Mir knurrte der Bauch. Ich hob mein Hinterteil an, ließ die Vorderpfoten jedoch auf dem warmen Asphalt liegen und streckte mich. Dann stand ich auf und lief zurück zu der Mülltonne. Ich stellte mich wieder auf die Hinterbeine und steckte meine Nase in den Eimer, naja, zumindest versuchte ich es. Aber keine Chance. Ich war einfach zu klein, und durch den Schlitz zwischen Eimer und Abdeckung hätte ich sowieso nicht gepasst. Ich musste mir etwas anderes suchen. Aber eigentlich war ich ja nicht am verhungern. Ich war es halt gewohnt, jeden Abend mein Fressen zu bekommen. Wenn ich mal nichts essen würde, wäre das kein Beinbruch. Außerdem war es gut für meine Figur. Auch wenn es mich nicht interessierte, ob Dötschgesicht oder irgendein anderer Köter mich für zu dick hielten. Außerdem hatte ich vor einigen Wochen sechs Welpen geworfen. Meine süßen Kleinen. Mittlerweile brauchten sie mich zwar nicht mehr so wie am Anfang, denn sie fraßen jetzt das selbe Futter, was man mir abends hinstellte. Oder besser: hingestellt hatte.
Ich schlenderte die Straße entlang, in irgendeine Richtung. Ich hatte keine Ahnung, wo ich jetzt hingehen sollte, aber irgendwo musste ich mir was zum Schlafen suchen. Ich lief eine Weile, rechts von mir gingen ab und an Treppen hinunter zum Strand. Links, auf der anderen Straßenseite, standen Häuser, in den meisten von ihnen waren im unteren Teil Geschäfte, die ihre Waren hinter durchsichtigen Glaswänden anpriesen. Aber hinter diesen Glaswänden war es dunkel, genau wie am Strand. Nur ich lief vom Licht der einen Straßenlaterne ins Licht der Nächsten, ein Glück, denn sonst hätte ich nicht die Scherben gesehen, in die ich beinahe reingelaufen wäre. Ich war schon mal in eine Scherbe gelaufen, das hat vielleicht wehgetan. Mein Herrchen hatte sie zwar rausgemacht, aber meine Pfote war ne ganze Weile geschwollen und richtig laufen konnte ich dann auch nicht mehr.
Mein Herrchen hatte eigentlich immer auf mich aufgepasst, ich war schon, seit ich geboren bin, bei ihm. Ich hatte meine eigene Hütte und bekam jeden Tag mein Futter. Gut, meistens war ich an einem Pfahl angeleint, der neben der Hütte stand, aber das waren alle Hunde, die ich aus der Nachbarschaft kannte. Viele hatten es sogar schlechter als ich, denn ich wurde kaum bestraft, wenn ich mal nicht auf das hörte, was man mir sagte. Der schwarze Terrier von nebenan zum Beispiel wurde von seinem Herrchen oft geschlagen und getreten, das hab ich zwar nicht immer gesehen, aber ich hab ihn oft jaulen hören. Wir haben uns nachts oft noch unterhalten, aber je mehr Zeit verging und je mehr Schläge er kassierte, desto schlechter wurde unser Verhältnis. Irgendwann erzählte er nichts mehr, er knurrte und bellte mich sogar an, wenn wir uns sahen. Ich hab das nicht ganz verstanden, warum er nicht einfach tat, was sein Herrchen ihm sagte, aber er meinte, er wusste oft gar nicht, was er hätte tun sollen. Das konnte ich natürlich gut nachvollziehen, auch ich hatte nur selten eine Ahnung, was genau von mit erwartet wurde. Das Pfeifen blieb mir allerdings im Gedächtnis, denn auch ich habe mir bisweilen zwei, drei Tritte eingefangen. Und um dem vorzubeugen, ging ich bei jedem Pfiff zu meinem Herrchen. Manchmal war das richtig und manchmal eben nicht. Und weil ich es nicht recht wusste, ging ich manchmal schneller und manchmal etwas langsamer. Jedenfalls wurde der schwarze Terrier von nebenan irgendwann so böse zu allem und jedem, ich glaube, er war einfach nur verwirrt und verzweifelt. Und eines Tages biss er sein Herrchen in die Hand, als dieser gerade zum Schlag ausholen wollte. Aber sein Herrchen darf man doch trotzdem nicht beißen. Wer bringt einem denn sonst das Futter? Ich hatte alles mit angesehen. Der schwarze Terrier wurde mit Tritten von schweren, italienischen Designerschuhen bombardiert, er erwischte sie zwar auch ein paar Mal, das brachte ihm jedoch nichts. Ein Tritt gegen den Kopf brachte ihn zu Fall, aber der Mensch hörte nicht auf. Ich hörte das laute Jaulen meines Nachbarn, angeleint an einen in den Boden geschlagenen Holzpfahl, er hatte keine Chance, wegzulaufen. Er wehrte sich bald nicht mehr gegen die Tritte sondern ließ es einfach zu. Ich hörte, wie sein Schädel brach. Das Herrchen müsste es auch gehört haben, denn es war ziemlich laut. Da der schwarze Terrier nun nicht mehr jaulte und sich nicht rührte, hörte der Mensch irgendwann auf. Er war ziemlich verschwitzt und er hatte so einen Blick in den Augen, den ich vorher noch nicht gesehen hatte. Er löste das Halsband von dem toten Terrier, wuchtete ihn hoch und schmiss ihn in seine Restmülltonne. Der Hund war etwas zu groß und deswegen ging der Deckel nicht richtig zu. Zwei Tage später hatte der Mann einen neuen Hund, er trug das gleiche Halsband wie sein Vorgänger. Es war ein kleiner Podenco, genau wie ich einer war, aber ich vermied jedes Gespräch mit ihm.
Kurz bevor ich eine Brücke erreichte, lief ich rechts eine Treppe hinunter zum Strand. Denn unter Brücken ist es schattig und dort konnte man schlafen. Ich lief ganz zum Ende und kauerte in der hintersten Ecke, so dass ich von Brücke und Boden ganz umschlossen war. Wenn ich mich ruhig verhielt, würde mich niemand entdecken. Ich sah mich noch mal genau um, bevor ich mich hinlegte. Dann schloss ich die Augen und schlief ein, zum zweiten Mal in dieser Nacht.
Ich wachte von meinem eigenen Knurren auf, denn irgendetwas Kaltes versuchte, in meinen Arsch zu kriechen. Dann knurrte ich automatisch, denn Absicht war das keine, zumindest nicht in diesem Moment. Als ich die Augen öffnete und mich umdrehte, sah ich zwei verlauste Hunde, von denen der eine seine kalte Schnauze an mein Hinterteil presste und mir das Geschlechtsteil leckte. Ich versuchte aufzustehen, konnte es aber nicht, da ich in der hintersten Ecke lag und über mir die Brücke anfing. Deswegen bellte ich ein paar Mal.
»Hey, hey, schon gut. Wollte nur mal wissen, ob wir uns kennen«.
»Scheint ein Standartspruch zu sein. Kommt echt nicht an, Jungs, lasst euch mal was Besseres einfallen«.
Ich kroch aus meinem Schlupfwinkel und reckte mich zweimal. Irgendwie war ich ganz steif von dieser Nacht. Doch der Schnüffler ließ weiterhin nicht von mir ab.
»Ich beiß dir gleich in die Nase, Freundchen, wenn du deine Zunge nicht in deinem Hals lässt«, drohte ich. Aber irgendwie ließ er sich von einer kleinen Podenco-Dame wie mir nicht beeindrucken. Kein Wunder, denn er war mindestens zwei Köpfe größer als ich. Da er aber jünger war, das konnte ich sehen, forderte ich mein Recht als Ältester in dieser Runde ein und schnappte nach ihm. Er wich zurück, versuchte aber wieder, mir den Arsch zu lecken. Ich machte einen Satz seitwärts und kläffte ihn an, das ganze Spiel ging dann noch ein paar Mal, bis auch er verstanden hatte, dass ich für so was nicht zu haben war.
»Hausköter. Alles frigide Tussis«, sagte er beleidigt.
»Du kannst mich mal. Leck deinem Kumpel doch die Eier, wenn du´s so nötig hast«.
»Was suchst du hier?« fragte er. »Das ist unser Revier, du kannst hier nicht so einfach rumlaufen und schlafen wie es dir gefällt«.
Ich lief an den Rand der Brücke, hob mein Bein und setzte meine Markierung daran. Hündinnen heben normalerweise nicht ihr Bein beim urinieren, aber ich hatte mir das abgeguckt von einem Rüden in unserer Straße und ich muss schon sagen, es sah einfach besser aus. Hatte irgendwie… mehr Stil.
»So, nun ist es auch mein Revier«, sagte ich und sah ihm direkt in die Augen.
»So einfach ist das aber nicht, mein junges Fräulein«.
»Ich bin nicht dein Fräulein . Und jung schon gar nicht. Ich bin drei Jahre alt und so wie du dich benimmst, bist du nicht älter als eineinhalb«.
»Zweieinhalb. Fast«, sagte er. »Also, sag schon. Was willst du hier?«
»Ich will gar nichts«, sagte ich und ging langsam in Richtung Treppe, die zur Straße führte. Ich hatte nämlich keine Lust auf Streit mit diesen Kötern. »Ich brauchte bloß einen Platz zum Schlafen«. Der Schlecker lief mir nach und der andere, der noch kein Wort sagte, trottete hinterher.
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