fehlerhaftes Arbeitsverhältnis, nur in besonderen Fällen ist die Nichtigkeit auch für die Vergangenheit zu beachten.
(a) Im Regelfall kann die Nichtigkeit des Vertrags – aus den zur Anfechtung genannten Gründen – nur für die Zukunft berücksichtigt werden. Jede der beiden Parteien ist in der Lage, sich durch einseitige Erklärung vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis zu lösen.
(b) Ausnahmsweise gebieten grundlegende Wertungen unserer Rechtsordnung die Beachtung der Nichtigkeit bereits für die Vergangenheit:
So wollen die §§ 104 ff. BGB die nicht geschäftsfähigen Personen schützen. Hat also der nicht geschäftsfähige Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag geschlossen, so ist dieser unwirksam. Vertragspflichten des Arbeitnehmers sind hier auch für die Vergangenheit nicht entstanden. Da die Nichtigkeit des Vertrags wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit aber dem Schutz des Nichtgeschäftsfähigen dienen soll, kann der Arbeitgeber sich nicht auf die Nichtigkeit des Arbeitsvertrags berufen, wenn für den nicht geschäftsfähigen Arbeitnehmer der Lohn für die Vergangenheit, während der er gearbeitet hat, verlangt wird.
204Im umgekehrten Fall, in dem ein nicht geschäftsfähiger Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag geschlossen hat, muss der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Geschäftsfähigkeit zu seinen Gunsten auch für die Vergangenheit berücksichtigt werden, denn der Schutz des nicht geschäftsfähigen Arbeitgebers geht nach der Wertung des Gesetzes den Interessen des Arbeitnehmers vor. Dem Arbeitnehmer stehen also in diesem Fall keine Lohnansprüche aus Vertrag zu (h. M.); er kann wegen der geleisteten Arbeit lediglich Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend machen.
Die Nichtigkeit des Arbeitsvertrags ist trotz bereits geleisteter Arbeit auch für die Vergangenheit zu berücksichtigen, wenn der Inhalt des Vertrags gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB; z. B. Fehlen der Approbation bei ärztlicher Tätigkeit, BAG NZA 2005, 1409) oder gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt. Dann entsteht kein fehlerhaftes Arbeitsverhältnis. Hier will die zur Nichtigkeit führende Wertung gerade die Arbeitsleistung und deren Entlohnung verhindern, so dass der Vertrag keine rechtlichen Wirkungen entfalten kann ( Fall f: Falschmünzerei). Auch Bereicherungsansprüche sind ausgeschlossen (§ 817 Satz 2 BGB).
III.Die Inhaltskontrolle von arbeitsvertraglichen Klauseln
Schrifttum: Däubler/Bonin/Deinert , AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, 4. Aufl., 2014; Gotthardt , Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, 2. Aufl., 2003; Henssler , Arbeitsrecht und Schuldrechtsreform, RdA 2002, 129; Neideck , Die Einbeziehung von AGB in der Fallbearbeitung, JA 2011, 492; Preis , AGB-Recht und Arbeitsrecht, NZA 2006, Beil. 3, 115; Reim , Wirksamkeit von Vertragsklauseln in Formulararbeitsverträgen, JuS 2006, 120; Reiserer , Freiwilligkeitsvorbehalt und Widerrufsvorbehalt – Immer wieder in neuem Gewand, in: Festschrift v. Hoyningen-Huene, 2014, S. 425 ff.; Stöhr/Illner , Die Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen, JuS 2015, 299; Wank/Maties , Allgemeine Geschäftsbedingungen in der Arbeitsrechtsklausur, Jura 2010, 1; Worzalla , Die Wirksamkeit einzelner Arbeitsvertragsklauseln nach der Schuldrechtsreform, NZA 2006, Beil. 3, 122,; Zimmermann , Rechtsfolgen unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen in Arbeitsverträgen, ArbRAktuell 2012, 105.
205Seit dem 1.1.2002 sind Formulararbeitsverträge, und das sind nahezu alle Arbeitsverträge, gem. § 310 Abs. 4 Satz 2, 3 BGB grundsätzlich den Regelungen der §§ 305–310 BGB unterworfen. Zuvor galt gem. § 23 Abs. 1 AGBG eine Bereichsausnahme für das gesamte Arbeitsrecht. Obwohl zahlreiche Aspekte gegen eine pauschale Einordnung sprechen (vgl. Henssler, RdA 2002, 129, 133; Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rdnr. 144), ist nach der Rspr. des BAG der Arbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrages als Verbraucher i. S. des § 13 BGB anzusehen (BAG NZA 2005, 1111). Diese Einordnung führt zur Erweiterung der Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen nach den Maßgaben des § 310 Abs. 3 BGB (Arbeitsverträge als Verbraucherverträge). Bei vorformulierten Vertragsbedingungen wird gem. § 310 Abs. 3 BGB vermutet, dass sie vom Arbeitgeber gestellt sind, zudem sind die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB sowie die Inhaltskontrolle gem. §§ 306, 307–309 BGB bereits bei nur zur einmaligen Verwendung bestimmten Vertragstexten anzuwenden.
206Ist der vorformulierte Arbeitsvertrag als „Allgemeine Geschäftsbedingung“ i. S. des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB einzustufen, so weist die rechtliche Überprüfung anhand des AGB-Rechtes auch nach geltendem Recht Eigentümlichkeiten auf. So sind § 305 Abs. 2 und 3 BGB nicht anwendbar. Das Gesetz geht davon aus, dass ein hinreichender Schutz des Arbeitnehmers insoweit über das NachwG sichergestellt ist. Von besonderer Bedeutung für die AGB-Kontrolle ist § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB. Danach sind bei der inhaltlichen Überprüfung arbeitsvertraglicher Klauseln die „arbeitsrechtlichen Besonderheiten“ angemessen zu berücksichtigen. Was hierunter zu verstehen ist, ist zwar noch nicht abschließend, aber doch weitgehend geklärt. Das BAG (NZA 2004, 727) hat schon früh der im Schrifttum vertretenen engen Auffassung, die nur innerhalb des Arbeitsrechts bestehende Besonderheiten (etwa für kirchliche Arbeitsverhältnisse) anerkennen wollte, eine Absage erteilt.
207Alle rechtlichen Besonderheiten des Arbeitsrechts können in jedem Fall einen eingeschränkten Prüfungsmaßstab rechtfertigen. So kann eine Vertragsstrafe in einem Arbeitsvertrag entgegen § 309 Nr. 6 BGB wirksam sein, weil der Arbeitnehmer gem. § 888 Abs. 3 ZPO (Rdnr. 275) nicht durch Zwangsgeld oder Zwangshaft zur Arbeitsleistung angehalten werden kann (rechtliche Besonderheit! vgl. Rdnr. 212). Darüber hinausgehend sind auch rein tatsächliche Besonderheiten des Arbeitsrechts, etwa besondere Beweisschwierigkeiten des Arbeitgebers und eine langjährige Praxis, zu berücksichtigen (Henssler, RdA 2002, 129, 138). Diesem weiten Verständnis hat sich die Rspr. angeschlossen (BAG NZA 2006, 746: Anrechnungsvorbehalte sind in arbeitsvertraglichen Vergütungsabreden seit Jahrzehnten üblich und daher (!) eine Besonderheit des Arbeitsrechts). In einer jüngeren Entscheidung hat es das BAG etwa als im Arbeitsrecht geltende rechtliche Besonderheiten angesehen, „dass bei allen im Arbeitsverhältnis vom Arbeitnehmer verursachten Schäden, die bei betrieblich veranlassten Tätigkeiten entstehen, eine Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung bzw. privilegierte Arbeitnehmerhaftung „durch entsprechende Anwendung“ des § 254 BGB erfolgt“ (BAG NZA 2018, 589 Rn. 69; zum Ganzen Henssler/Moll, AGB-Kontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen, 2. Aufl., 2020, Rdnr. 36 ff. m. w. N.).
208Arbeitsvertragliche Klauseln sind weiterhin dann von jeder Inhaltskontrolle ausgeschlossen, wenn sie lediglich tarifliche Bestimmungen wiedergeben (§ 310 Abs. 4 Satz 3 BGB i. V. m. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB, insofern klarstellend BAG NZA 2018, 1061 Rdnr. 26). Anderenfalls käme es zu einer mittelbaren Tarifzensur, die mit der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie nicht zu vereinbaren wäre. Nur anhand der Transparenzkontrolle des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, nicht dagegen an den sonstigen Maßstäben des AGB-Rechtes überprüfbar sind damit die in Arbeitsverträgen häufigen Bezugnahmeklauseln, sofern sie auf den ganzen (fachlich einschlägigen) Tarifvertrag oder in sich abgeschlossene Teile desselben verweisen (Rdnr. 841 ff). Darüber hinaus findet nach dem wenig präzisen Wortlaut des § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB keine Inhaltskontrolle der Hauptleistungspflichten (Arbeitsleistung als solche und Vergütung) statt, da insoweit keine abweichenden gesetzlichen Vorschriften bestehen. Auch hier bleibt daher nur die Transparenzkontrolle, §§ 307 Abs. 3 Satz 2, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
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