Der Kampf des Königs (Hirten) wurde zu einem Symbol des Schutzes schlechthin. In den Stadtstaaten Mesopotamiens hatten die Worte Herrscher und König die gleiche Bedeutung wie das Wort Hirte. Die Jagd wurde hier gewissermaßen Teil einer Staatsdoktrin; sie bildete in den Königreichen Mesopotamiens eine untrennbare Einheit mit der staatlichen Ordnung, wie dies der Herde-Hirte-König-Terminologie zu entnehmen ist. In ihr manifestiert sich die bedingungslose Unterordnung von Mensch und Tier (Herde) unter den Hirten und den Herrscher und König, der als von den Göttern berufen und ausersehen verstanden wurde. Die vielen überkommenen Darstellungen der königlichen Jagden auf den Löwen, das Krokodil, die Wildstiere etc. sind unter diesen Aspekten zu sehen. Überall kämpft der König gegen wilde Tiere und Feinde des Landes.
Aber noch ein anderer Gesichtspunkt ist zu berücksichtigen. Neben den zahlreichen Darstellungen des Königs und des Hirten bei der Jagd auf den Löwen aus dem frühsumerischen, hethitischen und assyrischen Raum wurden auch eine ganze Reihe von zeremoniellen Jagd- und Fütterungsszenen von Priesterfürsten gefunden, die nur als symbolische, feierliche Handlungen, aber gleichzeitig auch als Fürsorge (Hege?) und Betreuung des Wildes zu deuten sind. Hier zeichnet sich der Beginn eines Machtkampfes zwischen dem Priesteramt und jenem des Königs ab. Das königliche Jagdprivileg und die Schutzfunktion des Königs auf der einen Seite, mit der das Töten etwa des „feindlichen“ Löwen verbunden war, und die kontradiktorischen, zeremoniellen Darstellungen dieses priesterlichen Jagdkultes andererseits spiegeln diesen Kampf zwischen König und Priester wider.

Assyrisches Reich: Königliche Löwenjagd, Nordpalast in Ninive ; 645–635 v. Chr. (Britisches Museum, London)
Exkurs: Jagd und Krieg bei den altorientalischen Völkern
Jagd und Krieg bildeten eine Einheit im Denken und Fühlen der altorientalischen Völker. Aber nicht nur im fernen China, auch in Europa waren Jagd und Krieg engstens verbunden; bis in die jüngste Vergangenheit. Staatslenkung, Krieg und Jagd zählten zu den am häufigsten ausgeübten Tätigkeiten des Adels. Diese Konstellation schon am Beginn geordneter Geschichtsschreibung samt ihren bildlichen Darstellungen erinnert an die Diagnose des griechischen Historikers und Staatslenkers Polybios, der als Verfasser einer Weltgeschichte hervortrat. Er vertrat die Auffassung, dass das monarchische Prinzip so tief in der menschlichen Psyche verankert sei, dass es auf Dauer nicht ausgeschaltet werden könne; Demokratie und Republik hingegen seien nur kürzere, manchmal längere Zwischenspiele. Tatsächlich blieb die Jagd über weite Strecken in der Hand der Aristokratie; erst mit der Französischen Revolution wurde dieses Adelsprivileg aufgehoben.
Der altägyptische Beamte Nacht beim Jagen und Fischen; in der unteren Bildhälfte sind Szenen der Wein- und Geflügelverarbeitung zu sehen. Das Felsgrab, das 1889 in der Nekropole von Theben-West in Ägypten wiederentdeckt wurde, stammt wohl aus der Zeit der 18. Dynastie (um 1400 v. Chr.). Archäologisch ist es vor allem aufgrund seiner hochwertigen Wandmalereien von Bedeutung .
Der „Wesenszug der Anstrengung und Leistung, welcher der Jagd in ihrer höchsten Form eignet“, bewirkte, dass man sie immer als ein großartiges Mittel der Erziehung angesehen hat, als eine der vorzüglichsten Methoden, den Charakter zu bilden.
Die Aussage der zahlreichen bildlichen Darstellungen, die den König als den Überwinder der Feinde zeigen, sind nicht nur im mesopotamischen Raum uralte Tradition; man findet sie in ähnlicher Form bei den alten Ägyptern, worauf noch zurückzukommen sein wird.
In praxi kam bei der Jagd auf Großwild im Allgemeinen, besonders aber bei der Löwenjagd die wohl effizienteste Waffe der assyrischen Armee, nämlich der Kampfwagen, zum Einsatz, durch den die rasche Überwindung der Fluchtdistanz der Tiere möglich wurde. Vom Jagdwagen aus wurden mit Metallspitzen versehene Pfeile verschossen, was die Wirksamkeit dieser Jagdart (Fernwaffen) noch erheblich erhöhte. Auch hierin zeigt sich die – für das altorienalische Denken prototypische – Einheit von Jagd und Krieg. Die Effizienz dieser Jagd können wir unter anderem einem Bericht des assyrischen Königs Tiglat-pileser I. entnehmen, in welchem sich der König auf das ihm durch die Gunst der Götter geschenkte Jagdglück beruft und die Erlegung von 800 Löwen vermeldet, alle aus dem Jagdwagen geschossen.
Aufgrund der Ausrüstung aller Jagdteilnehmer mit Panzerhemden und der mit Panzerdecken geschützten Pferde ist davon auszugehen, dass es sich bei den königlichen Helfern um assyrische Krieger handelte, nicht um herkömmliches Jagdpersonal. Während die in Kelach aufgefundenen Reliefs den König als Bogenschützen, im Wagen stehend inmitten waidwund getroffener, von Pfeilen durchbohrter Löwen zeigt, werden in einer anderen Darstellung die angreifenden Löwen von Soldaten unter Einsatz von Lanzen abgefangen, während der König den Schuss mit dem Pfeil nur symbolisch andeutet, da er den in Bewegung befindlichen Löwen offenbar zu treffen nicht in der Lage gewesen wäre.
Auf einem assyrischen Wandfries in London ist zu sehen, wie die Hundeführer mit ihren mächtigen Molosser Doggen das Wild zusammentreiben. An anderer Stelle wird der König einmal mit Pfeil und Bogen, ein anderes Mal mit Jagdspieß und Schwert gegen den Dämon Löwen, dem Feind aller Herden, kämpfend dargestellt.
Von Assurnasipal II. wird berichtet, dass dieser nebst diversen anderen Wildtieren 30 Elefanten mit dem Bogen getötet und weitere 275 Wildstiere erlegt habe. 17Nach heutigen Maßstäben ein unglaubliches Ergebnis, bedenkt man die Gefährlichkeit eines waidwunden Elefanten einerseits und die Verwendung von Pfeil und Bogen andererseits.
Nach erfolgreicher Jagd, überwiegend einer Löwenjagd, erfolgte stets eine Danksagung des Königs an die Göttin Ischtar, der zu Ehren das bereits erwähnte Ischtar-Tor errichtet worden war.
Der Stellenwert der Jagd in den gewaltigen Militärstaaten der Assyrer und Babylonier zeigt sich nicht nur in den zahlreich erhaltenen bildlichen Darstellungen, sondern auch in den Monumentalbauten von unvergleichlicher künstlerischer Ausgestaltung, die zu Ehren der Jagd errichtet wurden.
Die Jagd im Alten Ägypten
Mit Ägypten betreten wir den Boden, auf dem eine der bedeutendsten Kulturen des Altertums, ja unseres Globus’ herangewachsen ist. Die Geschichte dieser Kultur am Nil reicht bis in das 4. Jahrtausend v. Chr. zurück. Aufgrund diverser Funde ist aber anzunehmen, dass die Entwicklung dieser Kultur schon Ende des 5. Jahrtausends v. Chr. einsetzte. Ausgehend von den Anfängen der auf Schriftquellen beruhenden geschichtlichen Überlieferung im Alten Orient, zählt das 4. Jahrtausend nicht zum Altertum, wird aber als Zeit des Übergangs zur Vorgeschichte von der Lehre akzeptiert. Über diese Zeit berichten uns Felszeichnungen, die Tausende Kilometer westlich vom klassischen Siedlungsraum der Altägypter am Nil, nämlich in der westlichen Sahara, entdeckt wurden. Nicht zuletzt aufgrund dieser Felszeichnungen weiß man, dass die Sahara ursprünglich über weite Flächen von Strömen durchzogen und mit Grünland bedeckt gewesen war, dessen fortschreitende Austrocknung ca. Ende des 5. Jahrtausends v. Chr. das Einsetzen der Wüstenbildung zur Folge hatte.
Читать дальше