Beispiele: Ein EDV-Spezialist erstellt in Kundenbetrieben für die elektronische Datenverarbeitung Programme; er nimmt die einzelnen Aufträge entgegen, richtet sich aber bei deren Erledigung zeitlich nach den Wünschen der Kunden. – Ein Projektleiter soll innerhalb einer bestimmten Zeit eine zusätzliche Fertigungsstraße einrichten. Hinsichtlich der Organisation der Arbeit wird ihm freie Hand gelassen.
Hier verliert die Weisungsgebundenheit hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsausführung an Bedeutung. Im Fall des EDV-Spezialisten besteht zudem nur eine lockere Bindung an den Betrieb; es fehlt die räumliche Einbindung in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation; er benötigt zur Erledigung der Aufträge allein sein Fachwissen. – Andererseits unterliegen auch Selbstständige Weisungen ihres Vertragspartners (z. B. der Rechtsanwalt bei der Frage, ob Berufung eingelegt werden soll, oder der Werkunternehmer hinsichtlich der Ausführung des Werkes, vgl. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB). Schwierig ist die Abgrenzung insbesondere bei Soloselbstständigen, die nicht ihrerseits Mitarbeiter beschäftigen.
54Auch Scheinselbstständige sind Arbeitnehmer. Es geht dabei um Tätigkeiten, die nur scheinbar selbstständig ausgeübt werden, während es sich in Wirklichkeit um weisungsgebundene Arbeit handelt (dazu Wank, DB 1992, 90; Gerber, Die Scheinselbstständigkeit im Rahmen des Einzelarbeitsvertrages, 2005). Im Wirtschaftsleben ist bereits seit längerem die Tendenz zu beobachten, einzelne Glieder der Produktionskette oder sie umlagernde Bereiche (Reinigung, Bewachung, Transport, Lagerhaltung, Auftragsbeschaffung) auszugliedern, teils werden die Tätigkeiten sogar ehemaligen Arbeitnehmern wegen ihrer betriebsspezifischen Kenntnisse übertragen, allerdings im Rahmen eines selbstständigen Dienstvertrages oder Werkvertrages.
55Beispiele: Ein LKW-Fahrer mietet von seinem bisherigen Arbeitgeber den von ihm gefahrenen LKW und führt für diesen nun als „Selbstständiger“ Frachtaufträge aus. Ein Weinhersteller verpachtet „selbstständigen“ Weinhändlern fertig eingerichtete Ladenlokale; in den Verträgen verpflichten sich die Weinhändler, Richtlinien über das Warenvertriebssystem, die Preisgestaltung, Buchführung bis hin zu bestimmten Ladenöffnungszeiten einzuhalten (vgl. BAG NZA 1991, 141).
Diese Personen sind formal als Selbstständige tätig. Sie übernehmen nicht selten auch ein echtes unternehmerisches Risiko. Dem steht aber wegen der engen Vorgaben des Vertragspartners kein nennenswerter eigener Gestaltungsspielraum gegenüber, der ein Auftreten am Markt und damit eine echte Gewinnchance zuließe. Die unternehmerische Organisationsgewalt verbleibt vielmehr bei dem Vertragspartner.
Kann z. B. der EDV-Spezialist ohne weiteres einzelne Aufträge ablehnen, spricht dies gegen eine Arbeitnehmerstellung. Auch bei für eine Plattform tätigen Crowdworkern wird es wegen der fehlenden Leistungspflicht regelmäßig an der Arbeitnehmereigenschaft fehlen (LAG München NZA 2020, 316). Ist ein Produktionsleiter zur Erledigung des Auftrags auf die Arbeitgeberorganisation (Arbeitnehmer, Arbeitsgerät) angewiesen, fehlt dagegen die einen Selbstständigen kennzeichnende eigene Organisationsgewalt; er ist Arbeitnehmer. Bei dem LKW-Fahrer und den Weinhändlern ist darauf abzustellen, ob sie auch für andere Auftraggeber tätig werden, werbend am Markt auftreten, über eine eigene Organisation (sächliche, persönliche, immaterielle Betriebsmittel) verfügen und ihnen bei der Erledigung der Aufträge hinsichtlich Kalkulation und Gestaltung so viel Spielraum verbleibt, dass eine unternehmerische Gewinnchance besteht.
56Kein Arbeitsvertrag ist regelmäßig der (gesetzlich nicht geregelte) Franchisevertrag . Der Franchisenehmer ist zwar häufig an ein ins Einzelne gehendes Organisations- und Marketingkonzept des Franchisegebers gebunden und insoweit dessen Überwachungs- und Weisungsrecht unterworfen. Er wird aber im eigenen Namen und für eigene Rechnung tätig und ist deshalb typischerweise Selbstständiger (Einzelheiten: Horn/Henssler, ZIP 1998, 598). Die umfassenden Kontrollrechte des Franchisegebers können allerdings im Einzelfall eine so starke wirtschaftliche und sogar persönliche Abhängigkeit des Franchisenehmers begründen, dass dieser zumindest als arbeitnehmerähnliche Person (BAG NZA 1999, 53; vgl. Rdnr. 91), wenn nicht gar als Arbeitnehmer anzusehen ist (BAG NZA 1997, 399; 1997, 1126; BGH NZA 2000, 390; BGHZ 140, 11).
(1)Arbeitnehmer
57Arbeitnehmer ist derjenige, der zur Arbeitsleistung aufgrund eines Arbeitsvertrags nach § 611a BGB verpflichtet ist.
(a) Lange Zeit war es üblich, die Arbeitnehmer in Angestellte und Arbeiter zu unterteilen . Nach der Verkehrsanschauung bestand der Unterschied im Wesentlichen darin, dass der Angestellte überwiegend geistige, der Arbeiter überwiegend körperliche Arbeit leistet (BAG AP Nr. 65 zu §§ 22, 23 BAT). Durch das Gesetz zur Organisationsreform der gesetzlichen Rentenversicherung vom 9.12.2004 wurden die früher für Angestellte zuständige BfA und der Verband der Deutschen Rentenversicherungsträger als Spitzenverband der 26 bis dato für die Arbeiter zuständigen Landesversicherungsanstalten zu der Deutschen Rentenversicherung Bund zusammengefasst. Im Sozialversicherungsrecht ist damit die Trennung von Arbeitern und Angestellten aufgegeben (vgl. § 127 SGB VI).
58Auch arbeitsrechtlich kommt der Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten heute keine Bedeutung mehr zu. Nachdem die früher bestehenden Unterschiede im Bereich der Kündigungsfristen und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beseitigt worden waren, wurde im Zuge der Reform der Betriebsverfassung 2001 auch die ehemalige Proporzregelung für die Vertretung im Betriebsrat aufgehoben.
59Sofern einzelne Rechtsnormen (insbesondere Tarifverträge) Arbeiter und Angestellte weiterhin ungleich behandeln, ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG zu prüfen, ob hierfür ein sachlicher Grund besteht. Allein der Status als Arbeiter oder Angestellter rechtfertigt jedenfalls keine unterschiedliche Behandlung (BAG NZA 2005, 1418; BVerfG NZA 1997, 1339). Als möglicher Differenzierungsgrund für kürzere Arbeiterkündigungsfristen in Tarifverträgen wird z. B. die personalwirtschaftliche Flexibilität im produktiven Bereich anerkannt (BAG NZA 1994, 221). Dagegen ist im Bereich der betrieblichen Altersversorgung grundsätzlich keine Differenzierung möglich (BAG NZA 2004, 321).
60Zu den Angestellten gehören die leitenden Angestellten. Sie sind Arbeitnehmer; denn sie erbringen ihre Arbeitsleistung aufgrund eines Arbeitsvertrags. Die leitenden Angestellten nehmen jedoch eine Sonderstellung ein. Sie üben in gewissem Umfang Arbeitgeberfunktionen aus (z. B. der Prokurist und der Personalchef) und werden daher insbesondere im kollektiven Arbeitsrecht anders behandelt als die übrigen Arbeitnehmer (vgl. z. B. § 5 Abs. 3, 4 BetrVG; das SprAuG; §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 15 Abs. 2 Nr. 2 MitbestG; § 22 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG; § 16 Abs. 4 Nr. 4 SGG). Wegen ihrer gehobenen sozialen Stellung und ihrer besonderen Fähigkeiten sind sie nicht in gleicher Weise schutzbedürftig wie reguläre Arbeitnehmer (vgl. z. B. § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG); Kündigungsschutz genießen allerdings grundsätzlich auch sie (zu Einschränkungen vgl. § 14 Abs. 2 KSchG; Rdnr. 551). Dagegen zählen sie im DrittelbG nach § 3 Abs. 1 nicht als Arbeitnehmer, sind also bei den Wahlen zum Aufsichtsrat weder aktiv noch passiv wahlberechtigt.
61Die Gesetze enthalten keinen einheitlichen Begriff des leitenden Angestellten. Leitender Angestellter im Sinne des BetrVG ist nach Ansicht des BAG derjenige, der spezifisch unternehmerische (Teil-)Aufgaben von besonderer Bedeutung für den Bestand und die Entwicklung des Betriebes mit erheblichem eigenen Entscheidungsspielraum wahrnehmen kann (BAG AP Nr. 22 zu § 5 BetrVG 1972; BAG NZA 1986, 484; 1995, 1645); der Gesetzgeber hat in § 5 Abs. 3 und 4 BetrVG versucht, den Begriff zu präzisieren (dazu Rdnr. 998). Nicht zu den leitenden Angestellten gehören etwa Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft oder Geschäftsführer einer GmbH. Diese Organmitglieder stehen – jedenfalls in aller Regel – in keinem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis (Rdnr. 63), sind also überhaupt keine Arbeitnehmer.
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