»Der Herr Herausgeber lässt arbeiten?«, stichelte ich.
Franjo Bregović winkte ab. »Horst weiß, dass ich mit kroatischen, bosnischen und serbischen Kollegen befreundet bin, also sagt er zu mir, Franjo, rede mit ihnen, sag ihnen, wir machen ein Heft gegen den Krieg, jeder von euch soll dafür schreiben …«
»Und das hat geklappt?«
»Natürlich. Viel weniger Menschen, als Sie denken, sind für diesen Krieg. Die meisten waren sehr froh, Texte veröffentlichen zu können, die keine Zeitschrift abdrucken würde, ob in Serbien oder Kroatien. Wir alle sind froh, dass man uns dieses – ist ›Forum‹ das richtige Wort? – zur Verfügung gestellt hat.«
»Und was zahlt er Ihnen dafür?«
Ein Grinsen zog Bregovićs Schnurrbartenden hoch. »Die Tätigkeit ist mehr ehrenamtlich.«
»Das habe ich befürchtet. Wer hat denn die Artikel übersetzt?«
»Hm … Einen größeren Teil habe ich übernommen, die übrigen Texte hat eine ehemalige Studentin und gute Freundin übertragen, die bei mir an der Universität …«
Der Rest des Satzes ging im allgemeinen Tumult unter, den die Layout-Mappe ausgelöst hatte.
»Welchen Schnaps wollen Sie trinken?«, hörte ich Franjo Bregović dicht an meinem rechten Ohr fragen.
Er orderte Grappe, und als sie kamen, waren es natürlich doppelte, und natürlich mussten wir sie, nachdem wir einander zugetrunken hatten, in einem Zug hinunterstürzen, damit ich bei der Kellnerin sogleich die Revanchebestellung aufgeben konnte. Mein Entschluss, den ersten Tag in Wien nicht zu hart angehen zu lassen, war damit suspendiert worden.
»Die Arbeit Ihres Freundes«, Franjo deutete über den Tisch auf die Mappe, »erregt schon jetzt viel Aufsehen. Das ist gut.«
Wenn es ironisch gemeint war, dann ließ er sich jedenfalls nichts anmerken; sein Gesicht drückte freundliche Neutralität aus.
»Nun … wissen Sie«, meine Stimme hatte Mühe, sich gegen den Lärm durchzusetzen, »ich denke, Sie sollten diesen Streit nicht allzu ernst nehmen. Der ist morgen vergessen, und wenn das Heft erst erschienen ist, werden sie alle zu denen gehören, die uns ja gleich gesagt haben, dass es gut wird.«
Franjo lachte und ließ sich von mir Feuer geben.
»Hallo? Ist dort –«
»Einen Augenblick, bitte.« Ich legte den Hörer weg, ging ein paar Schritte auf und ab, streckte mich, gähnte und trank ein Glas Grapefruitsaft. Die Säure zog mir das Gesicht zusammen, doch die Zunge war danach beweglicher.
»Ich bin wieder da.«
»Spreche ich mit Herrn … Paul Mazurka?«
»Am Apparat.«
»Hier ist ›Das Freie Wort‹, Redaktionssekretariat. Ich verbinde Sie mit Herrn Dr. Frank.«
Ich wartete. Eine scharfe, kühle Stimme meldete sich, nicht eigentlich unsympathisch, aber befehlsgewohnt und mit einem militärischen Touch, der mir zu dieser frühen Stunde Sodbrennen verursachte.
»Frank«, knurrte die Stimme. »Ich habe gehört, dass Sie Auftragsreportagen übernehmen.«
So. Hatte er gehört.
»Was ist, sind Sie noch dran?«
»Sicher, sicher«, beeilte ich mich zu sagen.
»Gut. Was ich Ihnen anbiete, ist ein Interview. Ein Interview mit Bischof Konrad Immermann.«
Oh nein. »Herr … äh … Dr. Frank. Es muss ein Missverständnis vorliegen. Ich bin vor fünfzehn Jahren aus Ihrem Verein ausgetreten und habe mein letztes Interview mit der gegnerischen Mannschaft gemacht, um präzise zu sein mit –«
»Karlheinz Deschner, ich weiß. Ich habe natürlich Erkundigungen über Sie einholen lassen. Es verhält sich so, dass der Bischof im Juni in den Medien hart angegriffen wurde, was Ihnen kaum entgangen sein dürfte. Ich will ihm im ›Freien Wort‹ die Gelegenheit geben, seine Sicht der Zusammenhänge darzulegen.«
Wer von uns beiden war wohl verrückt geworden? »Das Freie Wort« war eine betont konservative Tageszeitung, die es traditionell seit ihrer Gründung kurz nach Kriegsende mit der Amtskirche hielt und daraus niemals einen Hehl gemacht hatte. Erst vor drei Wochen hatte der Herausgeber im Editorial verkündet, das Volksbegehren zur Liberalisierung der Kirche sei überflüssig. »Viele«, hatte er damals allen Ernstes geschrieben, »machen nur aus der Hetz’ mit, das Fundament eines katholischen Staates zu zerstören.« Das war ungeschickt formuliert, aber es traf schon den Kern dessen, was er eigentlich meinte: dass nämlich trotz aller anderslautender Versicherungen seitens der Regierung die Trennung von Kirche und Staat in Österreich niemals ganz vollzogen worden war. Grunert, Immermann und Konsorten hatten jedenfalls im »Freien Wort« immer Gelegenheit gehabt, ihre Sicht der Zusammenhänge darzulegen – dazu brauchten sie mich nicht.
Frank missdeutete mein Schweigen. »Wir zahlen ein angemessenes Honorar; die Hälfte als Vorschuss bar oder auf Ihr Konto, den Rest nach Abgabe des Interviews.«
Das klang zu schön, um wahr zu sein. Mein Misstrauen begann zu knurren wie ein alter Kettenhund, den man zur Unzeit mit einem Fußtritt aus dem Schlaf gerissen hat. »Warum setzen Sie nicht einen Ihrer Redakteure darauf an?«
»Der Bischof wünscht einen … einen außenstehenden Gesprächspartner. Sehen Sie’s als einen Akt der Toleranz gegenüber Andersdenkenden.«
»Das haben Sie schön gesagt. Ich fürchte, ich verstehe immer noch nicht ganz«, sagte ich und nahm noch einen Schluck Grapefruitsaft. »Wieso sind Sie so sicher, dass Immermann sich dazu breitschlagen lässt?«
Frank räusperte sich. »Das hat er bereits getan, und zwar nachdem er Ihr Deschner-Interview gelesen hat. Er will mit Ihnen reden.«
Ich schluckte, diesmal ohne Saft, und nahm Notizblock und Bleistift zur Hand. Es war acht Uhr dreizehn, und mein Kopf fühlte sich an, als wäre er in Zement verpackt. »Die konkreten Themen, bitte. Worüber will der Bischof sprechen, und was lassen wir besser von vornherein weg?«
»Die Causa Grunert und das Volksbegehren«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
»Dann bleibt nicht mehr viel übrig«, warf ich ein.
»Wie?« Frank lachte, so kurz und trocken wie ein Schlüsselbeinbruch. »Da haben Sie wohl etwas missverstanden. Das sind die Themen. Darüber wird Bischof Immermann mit Ihnen reden. Was ist, nehmen Sie an?«
»Wenn ich die redigierte Fassung vor der Drucklegung zu lesen bekomme.«
»Das ist bei uns nicht üblich.«
»Das ist nirgends üblich. Doch in diesem Fall ist es meine Bedingung.«
»Ich werde sehen, was sich tun lässt. Ihr Termin ist Mittwoch, elf Uhr vormittags im erzbischöflichen Palais. Noch Fragen?«
Mittwoch – das war morgen. Es blieb wenig Zeit. »Ja. Würden Sie mir eine Pressemappe zusammenstellen? Ich brauche alle Interviews, die der Bischof in letzter Zeit gegeben hat, Abschriften von Hörfunk- und Fernsehaufnahmen, wenn solche existieren, ansonsten Videos und Tonbänder. So vollständig wie möglich.«
»Kein Problem. Kommen Sie heute in der Redaktion vorbei, sagen wir um … halb elf, wenden Sie sich an Frau Peichl. Das Material wird bereitliegen.«
»Und der Vorschuss? Ich hätte ihn gerne bar.«
Seine Stimme klang jetzt, als würde er grinsen. »Und ein Barscheck. Ach ja, ehe ich’s vergesse: Wer wird die Fotos machen? Arbeiten Sie mit einem Fotografen zusammen, den Sie bis morgen –«
»Im Augenblick leider nicht. Wenn Sie niemanden auftreiben, werden wir wohl auf bereits vorhandenes Material zurückgreifen müssen.«
Einen ausgewachsenen Kater zu beschwichtigen ist eine Sache, die Know-how, Fingerspitzengefühl und Zeit erfordert. Letztere stand mir nicht zur Verfügung. Ich ließ den obligaten Early-Morning-Espresso ausfallen, hielt das Duschen kurz und vergaß, den Anrufbeantworter anzuschalten. Um zwei Minuten vor neun schlugen die Schwingtüren des »Café Landtmann« hinter mir zu.
Читать дальше