Neben der Fallenjagd gab es die Treibjagdals erste Form des kollektiven Jagens. Die Herden der Wildtiere wurden eingekreist und über Felsabhänge und Steilwände in die Tiefe getrieben. Diese Jagdart wurde insbesondere von den jungpaläolithischen Jägern angewendet; es war einer der ersten und wesentlichsten Schritte hin zur Entwicklung einer interspezifischen Organisation. Dadurch gelang es, größere Nahrungsvorräte zu beschaffen, um dem Hunger zu entgehen. Diese erfolgreiche Treibjagd war jedoch auf vereinzelt ziehende Wildarten, wie den Riesenhirsch, nicht, mindestens aber schwer anwendbar. Der Einsatz von Stoßwaffen war ebenso schwierig, da der Jäger die Fluchtdistanz in der offenen Landschaft kaum zu überwinden vermochte. Es wird angenommen, dass die individuelle, die Angriffsjagd, eher als „Fernjagd“ unter Anwendung von Wurflanzen ausgeübt wurde. Man fand einschlägige Waffen, wie etwa eine Rehgeweih-Speerspitze in der Pekárna-Höhle in Mähren. Diese Wurflanzen, aber auch schon Pfeil und Bogen waren gegen Ende des Paläolithikums weitverbreitet.
Untersuchungen des Anthropologen Michail Gerassimow (1907–1970) ergaben, dass Wurflanzen aus prähistorischer Zeit, angefertigt aus dem Stoßzahn eines Mammuts, deshalb hergestellt werden konnten, weil die Spitzen, in Häute gewickelt, ins Feuer gelegt und hierdurch erweicht und biegsam gemacht wurden. Aus ihnen ließen sich Jagdspieße und Wurflanzen anfertigen, da sie im erkalteten Zustand wieder hart wurden.
Die Felszeichnungen aus dem Neolithikum (Jungsteinzeit), als wesentliche Grundlage der Forschung, finden sich in verschiedensten Teilen der Welt. In Afrika wurden innerhalb der letzten Jahrzehnte gut 2.000 Fundstellen mit rund 100.000 Felszeichnungen und Höhlenbildern diverser Jagdtiere entdeckt.
Während die Höhlenzeichnungen der Altsteinzeit vorwiegend die zu bejagenden Tiere zum Gegenstand haben, sind die Felsbilder der Jungsteinzeit – nicht nur im europäischen, sondern auch im afrikanischen Bereich – überwiegend dem jagenden Menschen gewidmet; seine Darstellung in Ausübung der Jagd steht im Mittelpunkt. Die naturgetreuen Farben und scharfen Konturen der Vorzeit verblassen in diesen Darstellungen oder werden durch einfarbig rote oder schwarze Figuren ersetzt. Dafür besticht umso mehr die souveräne Wiedergabe der typischen Bewegungen und Merkmale des Jägers und der gejagten Tiere.
Seit 50.000 Jahren malen und zeichnen die Jägervölker Eurasiens und Afrikas ihre Jagdbeute und die Techniken, mit denen sie erlegt wurden. Die überaus treffsicheren wie eindrucksvollen prähistorischen Felsritzungen und Höhlenzeichnungen aus Norwegen, Spanien, Westsibirien, Libyen und der Türkei sind die Dokumente in der Jagdgeschichte der Urgesellschaft.
Der Übergang vom zwar nichtnomadisierenden, aber umherstreifenden Jäger zum sesshaften, viehzüchtenden Bauern, dem die Domestikation einzelner Wildarten gelang, war die Geburtsstunde der Produktionswirtschaft, die folgerichtig auch zum Pflanzenanbau führte. Mit diesem Paradigmenwechsel veränderten sich auch der Sinn und Zweck der Jagd grundlegend; eine neue Epoche in der Entwicklung der Menschen nahm ihren Anfang.
Im Gegensatz zu dem hier Gesagten finden wir in der neueren Literatur und in diversen Abhandlungen die Forderung, gelegentlich auch den Versuch, die Jagd unter Einbeziehung der Waidgerechtigkeit, wie wir sie heute verstehen, zu definieren.
Eine erkenntnistheoretischen Anforderungen entsprechende Untersuchung zeigt jedoch, dass die Einbeziehung dieser Waidgerechtigkeit in eine Definition der Jagd unweigerlich zu einem unzulässigen Methodensynkretismus, also zu einer Vermischung und Vermengung unterschiedlicher Kategorien führt. Die Antwort auf die Frage, was unter Waidgerechtigkeit zu verstehen ist, wurde zu verschiedenen Zeiten – mindestens partiell – verschieden beantwortet. Die Kampfjagden in den römischen Arenen ereigneten sich vor einem ganz anderen geistigmoralischen Hintergrund, wie die oft Tage währende Hetzjagd des fränkischen Jägers zur Zeit Karls des Großen. Das Wesen einer Definition, so sie Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, hat das Zeitenüberdauernde, das Grundsätzliche, das Unveränderliche aufzuzeigen und muss daher variable Größen vermeiden. Die Definition der Jagd hat den Ablauf eines die Zeiten überdauernden Geschehens aufzuzeigen, nicht dessen Bewertung. Die Forderung nach einer ethischen Ausrichtung der Jagd ist uralt. Wir finden sie, wie schon erwähnt, bereits bei den alten Donaukelten bei der Hasenhetze, bei der es hier nur erlaubt war, maximal zwei Hunde auf einen Hasen anzusetzen. Die Forderung nach einem der Zeit entsprechenden Verhaltenskodex des Jägers ist legitim; nicht jedoch seine Einbeziehung in eine allgemeingültige, die Zeiten überdauernde Definition dessen, was unter Jagd zu verstehen ist.
Die „neolithische“ oder „agrarische Revolution“
Von der Jagd zur Domestikation
Während einer Zeitspanne von mehr als 1,5 Millionen Jahren durchstreiften die Horden und Sippen der Jäger und Sammler Bergtäler, Savannen und Wälder, um Wild zu erbeuten und damit ihren Nahrungsbedarf zu decken. Man geht heute davon aus, dass etwa 5 km 2Jagdgebiet erforderlich waren, um damals auch nur einen Menschen zu ernähren.
Allmählich gingen die Jägergruppen – besonders jene der ältesten Hochkulturen des Alten Orients – dazu über, nicht alle bejagten Tiere zu töten; sie begannen mehr und mehr junge Tiere zu fangen, um diese erst in Notzeiten dem Verzehr zuzuführen.
Ähnliche Methoden wurden noch im 19. Jahrhundert von den Beduinen Arabiens angewendet, um „lebende Fleischreserven“ vorrätig zu halten. In relativ kurzer Zeit schon hatten sich die gefangenen Jungtiere ihrer zugewiesenen Umgebung angepasst und suchten selbstständig ihr Futter. Auf diese Weise bildeten die Jägernomaden des Vorderen Orients die ersten halbzahmen Herden und wurden schließlich deren Hirten.
Aufgrund von Sichelklingen und Reibsteinen aus einem oberägyptischen Jägerlager (Toshka), mit denen Wildgetreide bearbeitet wurde, sowie zahlreichen Knochenresten von Antilopen und Gazellen, die offensichtlich in Gefangenschaft gehalten worden waren, ist davon auszugehen, dass die „Jagdtierhaltung“, letztlich verbunden mit dem Anbau von Getreide, in der Zeit von 13.000 bis 14.000 Jahren v. Chr. begonnen hat.
Das Alter der in Toshka gefundenen Arbeitsgeräte und Knochenreste rechtfertigt diese Annahme.
Dabei handelte es sich allerdings nicht um eine zielgerichtete Haustierhaltung nach heutigem Sprachgebrauch; diese begann erst, als Wildfänge in der Gefangenschaft durch zielgerichtete Züchtung vermehrt wurden. Gleichzeitig zu dieser neuen Produktionsform – sie wird als „neolithische“ (jungsteinzeitliche) oder „agrarische Revolution“ bezeichnet – entwickelte sich eine exklusive Form des Privatbesitzes. Die gezähmten Herden gingen in den Privatbesitz des Hirten, d. h. immer eines Mannes, über, nie in den Besitz einer Frau.
Der Wechsel von der okkupatorischen Wirtschaft der Jäger und Sammler zur Produktionswirtschaft des Ackerbauern und Viehzüchters ist – wie erwähnt – nicht nur an sich, sondern auch in seinem zeitlichen Kontext durch das Fundmaterial aus Vorderasien belegt. In diese Zeit fallen auch die ersten bislang bekannten Wildparks der Welt. Archäologische Grabungen am Tigris legten eine Fläche von 50 km 2frei, die als Wildgehege diente. Das für die Tiere nötige Frischwasser wurde über künstliche Kanäle zugeführt. Diese Wildparks waren nicht allein Nahrungsreserve; sie bildeten gleichzeitig ein Jagdreservat, auf das assyrische wie babylonische Könige gerne zurückgriffen, wenn sie großangelegte Jagden veranstalteten.
Die bildliche Darstellung einer solchen Jagd findet sich auf einem Relief aus Ninive; das Relief zeigt eine Rotwildjagd aus der Zeit des Königs Assurbanipal (669 bis ca. 627 v. Chr.). Jagdhistorisch interessant – man denke an die eingestellten Jagden des 18. und 19. Jahrhunderts im europäischen Raum – sind die auf dem Relief sichtbaren hohen Netze, die ein Ausbrechen des Wildes verhindern sollten.
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