Originalcopyright © 2020 Südpol Verlag, Grevenbroich
Autorin: Ina Krabbe
Illustrationen: Ina Krabbe
E-Book Umsetzung: Leon H. Böckmann, Bergheim
ISBN: 978-3-96594-063-5
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1. Kapitel
Malu lief den schmalen Pfad entlang, der durch den verwilderten Park von Schloss Funkelfeld führte. Immer wieder musste sie stehen bleiben und die Äste der Holunderbüsche beiseiteschieben, die von den schweren dunklen Dolden herabgezogen wurden. Etwas stupste sie ungeduldig in den Rücken. Ein warmes Schnauben kitzelte sie im Nacken, dann schob sich ein samtiges Pferdemaul über ihre Schulter.
»Sei nicht so ungeduldig, Papi«, lachte Malu und strich dem dunkelbraunen Wallach über die Nüstern. »Vordrängeln gilt nicht.« Sie drehte sich um und warf einen Blick nach hinten.
Der große weiße Kopf ihrer Schimmelstute Schneechen lag auf Papilopulus’ Kruppe. Auch ihr schien es nicht schnell genug zu gehen. Nur Alibaba, die Pintostute ihres Bruders Edgar, schritt gemächlich hinter ihnen her und rupfte in aller Ruhe rechts und links Blätter von den Sträuchern. Lapislazuli, ihr kleines braunes Fohlen, hüpfte neugierig um sie herum, lugte in die Seitenwege und zwischen die Büsche, um dann in der nächsten Sekunde wieder zu seiner Mutter zu springen. Malu grinste. Manchmal hatte sie das Gefühl, ihr Herz müsste zerspringen vor Glück. Gerade war wieder so ein Moment.
Nachdem die Ferien vor vier Wochen alles andere als gut angefangen hatten – erst hatte sie einen Megastreit mit ihrer Mutter gehabt, dann war sie in diese Geschichte mit der schießwütigen Schmugglerbande geraten und hatte nur mit viel Glück entkommen können und als sie ihrer Mutter davon erzählt hatte, hatte die ihr noch nicht mal geglaubt (das war ja wohl das Allerletzte, oder?!) – ihre Läuft-gerade-nicht-so-Liste war jedenfalls ellenlang gewesen! Aber dafür war es jetzt umso schöner. Rebekka hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, weil sie ihrer Tochter nicht vertraut hatte, sodass Malu momentan fast alles durfte. Und seit das Pferdehotel Schloss Funkelfeld vor einer Woche offiziell eröffnet hatte, waren endlich auch die Angestellten eingetrudelt, die sich um den Betrieb kümmern sollten. Zum Glück! Jetzt mussten Malu und ihr Bruder nicht mehr den ganzen Laden alleine schmeißen (so war es ihr wenigstens vorgekommen – auch wenn Rebekka das natürlich anders sah).
Auf jeden Fall konnte sie jetzt den Rest der Ferien mit ihren Pferden verbringen und mit ihrer besten Freundin Lea (wenn die dann mal Zeit hatte). Als Erstes hatte sie mit Edgar ein kleines Tor in den Zaun der hinteren Pferdewiese gebaut, damit sie von dort auf direktem Weg durch den Schlosspark zur Seewiese gehen konnten.
Papilopulus und Schneechen liebten den täglichen Ausflug zum Funkelsee scheinbar genauso wie sie selbst und drängten jetzt ungeduldig weiter. Doch Malu blieb standhaft. »Ich bin hier die Chefin, ihr wartet«, rief sie ihre Truppe zur Ordnung. Vorsichtshalber band sie Papilopulus’ Führstrick an einem kleinen Ahornstamm fest. Sie wollte noch schnell einen Abstecher zum alten Gewächshaus machen, vielleicht konnte sie Lea ja überreden mit zum See zu kommen. Seit dem missglückten Casting vor zwei Wochen hatte Lea ihre Pläne, Schauspielerin zu werden, endgültig über den Haufen geworfen. Dass stattdessen ausgerechnet Malus Großtante Gesine für den Film entdeckt worden war – damit hatte wirklich niemand gerechnet. Malu grinste beim Gedanken daran, dass bei dem Casting ja eigentlich eine Besetzung für die Rolle des Stallmädchens gesucht worden war. Aber dann hatte ihre Großtante beherzt eingegriffen, als eines der Pferde durchgegangen war, und der Produzent hatte die Rolle kurzerhand mit einer älteren Stalldame besetzt – Gesine wäre so wunderbar authentisch (O-Ton des Produzenten). Zum Glück war Lea nicht sauer gewesen. Im Gegenteil, eigentlich war sie am Ende froh, dass sie keine Pferde trensen, satteln und irgendwo entlangführen sollte, als würde sie nie etwas anderes tun – gerade Lea! Die hielt sich von diesen unberechenbaren Tieren (O-Ton Lea) fern, so gut das eben ging, wenn die beste Freundin einen absoluten Pferdefimmel (auch O-Ton Lea) und dann inzwischen sogar drei! eigene von diesen Viechern (na klar: Lea) hatte. Genauso schnell, wie Lea mit dem Traum von der Schauspielkarriere abgeschlossen hatte, so schnell hatte sie schon wieder ein neues Projekt in Angriff genommen. Das bewunderte Malu an ihrer Freundin, sie hatte immer Pläne und wenn der eine nicht klappte, dann hatte sie gleich den nächsten parat. Lea ließ sich einfach durch nichts die Laune verderben.
Aus dem Dickicht des verwilderten Schlossgartens ragten die weißen Eisenstreben des Gewächshauses empor. Es war ein gewaltiges Glashaus, das in seinem Inneren einen ganzen Dschungel aus Pflanzen beherbergte: Palmen, großblättrige Bodengewächse, fedrige Farne und Orchideen in allen Farbvarianten.
Die Tür des Glashauses stand weit offen, genauso die oberen Fensterklappen. Die zerbrochenen Scheiben rechts neben der Tür waren immer noch nicht ausgetauscht worden. Auch sonst hatte sich nicht viel verändert, seit Malu den geheimnisvollen Dschungel hinter Glas das erste Mal vor einem Jahr betreten hatte. Dicke Palmblätter hingen wie ein Vorhang hinter dem Eingang und sobald Malu sich hindurchgewunden hatte, staunte sie wie immer über die prächtige Blütenfülle und das wilde Grün in all seinen Farbschattierungen. Ein wirklich beeindruckender Anblick, auch wenn es ihr hier drin eindeutig zu heiß war. Den ganzen Juni schon brannte die Sonne vom Himmel, als würde sie denken, es wäre August. Wie Lea es hier stundenlang aushalten konnte, war Malu ein Rätsel. Da wäre doch eine kleine Abkühlung im See eine super Abwechslung.
Schon von Weitem war ein geschäftiges Rattern zu hören. Lea bastelte seit einer Woche an ihrer Karriere als Modedesignerin. Dazu hatte sie von Gesine ein uraltes Ungetüm von Nähmaschine bekommen und von ihrer (völlig unübersichtlichen) großen Verwandtschaft alles Mögliche, das ihrem zukünftigen Modeimperium nützlich sein konnte: zwei Schaufensterpuppen von ihrem Onkel Ewald, mehrere Stoffballen von ihrer Oma mütterlicherseits, Bänder und Schleifen aller Art von ihrer Cousine Wanda und einen Gartenzwerg von ihrer Tante Gerda (wozu sollte der noch mal gut sein?). Und Malus Mutter hatte ihr den Platz im Gewächshaus überlassen. Da Rebekka sich um den Hotelbetrieb kümmern musste, kam sie in letzter Zeit sowieso nicht mehr dazu, die botanischen Schätze im Gewächshaus unter die Lupe zu nehmen – ihre große Leidenschaft, bis sie sich dann mit Gesine in das Projekt Pferdehotel gestürzt hatte. Innerhalb eines halben Jahres hatten sie aus dem maroden Schloss ein strahlendes modernes Hotel gemacht. Es war gleichzeitig die einzige Möglichkeit, das Geld für den Erhalt des Schlosses zu verdienen. Leider musste Malu sich nun das geliebte Anwesen mit fremden Menschen teilen und in ihrem ehemals ruhigen Zuhause war jetzt immer mächtig viel Betrieb. So ganz hatte sie sich mit diesem Zustand immer noch nicht anfreunden können.
»Hi Lea«, rief Malu und kämpfte sich durch ein paar überdimensionale Farnwedel.
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