Hundstage oder: Donnas Traum vom roten Sofa
Holger Hustemeier
© 2012 Holger Hustemeier
published at epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-1623-3
1. Ausflug
2. Revierverhalten
3. Tortellinis in Käse-Sahne-Sauce
4. Fliegen müsste man können
5. Hunde, die bellen, beißen nicht
6. Rauscherfahrungen
7. Lebensretter
8. Abschied im Regen
9. Wiederkehr im Sonnenschein
10. Die letzte Haltestelle
11. Träum weiter, Hundedame
12. Andere Länder, andere Sitten
13. Grün ist auch in Ordnung
Irgendwie war das kein gewöhnlicher Ausflug. Nicht so wie sonst. Ich saß auf dem Sitz in dieser rostigen Kiste neben ihm. Normalerweise fuhren wir nur selten damit. Es war ziemlich heiß heute, heißer als gewöhnlich. Spanien ist sowieso ein heißes Land, aber ich bin hier geboren, ich kannte es nicht anders. Sogar im Winter war es nicht richtig kalt hier. Aber ich mochte es, faul in der Sonne zu liegen und mir von den Strahlen den Pelz kitzeln zu lassen. Da könnte ich stundenlang liegen und schlafen. Wenn es so heiß war, hatte ich eh keine Lust aufzustehen, da musste schon was Besseres kommen als so ne rostige Kiste.
Naja, auf jeden Fall fuhren wir in dieser großen Kiste - nicht lange, vielleicht zwanzig Minuten - an der Küste entlang. So wie es hier roch, war ich hier wohl noch nicht gewesen. Kurze Zeit später hielten wir an und ich stieg aus. Ich sprang natürlich gleich herum, die Nase auf dem Boden, denn immer, wenn ich irgendwo war, wo ich vorher noch nie war, wurde ich ziemlich neugierig. Eine Million alte und neue Gerüche lagen mir in der Nase. Ich ging am Randstein entlang, irgendeiner Witterung hinterher. Es roch irgendwie nach Käse, oder nach Fisch. Ja, irgend so eine Mischung aus beidem. Ich hatte schon öfter Fisch gegessen, aber viel lieber mag ich Käse. Ich finde, Käse kann nie zu alt sein, je älter und stinkender, desto besser. Immer der Nase nach, musste ich auf die ganzen Leute aufpassen, die mir entgegenkamen, damit ich von niemandem überrannt wurde. Aber wenn ich hingucken würde, wo ich hin lief, dann konnte ich meine Nase nicht auf dem Boden lassen und riskierte somit, die leckere Käsespur zu verlieren. Wenige Meter weiter fand ich dann den Ursprung: Ein Mülleimer am Straßenrand enthielt allerlei Köstlichkeiten, nur leider war der Eimer zu hoch für mich. Ich stellte mich auf meine Hinterbeine, um reinzuschauen. Ich freute mich tierisch und immer wenn ich mich freue, wackelt mein Schwanz. Ich weiß auch nicht wieso, ich finde es auch nicht grade gut, denn immer wenn ich mit dem Schwanz wackel, haut er irgendwo gegen, und das tut ganz schön weh. Aber das macht der von ganz alleine, ich habe keine Chance, das zu steuern. Sei es so, ich war trotz dass ich auf den Hinterbeinen stand, was mich im übrigen sehr groß und mächtig erscheinen lässt, nicht in der Lage zu sehen, was genau in dem Eimer drin war.
»Riecht nicht übel, wa, Kurze«.
Ich drehte mich um und sah eine ziemlich fette Dogge hinter mir stehen.
»Was heißt hier Kurze ? Du kommst sicher auch nicht in die Tonne«, sagte ich zu ihm. Er tänzelte irgendwie um mich herum und musterte mich von Kopf bis zu den Pfoten. Sein Fell war struppig und er hatte ne Menge Falten im Gesicht. Ich versuchte ihn anzuschauen, aber weil ich immer noch mit den Vorderpfoten an dem Mülleimer lehnte, meinen Kopf aber nach dem Dötschgesicht ausstreckte, überdrehte ich mich und viel voll auf die Nase.
»Hahaha…« lachte das Dötschgesicht und als er an meinem Hinterteil angekommen war, steckte er seine Nase genau dahin, was ich „fremde Angelegenheiten“ nennen würde. Ich drehte mich zurück auf den Bauch und knurrte ihn leise an.
»Soso Schätzchen. Mach dich locker. Wollte nur mal sehen, ob wir uns kennen«.
»Ich glaube nicht«, sagte ich, »und das ist glaub ich auch ganz gut so«.
»Du siehst nicht so aus, als hättest du Hunger«, meinte das Dötschgesicht beiläufig.
»Willst du sagen, dass ich fett bin? Unerhört. Guck dich doch mal an. Ne Schönheit bist du auch nicht gerade…« Ich streckte meine Nase in die Luft und tat so, als würde ich etwas riechen. Da hob die Dogge ihr hinteres Bein und pisste an den Mülleimerpfahl.
»Sach mal, kannst du nicht aufpassen? Das spritzt doch wie Sau«. Ich machte einen Satz nach hinten und plötzlich streifte mich etwas ganz leicht am Rücken und machte unheimlichen Lärm. Ich sprang sofort wieder auf den Gehweg, als eine metallene, große Kiste hupend an mir vorbei donnerte und immer noch laute Töne von sich gab. Ich landete genau in Dötschgesichts Urinlache.
»Verdammt. Igitt…«.
Als hätte er die Ruhe weg, latschte er immer noch um mich herum und musterte mich. Ein Wunder dass er durch diese Augen etwas sah, denn sie waren von den ganzen Falten fast gänzlich verdeckt gewesen. So viel überschüssige Haut, davon könnte man nem Dackel ne ganze Garnitur Winterklamotten schneidern.
»Was machst du hier?« fragte er mich. Ich fing wieder mit meinem Schwanz an zu wedeln, weil ich mich wieder tierisch zu freuen anfing, weil ich ja vor lauter Käse, Fisch und Mülltonnen den Ausflug ganz vergessen hatte.
»Wir machen nen Ausflug. Ist doch klasse…«, sagte ich und hörte nicht auf zu wedeln.
»Wir…?« fragte er. »Du und dein Schwanz?« Und wieder fing er an zu lachen.
»Nein. Ich und mein Herrchen«, sagte ich und sah mich nach ihm um. Aber irgendwie sah ich ihn nicht mehr, und auch die rostige, laute Kiste konnte ich nicht mehr sehen. Ich drehte mich um und spitzte die Ohren. Vielleicht hörte ich ein Pfeifen, denn immer, wenn er wollte, dass ich kam, hatte er gepfiffen. Natürlich hatte ich das ganz schnell begriffen, nur gekommen bin ich trotzdem nicht immer gleich. Aber böse war er mir deshalb nie.
»Sieht schlecht aus, wa, Kurze? Es scheint als hätte dein Herrchen keine Lust mehr auf dich. Mach dir nichts draus, die ganze Stadt ist voll von solchen wie dir«.
»Ach was. Er ist sicher nur irgendwo um die Ecke, die große Kiste unterstellen. Er kommt bestimmt gleich, ich muss nur hier warten«.
»Wie du meinst«, sagte die Dogge. »Ich mach dann mal los. Wenn du dein Herrchen doch nicht finden solltest, kannst du ruhig runter zum Strand kommen. Vorausgesetzt ich darf noch mal an deinem Hinterteil schnüffeln«.
Mit diesen Worten trabte Dötschgesicht Richtung Promenade. Furchtbar, diese Rüden. Denken nur an das Eine.
Ich saß ziemlich lange an dieser blöden Mülltonne und wartete auf mein Herrchen. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr zu warten und hing meinen Riechkolben wieder in den Bordstein und schnupperte mir meinen Weg zurück. Ich konnte genau die Spur verfolgen, wo ich lang gegangen war aber irgendwann hörte diese Spur auf. Nur weder die große Kiste noch der Spanier, der mal mein Herrchen war, wartete hier auf mich. Was war passiert? Wo war er geblieben? Würde ich noch mal nach Hause kommen?
Ich stand dort, wo die große Kiste gestanden hatte und wartete. Es konnte nicht sein, er würde sicher gleich wiederkommen, da war ich mir sicher.
Nach einer Stunde setzte ich mich hin, die Ohren gespitzt, die Augen überall. Nach zwei weiteren Stunden musste ich mich hinlegen, weil mit die Pfoten wehtaten, und irgendwann wurde es dunkel. Es liefen kaum noch Menschen über die Straßen und auch von den großen Kisten fuhren immer weniger herum. Ich fing an zu weinen. Ich lag mutterseelenallein auf dem Bürgersteig und fiepte wie ein frischer Welpe. Dumpfer Lärm von den umliegenden Straßencafés drang in meine Ohren und von weiter her hörte ich leise die Wellen des Meeres. Und irgendwann schlief ich ein.
Es war immer noch dunkel als ich aufwachte und nun waren nur noch ganz vereinzelt Menschen unterwegs. Wie lange hatte ich hier gelegen? Sollte ich noch weiter warten? Vielleicht war das ein Test von meinem Herrchen. Oder vielleicht war es eine Strafe, weil ich nicht immer gehört hatte.
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