Sabina Ritterbach
das goldene Haus
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Inhaltsverzeichnis
Titel Sabina Ritterbach das goldene Haus Dieses ebook wurde erstellt bei
Widmung Widmung Für die Kinder
Kapitel - Irland1
Kapitel - Nachtgedanken
Kapitel - Irland2
Kapitel - Irland3
Kapitel - Anne
Kapitel - Holland
Kapitel - Irland4
Kapitel - Köln1 - Entscheidung
Kapitel - Irland5
Kapitel - Köln2
Kapitel - Irland6
Kapitel - Köln3 - Frühjahr
Kapitel - Irland7
Kapitel - Köln4
Kapitel - Irland8
Kapitel - Köln5 - Winter
Kapitel - Irland9 - Herbst
Kapitel - Köln6 - Frühjahr
Kapitel - Irland10 - Ostern
Kapitel - Köln7 - Krankheit
Kapitel - Irland11 - Silvester
Kapitel - Köln8 - Stefan1
Kapitel - Irland12 - Oktober
Kapitel - Köln9 - Weihnachten
Kapitel - Italien - Sommer
Kapitel - Irland13 - Herbst
Kapitel - Köln10 - Stefan2
Kapitel - Irland14
Kapitel - Köln11 - Abschiede
Kapitel - Mittelmeer
Kapitel - Irland15
Kapitel - Köln12
Kapitel - Irland16
Impressum neobooks
Für die Kinder
Es gießt in Strömen, und der Scheibenwischer knackt leise bei jedem Hin und Her. Jedes Mal legt er für einen kurzen Moment die unendlich traurige Landschaft frei. Dichte, struppige Hecken, blattlose, schwarze Bäume säumen die Straße. Dahinter hügelige Weiden, auf denen noch immer Schafe grasen oder dicht zusammengedrängt liegen. Die geteerte Straße schlängelt sich schwarz glänzend die Hügel und Täler entlang. Wir fahren zu schnell für dieses Wetter. Meine Hände liegen verkrampft auf meinem Schoß. Dublin liegt hinter uns, ebenso die ersten kleinen Orte. Eine Tankstelle, ein attraktiv bemalter Pub, eine Handvoll kleiner Häuser, ich kenne hier alles. Ich weiß, gleich kommt das Kriegerdenkmal und kurz dahinter die ewige Baustelle, das verlassene Haus, fast ein Herrenhaus, hinter dem auf einem Hügelkamm Bäume so gekrümmt wachsen, als würde dort eine Prozession elender Menschen über den Berg ziehen.
Meine erinnernden Gedanken sind schneller als das Auto, sie sind schon bei der großen Kurve mit der immer roten Ampel, und albernerweise flüstere ich in Gedanken, wenn sie wieder rot ist, ist es ein gutes Zeichen. Plötzlich hört der Regen und damit das Geprassel auf der Scheibe auf, noch ein paarmal knackt der Scheibenwischer, dann wohltuende Ruhe. Ich entspanne mich. Die Sonne bricht zwischen den dicken dunklen Wolken hervor und taucht alles in grell glänzendes Licht. Alles strahlt und blendet. Die Straße wird zu einem glänzenden Fluss, alles hat sich in Sekunden verwandelt.
Da, die Kurve und die Ampel, rot, es freut mich. Ich mag diese Gegend und begrüße sie stumm. Ein Blick zu den Ruinen unter den großen kahlen Bäumen, ich brauche kaum hinzuschauen auf diese großen dunklen Mauern, so vertraut sind sie mir.
Zehn Jahre und einige Wochen ist es her, dass ich meinen Wagen, einen kleinen roten hier parkte und die Anhöhe erstieg. Ich stand zwischen diesen Ruinen. Es war die erste Pause auf dieser Reise. Eine Reise, die ich mir aufgezwungen hatte. Es war meine erste Reise, die ich ganz allein unternahm, unternehmen musste. Es war meine erste Rast, und es waren die ersten großen Ruinen, die ich in diesem Land sah. Ich war es gewohnt, Historisches zu besichtigen.
Ich war am Morgen mit dem Taxi zum Flughafen gefahren und nutzte die Wartezeit bis zum Abflug, meine Mitreisenden zu beobachten. Ein buntes Gemisch aus Geschäftsleuten, Frauen mit Kindern, zünftig ausgerüsteten Jugendlichen und Touristen mit merkwürdig länglichen Taschen. Im Flugzeug saß ich mitten in einer Männergruppe, die sich ausgelassen auf die nächsten Tage freute. Es waren Angler, die zum Shannon unterwegs waren. Nun wusste ich, was ihre länglichen Taschen beherbergten. Der Flug war schnell vorbei, es war viel gelacht worden, eine lustige Bemerkung folgte der anderen, auch mich bezog man freundlich ein. Am Gepäckband standen wir noch zusammen, dann ein fröhliches und lautes "Schönen Urlaub". Am Autoverleih meine ersten englischen Worte, vorsichtig formulierte Fragen, und dann hatte ich Mühe, die raschen Antworten zu verstehen. Nach Beendigung geringer Formalitäten bekam ich den Autoschlüssel über die Theke geschoben. "Schöne Ferien", diesmal auf Englisch. Ich fand es sehr aufregend, lief in die verkehrte Richtung und auf den falschen Parkplatz und fand doch irgendwann das Auto, zu dem der Schlüssel passte. Ein Rotes, fast Neues. Volle Konzentration beim Verlassen des Flughafengeländes, immer vorsichtig hinter den anderen Autos her, und das erste Mal links in den Kreisverkehr. Nach dieser Aktion war ich klatschnass geschwitzt, und ich sprach mir ziemlich laut Mut zu. Mein Wunsch war, nur raus aufs Land. Nach Dublin wollte ich erst auf dem Rückweg. Die Straßenkarte hatte ich auswendig gelernt, nicht für die ganze Reise, ich hatte noch keine richtige Vorstellung, wohin ich eigentlich wollte, nur für diese Tagesetappe, und so fand ich die Straße, die nordwärts führte, auf Anhieb. Nun wurde das Fahren fast problemlos, ich fuhr nicht schnell, die Hecken, unübersichtliche Kurven, noch traute ich mich kaum, ein anderes Fahrzeug zu überholen. Außerdem wollte ich nichts von der Landschaft verpassen. In meinem Kopf stapelten sich die Fotos aus Bildbänden und Kalendern, und ich erwartete, dass sich nach der nächsten Kurve endlich das Irland auftun würde, das in meinem Kopf vorprogrammiert war.
Als nächstes musste ein Fluss kommen und dann der Ort, in dem ich rechts abbiegen musste, und dort lagen so viele historische Stätten und Denkmäler, dass ich erstmal für Stunden beschäftigt sein würde. Ich fuhr in eine große Kurve, bremste an der roten Ampel und fasste den Entschluss, dort oben zu den Ruinen zu gehen.
Es war Mittagszeit, Sommer, und alles war in hellgelb gefiltertes Licht gehüllt. Die Bäume umfingen mich mit ihren sanften Schatten, und die großen dunklen Mauern der Ruine ragten in den Himmel. Meine Nackenmuskeln entspannten sich, meine vor Anstrengung leicht feuchten Hände umklammerten kein Steuerrad mehr, ich stand allein zwischen den alten Mauern und hatte nichts zu tun. Ich hatte nichts zu besorgen, nichts zu organisieren, nichts. Ich war allein.
Ich lehnte mich wie Halt suchend gegen eine der großen Mauern, und vom Boden durchs Gras, über meine Sandalen in die Fußsohlen wuchs dieses Einsamkeitsgefühl in mir hoch. Es ergriff Besitz von mir und aller Mut und alle Tüchtigkeit fielen von mir ab. Noch wehrte ich mich gegen die Tränen, die schon in meinen Augen brannten und meinen Körper auszufüllen schienen. Ich schüttelte den Kopf, ich wollte nicht weinen, aber ich weinte, ich weinte und sackte auf den Boden. Es war mir, als könne ich nie wieder damit aufhören. Ich weinte über alle Kränkungen, die mir zugefügt worden waren, ich weinte, weil ich am Ende meiner Jugend angekommen war, ich weinte über mein Verlassen- und Alleinsein. Mir fielen immer mehr Dinge ein, die ein paar Tränen lohnten. Ich sah durch meinen Tränenschleier auf den Fluss, den Boyne, gedachte der mörderischen Schlachten, die dort stattgefunden hatten, an die vielen Toten, und auch um die weinte ich.
Nun blicke ich auf den Hügel, die kahlen Bäume und die schwarzen Ruinen und sehe mich wie ein Schattenbild dort hocken. Die Ampel zeigt Grün, und wir fahren über den geschichtsträchtigen Fluss. Ich wende mich zur anderen Seite und schaue den Mann neben mir an. Ich sehe sein Profil, sehr konzentriert, eine steile Falte zwischen den blauen Augen mit den harten kleinen Pupillen. Das dunkle Haar mit den wilden Locken fällt in die gerade Stirn. In den letzten Jahren haben sich die grauen Haare an seinen Schläfen stark vermehrt, und auch in den dichten Bart mischen sich unübersehbar die silbernen Fäden. Ich sehe es mit tiefer Befriedigung, so, als würde jedes einzelne graue Haar die Jahre, die zwischen uns liegen, vermindern.
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