76Der deutsche Gesetzgeber sah in der Leiharbeit, nachdem er sie jahrzehntelang als eher unerwünschte Entwicklung sehr restriktiv behandelt hat, für eine gewisse Zeit sogar eine Lösung der Arbeitsmarktprobleme. So wurden im Zuge der sog. Hartz-Gesetze verschiedene Anreize geschaffen, um die Beschäftigung von Arbeitslosen über sog. Personalserviceagenturen (PSA) und Zeitarbeitsfirmen zu erleichtern (dazu Wank, RdA 2003, 1, 6 ff.). Auch wurde die Möglichkeit eröffnet, durch Tarifverträge von dem Grundsatz „equal pay“ bzw. „equal treatment“, also der Gleichbezahlung und -behandlung der überlassenen Arbeitnehmer mit der Stammbelegschaft, abzuweichen. Zuletzt wurden die Anforderungen an die Leiharbeit wieder kontinuierlich erschwert. Nachdem die Umsetzung der Richtlinie 2008/104/EG im Jahr 2011 bereits zu einer Re-Regulierung beitrug (dazu Hamann, RdA 2011, 321), wurde das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz mit Wirkung zum 1.4.2017 in wesentlichen Teilen novelliert (dazu Lembke, NZA 2017, 1). Der Gesetzgeber verfolgte mit der Reform 2017 das Ziel, die Zeitarbeit auf ihre Kernfunktionen zurückzuführen. So wurde in § 1 Abs. 1b AÜG zum Schutz der Arbeitnehmer eine (tarifdispositive) Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten festgelegt. Nach ersten Bewertungen der beteiligten Akteure führt diese Maßnahme jedoch nicht zu signifikant besseren Übernahmechancen der eingesetzten Arbeitnehmer. Demnach erleichtert die Höchstüberlassungsdauer selten eine dauerhafte Anschlussbeschäftigung beim Entleiher, sondern führt in der Regel allenfalls zur Vereinbarung eines befristeten Arbeitsvertrages. Im Vergleich zu der sichereren unbefristeten Beschäftigung bei einem Zeitarbeitsunternehmen finden sich die Betroffenen so in tatsächlich prekären Beschäftigungsverhältnissen wieder.
77In § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG ist mit der Novelle 2017 erstmals eine Definition der Arbeitnehmerüberlassung enthalten. Zeitarbeit liegt vor, wenn Arbeitgeber als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit überlassen. Satz 2 präzisiert, dass Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen werden, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen. Sind die Voraussetzungen der Zeitarbeit gegeben, bedarf der Verleiher nach dem AÜG einer Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit (§§ 1 ff. AÜG). Bei unerlaubter Überlassung sind sowohl der Überlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher als auch der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers mit dem Verleiher unwirksam (vgl. § 9 Nr. 1 AÜG); zum Schutz des Arbeitnehmers wird jedoch ein Arbeitsvertrag mit dem Entleiher fingiert (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG).
78Der Verleiher hat die üblichen Arbeitgeberpflichten, der Entleiher vornehmlich Schutzpflichten gegenüber dem Arbeitnehmer (vgl. § 11 Abs. 6 AÜG). Im Baugewerbe ist die Arbeitnehmerüberlassung gem. § 1b AÜG eingeschränkt, weil in diesem Bereich besonders schwerwiegende Missstände festgestellt wurden. Die Arbeitnehmerüberlassung zwischen verschiedenen Unternehmen desselben Konzerns ist gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG in der Regel – mit Ausnahme weniger Vorschriften – nicht an den Maßstäben des AÜG zu messen (Konzernprivileg). Von dem Grundsatz „equal pay“ gibt es gem. § 8 AÜG nur noch in begrenztem zeitlichem Umfang die Möglichkeit tariflicher Abweichung. Ein Tarifvertrag kann für bis zu 9 Monate nach der Überlassung abweichende Arbeitsbedingungen vorsehen. Alternativ können die Tarifvertragsparteien eine stufenweise Heranführung an ein gleichwertiges Entgelt vereinbaren, die jedoch nach spätestens 15 Monaten ihren Abschluss finden muss. Die Festlegung, welches Entgelt „gleichwertig“ ist, obliegt dabei den Tarifvertragsparteien (hierzu Thüsing/Beden, NZA 2018, 404).
79Auf die zunehmende Stärkung der Position der Leiharbeitnehmer durch den Gesetzgeber reagierte die Praxis u. a. mit dem grundsätzlich unbedenklichen Abschluss von Werkverträgen mit Fremdpersonal. Dieses Vorgehen birgt allerdings Risiken: Kommen die Gerichte im Falle einer Überprüfung zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmer des Werkunternehmers in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert und dort weisungsgebunden, und deshalb gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 als Leiharbeitnehmer anzusehen sind, greift § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG mit der Folge, dass ein Arbeitsverhältnis mit dem (Schein-)Werkbesteller fingiert wird. Im Zuge der Novelle 2017 wurde in § 1 Abs. 1 Satz 5, 6 AÜG eine Kennzeichnungs- und Konkretisierungspflicht aufgenommen, um Vermeidungsstrategien einzuschränken. Eine Evaluation des AÜG ist für den Zeitraum ab 2020 geplant, aufgrund der vorgesehenen Dauer von 26 Monaten kann mit einer Veröffentlichung der Ergebnisse erst für das Jahr 2022 gerechnet werden.
5.Mittelbares Arbeitsverhältnis
80Gestattet der Arbeitgeber (AG) seinem Arbeitnehmer (M), dass dieser seinerseits zur Erfüllung seiner Pflichten aus dem Arbeitsvertrag andere Arbeitnehmer (AN) einstellt, indem er im eigenen Namen mit diesen Arbeitnehmern Arbeitsverträge schließt, und verfährt M so, dann bestehen nach h. M. außer dem Arbeitsvertrag im Verhältnis AG – M weitere Arbeitsverhältnisse M – AN (vgl. BAG AP Nr. 57 zu § 611 BGB Abhängigkeit). Zwischen AG und den AN liegt dagegen kein (echtes) Arbeitsverhältnis vor; man spricht von einem mittelbaren Arbeitsverhältnis. Kennzeichen des mittelbaren Arbeitsverhältnisses ist, dass sich ein Arbeitnehmer gegenüber einem Mittelsmann, der selbst Arbeitnehmer eines Dritten ist, zur Leistung von Arbeit verpflichtet, wobei die Arbeit tatsächlich mit Wissen des Dritten unmittelbar für diesen geleistet wird (BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Hausmeister). Zwischen AG und den AN steht M als Mittelsperson (Zwischenperson); M ist also sowohl Arbeitnehmer (gegenüber AG) als auch Arbeitgeber (gegenüber AN).
Beispiel: Die Rundfunkanstalt (AG) schließt mit dem Orchesterleiter (M) als Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag und sichert die Finanzierung des Orchesters zu. Der Orchesterleiter sucht die Musiker für das Orchester selbst aus, stellt sie im eigenen Namen ein und entlässt sie (vgl. BAG AP Nr. 2, 3 zu § 611 BGB Mittelbares Arbeitsverhältnis).
81Das mittelbare Arbeitsverhältnis ist im Sozialversicherungsrecht entwickelt worden, um den mittelbaren Arbeitgeber (AG) zur Beitragspflicht heranzuziehen. Arbeitsrechtlich sind die Arbeitgeberfunktionen aufgespalten: Die Mittelsperson hat ihren Arbeitnehmern (AN) gegenüber die Pflicht zur Entgeltzahlung und das Weisungsrecht. Auch der mittelbare Arbeitgeber hat Fürsorgepflichten gegenüber den AN; er kann der Mittelsperson – als seinem Arbeitnehmer – Weisungen auch in Bezug auf deren Arbeitnehmer erteilen. Einzelheiten ergeben sich aus den getroffenen Vereinbarungen.
6.Gruppenarbeitsverhältnis
82Beim Gruppenarbeitsverhältnis sind mehrere Arbeitnehmer zu einer Arbeitsgruppe zusammengefasst. Stellt ein Arbeitgeber mehrere Arbeitnehmer ein, die sich zur gemeinsamen Arbeitsleistung zu einer Gruppe zusammengeschlossen haben, spricht man von einer Eigengruppe (z. B. Musikkapelle). Ein Vertragsverhältnis besteht i. d. R. nur zur Gruppe (ErfK/Preis, § 611a BGB Rdnr. 169). Fasst der Arbeitgeber mehrere bei ihm beschäftigte Arbeitnehmer mit jeweils eigenständigen Arbeitsverträgen zu einer Gruppe zusammen, handelt es sich um eine Betriebsgruppe (z. B. Akkordkolonne). Für sie sieht das BetrVG besondere Mitbestimmungsregelungen vor (vgl. §§ 28a, 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG).
Nach der jeweils getroffenen Vereinbarung richtet es sich, ob das einzelne Mitglied der Gruppe oder nur die Gruppe einen Entgeltanspruch hat. Einer Eigengruppe (z. B. einem Heimleiterehepaar) kann in der Regel nur gemeinsam gekündigt werden; der Kündigungsgrund braucht aber nur in einer Person zu liegen (vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gruppenarbeitsverhältnis).
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