»Du kennst schon einen netten, sympathischen Typen mit einer eigenen Insel«, grinste Malu.
»Na ja, das ist ja eher ein Inselchen«, sagte Lea geziert und kassierte einen zarten Seitenhieb von Edgar.
»Also, was machen wir jetzt?«, fragte Jaron. »Wo wohnt denn diese Frau Jansen?«
»Wir machen jetzt erst mal ein paar Nudeln«, sagte Edgar und sprang auf. »Ich habe einen Megahunger.« Er holte einen Topf aus dem Schrank und ließ ihn voll Wasser laufen. »Der Birkenhof von Frau Jansen und ihrem Mann ist in Marschdorf. Das liegt im Norden, fast direkt am Meer. Da habe ich früher gewohnt und Rocco und Alibaba hatten wir auf dem Birkenhof untergestellt.«
Als der Topf auf dem Herd stand, setzte Edgar sich wieder zu den anderen an den Küchentisch. »Und da fahren wir morgen hin. Wenn Frau Jansen Alibaba gestohlen hat, dann finden wir sie!«
Malu blickte ihren Bruder skeptisch an. Sie wusste, was ihre Mutter davon halten würde, wenn sie und Edgar ein paar hundert Kilometer weit wegfuhren, um nach einem verschwundenen Pferd zu suchen. Gut – Rebecca konnte gerade gar nichts dazu sagen, was in dem Fall echt praktisch war. Es galt aber immer noch Gesine zu überreden, doch bei ihr hatten sie bestimmt eine Chance. Aber wo sollten sie schlafen?
»Ich weiß auch schon, wo wir unterkommen können«, sagte Edgar, als ob er ihre Gedanken gelesen hatte (echt unheimlich!).
Die Landschaft, die am Fenster vorbeizog, war ausgesprochen platt. Kein Berg, nicht mal ein kleiner Hügel waren zu sehen. Das Meer rückte immer näher. Fast hätte es ein bisschen wie auf einer Fahrt in den Urlaub sein können. Zwei dicke Reisetaschen quetschten sich über Malu und Edgar in die Gepäcknetze. Sie hatten noch zwei Plätze in einem voll besetzten Sechser-Abteil erwischt. Den ersten Teil der Fahrt hatte eine Gruppe Studenten sich über irgendwelche Musikfestivals unterhalten, die Malu nicht kannte, und dazu Unmengen Bier getrunken. Als die dann endlich ausgestiegen waren, hatte eine Mutter mit drei kleinen Kindern ihre Plätze eingenommen. Nach ein wenig Gezanke und Geschrei hatten sich endlich alle auf Kniffel geeinigt und am Ende hatten auch Edgar und Malu mitgespielt. So war die dreistündige Fahrt ziemlich schnell vergangen. Inzwischen hatten die Geschwister das ganze Abteil für sich allein. Noch zwei Stationen bis Marschdorf.
Malu war ziemlich aufgeregt, auch wenn sie es vor Edgar nicht zeigen wollte. Sie war noch nie ohne ihre Mutter so weit weggefahren. Und schon gar nicht, um dort ein paar Tage zu bleiben und ein Verbrechen aufzuklären. Edgar tat so, als ob er das jede Woche mehrmals machte – aber das nahm sie ihm nicht ganz ab.
Gesine war natürlich alles andere als begeistert gewesen, als sie ihr noch am Abend ihren Plan unterbreitet hatten. Aber natürlich verstand sie, dass die beiden alles tun mussten, um Alibaba zurückzuholen. Und als sie versprachen, den ganzen Samstag noch die anstehenden Arbeiten auf dem Hof zu erledigen und Lea und Jaron angeboten hatten, Gesine bei der Versorgung der Pferde zu helfen, hatte sie schließlich zugestimmt. Rebecca würden sie allerdings von diesem Ausflug nichts verraten. Sie würde sich nur aufregen und das war in ihrem schwachen Zustand bestimmt nicht gut.
Endlich verkündete eine blecherne Stimme Marschdorf aus dem Lautsprecher. Sie waren da! Die Geschwister zerrten die beiden Taschen aus dem Gepäcknetz und wankten dann schwer beladen Richtung Ausgang. Edgar hatte seinen alten Schulfreund Bjarne angerufen, der sie abholen würde und bei dem sie auch übernachten konnten.
Das war der andere Grund, warum Malu so aufgeregt war. Sie würde die Vergangenheit ihres Bruders kennenlernen. Edgar war wirklich kein redseliger Typ und von einem Bjarne hatte er noch nie etwas erzählt. Und nun plötzlich zauberte er seinen guten Schulfreund aus dem Hut. Undenkbar für Malu. Wenn sie hätte von zuhause wegziehen müssen, dann hätte sie doch trotzdem noch ununterbrochen mit Lea Nachrichten und Bilder hin- und hergeschickt. Aber vielleicht waren Jungs da eben anders. Jaron war auch keiner, der ihr ständig Botschaften schickte.
Die Tür öffnete sich mit einem lauten Stöhnen und sie wuchteten die Taschen auf den Bahnsteig.
»Ey, Alter«, schallte da schon eine Stimme hinter ihnen. Ein pummeliger Junge mit dunkelbrauner Haut und rundem, freundlichem Gesicht lief auf sie zu, umarmte Edgar und klopfte ihm wild auf den Rücken. »Mann, schön dich zu sehn, Alter!«
Edgar griente und befreite sich von seinem Freund. »Ich freu mich auch, Bjarne«, sagte er.
Malu musste grinsen. Edgar meinte es tatsächlich so, auch wenn man es ihm nicht anmerkte, er hatte es eben nicht so mit emotionalen Bekundungen. So gut kannte sie ihren Bruder inzwischen. Aber Bjarne schien ihn auch zu kennen, denn er nahm ihm seine Schroffheit nicht übel.
»So, du Stoffel, jetzt stell mich mal deiner Schwester vor.«
»Malu, das ist Bjarne. Bjarne, das ist Malu, meine Schwester.«
»Brav«, grinste der Junge und hielt Malu die Hand hin. »Hi, ich bin ein alter Freund von deinem Bruder. Bestimmt hat er dir schon rasend viel von mir erzählt.«
»Ein bisschen«, übertrieb Malu schamlos. Tatsächlich hatte Edgar ihn nicht ein einziges Mal erwähnt.
»Na los, kommt«, sagte Bjarne, schnappte sich Malus Tasche und lief vor.
»Ein echter Gentleman, dein Freund«, sagte Malu. Edgar schnaufte neben ihr, während er seine vollbepackte Reisetasche zum Ausgang schleppte.
Marschdorf schien nicht gerade ein beliebtes Reiseziel zu sein. Nur der Bahnhofsvorsteher grüßte Bjarne, als sie durch die leere Halle liefen.
»Fahr nich’ wieder so schnell, min Jung«, rief er Bjarne nach. »Sonst gibt’s wieder ein Knöllchen.«
»Das ist mein Onkel«, raunte der Junge Malu zu, als sie sich durch die große Glastür schoben. »Und das mit dem Knöllchen ist natürlich Quatsch.«
Malu hatte sich schon gefragt, ob hier im Norden die Jugendlichen schon mit 15 Auto fahren durften, denn älter war Bjarne sicher auch nicht.
»Meine Ponys sind zwar schnell, aber ein Knöllchen habe ich noch nicht mit ihnen bekommen.« Bjarne lachte und machte eine einladende Handbewegung in Richtung einer kleinen hellblauen Kutsche, vor die zwei Ponys gespannt waren. Eines war braun-weiß gescheckt – fast wie Alibaba – das andere schokoladenfarben. Geduldig warteten die Tiere auf einem Parkplatz vor dem Bahnhofsgebäude auf ihre Passagiere.
Während Bjarne und Malu es sich auf dem Kutschbock bequem machten, wuchtete Edgar die beiden Reisetaschen hinten auf eine Ablage. Dann quetschte er sich neben seine Schwester. Der Platz reichte gerade so für drei.
»Darf ich vorstellen: Der gescheckte Herr ist Mister Fleck. Sehr originell, was? Den Namen hat meine kleine Schwester ausgesucht.« Bjarne verdrehte die Augen.
Malu kicherte und warf ihrem Bruder einen vielsagenden Blick zu. »Ich sag nur Ping und Pong.«
Edgar tat so, als wüsste er nicht, wovon Malu redete.
Bjarne schnalzte, ließ die Zügel leicht auf die Pferderücken schlagen und schon setzte die Kutsche sich in Bewegung. »Die braune Schönheit ist Taka-Tuka.« Er grinste. »Der ist von mir.«
Edgar prustete los. »Taka-Tuka, nicht dein Ernst, Bjarne. Dagegen ist PingPong ja ein echt bodenständiger Name.«
»Ich find’s süß.« Der dunkelhaarige Junge lächelte und trieb die Ponys zum Trab. »Ihr könnt in der Scheune schlafen, ich hab euch Strohballen hingestellt und Decken rübergebracht.« Als er Malus überraschten Blick sah, fügte er schnell hinzu. »Wenn es euch nichts ausmacht, aber da habt ihr wenigstens eure Ruhe, bei uns im Haus ist es nämlich ziemlich voll.«
»Bjarne hat noch sechs Geschwister«, erklärte Edgar, »und Hunde – wie viele sind es genau?«
»Nur drei.« Der Junge verzog das Gesicht. »Marvin ist vor zwei Monaten gestorben. Ein paar Katzen haben wir auch noch. Und natürlich die Ponys.«
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