Kalika Häring - Unser Traum vom Albtraum

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Unser Traum vom Albtraum -
Wir kaufen einen Bauernhof
November im Jahre 2014:
Da träumt man jahrelang einen Traum, gibt ihn wieder auf, hat Wichtigeres im Kopf, lässt ihn gelegentlich halbherzig noch einmal aufleben, zuweilen verschwindet er völlig von der Bildfläche und plötzlich, an einem trüben, nassen Novembertag, da fällt ganz zufällig der Blick auf eine Anzeige im Internet:
"Liebe auf den zweiten Blick!"
Drei sonnige Fotos lassen eine alte Scheune und ein etwas heruntergekommenes Haus im hellen Sonnenschein mit einem wunderbaren Blick auf dahinter liegende Hügel erkennen.
Mehr als diese drei Aufnahmen gibt es nicht, ein paar dürftige Angaben werden noch mitgeliefert, wonach das Haus ungefähr dreihundert Quadratmeter Wohnfläche hat und das Gesamtgrundstück zweitausend.
Über den Zustand der Gebäude erfährt man nichts, achtzigtausend Euro soll das Gehöft kosten und ist genau zehn Kilometer von der heimatlichen Wohnung entfernt.
Das ist eine sehr angenehme Entfernung, der Preis ist nicht so schlecht und spätestens jetzt fragt man sich wahrscheinlich:
Und was genau will man mit einem alten Bauernhaus und einer Riesenscheune?

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aufgeschrieben von Kalika Häring

im November 2015

erschienen bei epubli Berlin

ISBN: 978-3-7375-7751-9

Unser Traum vom Albtraum -

Wir kaufen einen Bauernhof

November im Jahre 2014:

Da träumt man jahrelang einen Traum, gibt ihn wieder auf, hat Wichtigeres im Kopf, lässt ihn gelegentlich halbherzig noch einmal aufleben, zuweilen verschwindet er völlig von der Bildfläche und plötzlich, an einem trüben, nassen Novembertag, da fällt ganz zufällig der Blick auf eine Anzeige im Internet:

"Liebe auf den zweiten Blick!"

Drei sonnige Fotos lassen eine alte Scheune und ein etwas heruntergekommenes Haus im hellen Sonnenschein mit einem wunderbaren Blick auf dahinter liegende Hügel erkennen.

Mehr als diese drei Aufnahmen gibt es nicht, ein paar dürftige Angaben werden noch mitgeliefert, wonach das Haus ungefähr dreihundert Quadratmeter Wohnfläche hat und das Gesamtgrundstück zweitausend.

Über den Zustand der Gebäude erfährt man nichts, achtzigtausend Euro soll das Gehöft kosten und ist genau zehn Kilometer von der heimatlichen Wohnung entfernt.

Das ist eine sehr angenehme Entfernung, der Preis ist nicht so schlecht und spätestens jetzt fragt man sich wahrscheinlich:

Und was genau will man mit einem alten Bauernhaus und einer Riesenscheune?

Das mit der Scheune ist schnell erklärt:

Der Autofreak braucht Stellplätze für eigene und befreundete Schönchen sowie einen Zapfhahn für PS-Geflüster am Wochenende im Kreise weiterer Autoverrückter, am besten mit Sitzmöglichkeit und Toilette.

Damit wäre der männliche Part des Projektes erfüllt, die Wochenenden sinnvoll verbracht und der weibliche Teil könnte endlich ungestört das eigene Heim auf Vordermann bringen.

Wenn der weibliche Teil dazu eine Neigung hätte, allein die ist eher nicht so stark ausgeprägt.

In Wahrheit nämlich ist das Weibchen eine heimliche Handwerkerin, probiert gerne mit Materialien herum, testet aus, was geht und gerne auch das, was nicht geht, wozu das Eigenheim leider nur sehr sehr begrenzte Möglichkeiten bereithält.

Und dann ist da noch der Traum von einem Atelier, einem Künstlertreff, Hofflohmärkten, Kaffee- und Kuchenverkauf am Sonntag für durchfahrende Radler, Rotwein bei anregenden Gesprächen "rundum Kunst" im hellen Sonnenschein, Ideen entwickeln und umsetzen und gelegentlich auch einfach mal der Welt entfliehen und sich in die Einsamkeit oder schöne Umgebung, je nach Gemütslage, zurückziehen.

Dieser Hof da auf den drei sparsamen Fotos könnte geeignet sein, beide Bedürfnisse zu befriedigen, das nach PS-Geflüster und das nach unbegrenztem Bauen, liegt mitten in einem alten Dorf gleich neben der Kirche, für die Zapfhahn-Freunde gibt es für alle Fälle sogar eine Busverbindung und für die Gesellschaftsflüchtlinge einen Bäcker sowie einen Schlachter.

So etwas ist selten geworden in kleinen Dörfern und genau dieser Umstand führt dazu, dass die etwas schlichte Annonce immer wieder und immer häufiger angeschaut wird, bis die Neugierde nicht mehr zu unterdrücken ist und wir uns ausgerechnet an einem düsteren, nasskalten Novembertag mit erstem Matschschnee dick eingepackt auf den zehn-Kilometer-Weg machen, um wenigstens mal einen ganz ganz vorsichtigen Blick zu werfen.

Vom Betreten des Hofes möge bitte abgesehen werden, lässt uns die Anzeige noch wissen, aber wenigstens die Lage und einen Eindruck vom allgemeinen Zustand wird man ja wohl auch aus der Ferne mitnehmen können.

Wie blöd muss man sein, sich ausgerechnet einen solchen völlig ungeeigneten Tag für die erste Besichtigung auszusuchen!

Die Landschaft verschwindet im Nieselregen, das kleine Dorf liegt tief in sonntäglicher Ruhe, kein Mensch ist zu sehen, die zwei Geschäfte sind natürlich geschlossen und der ansteigende Schotterweg, auf den das Navi führt, lässt nichts Gutes ahnen.

Die ausgebaute Straße endet bald, eine zunächst noch einigermaßen befahrbare Strecke schließt sich an, um schließlich in einen schlammkuhlenübersääten Pfad einzubiegen, an dessen Rändern völlig ungehemmt das Regenwasser herunterläuft und ein Befahren mit einem Stadtauto unmöglich zu machen scheint.

Also gut, lassen wir das gepflegte Stück eben stehen und gehen den letzten Rest zu Fuß.

Linkerhand begleiten uns noch ein paar ganz ordentliche Einfamilienhäuser, dahinter erkennt man den trutzigen Turm einer Kirche, während rechterhand eine Müllkippe erscheint, sprich ein zerfallener Jägerzaun, an dem die Nachbarn alles abzulegen scheinen, was sie auf ihrem eigenen Grundstück nicht mehr gebrauchen können.

Eine alte Regentonne, schon gut eingewachsen, teilt sich ihren traurigen Platz mit Holzresten, ausgedienten Mauersteinen, Gestrüpp, Holzschnitt aus irgendwelchen Gärten, dazwischen mal ein Farbeimer...

Wie kommen Leute eigentlich dazu, ihren Müll einfach bei den Nachbarn abzulegen, anstatt ihn dorthin zu bringen, wo er hingehört?

Was sich hinter der Müllsammlung befindet, lässt sich nicht erkennen, denn der Blick ist verstellt von einer langen Reihe riesiger und sehr dicht gewachsener Tannen, die offenbar seit vielen vielen Jahren keinerlei Pflege mehr erfahren haben.

Sollte hinter diesen großen, ausladenden Bäumen etwa unser Traum von einem Hof zu finden sein?

Vorsichtig umrunden wir die tiefen Pfützen, gelangen an einen weiteren, steil abfallenden Weg, werden begleitet von noch mehr Müll gepaart mit unzähligen Hundekothaufen und plötzlich:

Oh Gott! Ja, das ist das Haus von der Abbildung.

Kein Sonnenschein und keine hübschen Hügel im Hintergrund, sondern nur hässliches Grau und der Blick auf ein mindestens ebenso hässliches, irgendwie sehr traurig wirkendes Haus.

Nee, das wird nichts. Da wird man ja depressiv in solch einer Umgebung.

Wir sind schon fast wieder auf dem Rückweg, allein der Hund möchte noch mal eben sein Häufchen machen und sucht sich zu diesem Zweck ausgerechnet den nicht zum Betreten gestatteten Hof aus.

"Fritz! Komm Her! Komm hierher!"

Nur halblaut wagen wir zu rufen, nicht dass noch gleich jemand aus dem Haus tritt und sich aufregt über fremde Köter und deren unanständiges Betragen.

Fritz rührt sich nicht, der Haufen muss erst mit gekrümmtem Rücken herausgedrückt werden und ganz vorsichtig gehen wir die zehn Schritte auf den verbotenen Grund, um das widerspenstige Tier am Halsband zu packen.

Ganz ganz vorsichtig wird dabei der Blick einmal kurz in Richtung Haus geschickt: Niemand tritt heraus. Glück gehabt.

Schnell weg hier.

Unheimlich ist der alte Kasten und die Scheune sieht einsturzgefährdet aus mit ihren dicken Rissen und den herausgeschlagenen Scheiben.

Komm, lass uns abhauen, das ist hier nichts für uns.

Noch immer kein Mensch zu sehen, der Hund ist sicher im Griff und beim Vorbeigehen an dem alten Gemäuer sieht es so aus, als stehe es vollständig leer.

Die Fenster sind blind und ein Teil davon bereits eingeschlagen.

Einen ganz ganz kleinen Blick durch eine der schmuddeligen Scheiben kann man ja vielleicht mal wagen, wo doch offensichtlich niemand hier wohnt.

Gerade so erkennt man im Inneren einen Raum mit einem hässlichen grauen Teppich und einem alten Ofen.

Und noch immer kommt kein Mensch zum Schimpfen.

Los, schnell noch mal in die anderen Fenster hineingeschaut:

Das gleiche Bild – kleine Räume, hässlicher, kaputter Hausstein, schäbige Haustür, weiter hinten eingeworfene Fensterscheiben mit Plastik dichtgemacht.

Und die Scheune?

Grässlich! Einfach nur schaurig mit der vielfach gerissenen Mauer, dem bereits den Eingang überwucherndem Gestrüpp und den herausgebrochenen Eisenfenstern ohne Scheiben.

Vor dem Haus kniehohes Unkraut und der gesamte Hof mit hässlichem alten Gras überwuchert, unter dem sich offensichtlich ein dicke Schicht irgendwelchen Schotters befindet.

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