»Det ist ja ’n Ding! Wollt ich schon immer mal.« In Windeseile saßen die drei auf der Pritschenbank im Fahrerhäuschen und Kalle drückte aufs Gaspedal. »Anschnallen!«, kommandierte er. Seine Augen funkelten fröhlich. »Und für euch bin ich der Kalle und du, wa.«
Malu und Edgar nickten und stützten sich am Handschuhfach ab, als der Lieferwagen sich in die Kurve legte und über die Brücke durch das Schlosstor raste.
»Also, wen verfolgen wa denn?«
Malu klärte ihn kurz über die gestohlene Stute auf. Der Bauarbeiter behielt den Blick auf der Straße, schüttelte aber immer wieder den Kopf. »Na, det is ja ’n Ding!«, wiederholte er. »Pferdediebe hat man früher jehängt, jawoll!«
»Da links«, rief Edgar und der Lieferwagen semmelte mit quietschenden Reifen über die Straßenkreuzung, scherte mit den Hinterreifen aus und fing sich dann wieder.
»Det is ’ne dolle Sache.« Kalle wischte sich die schwitzenden Hände an dem ohnehin schon dreckigen Unterhemd ab. Malu war froh, dass Edgar auf dem mittleren Platz saß, denn der Handwerker verströmte einen nicht gerade angenehmen Geruch.
Sie rasten auf die Einmündung zur Landstraße zu.
»Rechts oder links?«, fragte Kalle.
Edgar überlegte nicht lange. »Rechts, da geht’s Richtung Autobahn.«
Auf der Landstraße konnte Kalle noch mehr Gas geben. Der Lieferwagen ratterte und der Motorlärm im Fahrerhäuschen war ohrenbetäubend. Bestimmt brachen sie gerade sämtliche Verkehrsregeln, die man nur brechen konnte. Aber das war im Moment allen herzlich egal. (Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.)
Hey Honey! dudelte es kaum vernehmbar aus Malus Hosentasche. Sie fummelte ihr Handy hervor und wischte übers Display.
Lea:
Wo seid ihr?? Jaron und ich warten.
Mist, das hatte sie in der ganzen Aufregung völlig vergessen. Lea und Jaron hatten sich für heute Nachmittag angemeldet. Schnell schrieb sie zurück, so gut das in dem ruckelnden Gefährt ging (Dieser Wagen schien eine Federung aus dem vorigen Jahrhundert zu haben.): Alibaba wurde geklaut. Verfolgen den Dieb.
Hey Honey! - Lea:
Was???? Langsam wird mir das unheimlich. Bist du mit einem Fluch belegt???
Wir sollten das untersuchen lassen ...
Hey Honey! - Lea:
Jaron fragt, ob ihr den Dieb zu Fuß verfolgt?
Hey Honey! - Lea:
Wahrscheinlich fliegt ihr auf Einhörnern. 
Malu:
Kalle fährt – rast – ok, kann man vielleicht sogar als fliegen bezeichnen
Hey Honey! - Lea:
Wer ist Kalle????
Malu:
Einer der Handwerker, echt nett. Muss jetzt Schluss machen. See you soon.
Hey Honey! - Lea:
Viel Glück!!!!

»Da«, schrie Malu plötzlich. »Das gibt’s ja nicht, da ist er. Wir haben ihn!« Ihre Stimme überschlug sich vor Begeisterung. Keine fünfhundert Meter vor ihnen bog der Pferdeanhänger auf die Auffahrt zur Autobahn ab.
Edgars Wangenknochen traten hervor, so fest biss er die Zähne zusammen, während er das Gespann vor ihnen fixierte. Doch plötzlich fiel der Lieferwagen zurück. Irgendetwas knallte und knatterte.
»Was ist?«, fragte Edgar panisch.
Dann knirschte es gruselig und der Wagen kam mitten auf der Abbiegerspur zum Stehen.
Kalle schlug verärgert mit der Hand aufs Lenkrad. »Det waret. Mit dem Pöttchen komm wa nirjens mehr hin.« Er verzog das Gesicht, als ob er Zahnschmerzen hätte. »Da wird der Paul nich jrad jubeln.«
Edgar verbarg sein Gesicht in den Händen. Fast, fast hätten sie den Dieb gehabt!
»Hast du dir das Kennzeichen gemerkt?«, fragte Malu leise.
Ihr Bruder schüttelte den Kopf. »Du?«, kam es dumpf durch seine Hände.
»Nein«, stöhnte Malu. »Wie kann man nur so doof sein.«
Nicht mal Kalle wusste darauf eine Antwort.
Auf der Autobahnbrücke über ihnen verschwand der Wagen mit dem Pferdeanhänger Richtung Norden.
5. Kapitel
Völlig bedröppelt stiegen Edgar und Malu aus dem Ersatz-Lieferwagen. Nachdem Kalle seinen Kollegen Bescheid gesagt hatte, war Paul, der junge Chef höchstpersönlich, mit dem zweiten Wagen gekommen und hatte sie eingesammelt. Er war nicht gerade glücklich über den Alleingang seines Angestellten und die Autopanne. Aber Malu hatte Kalles Einsatz in den höchsten Tönen gelobt, sodass er bald besänftigt gewesen war.
Alibaba blieb verschwunden und sie hatten nicht den Hauch einer Idee, wo sie sein konnte und wie sie die Stute zurückholen sollten.
Lea und Jaron hatten auf dem Zaun gesessen und ungeduldig auf die Rückkehr ihrer Freunde gewartet. Jetzt rannten sie auf die beiden zu und bestürmten sie mit Fragen.
Die Geschwister bedankten sich noch mal bei Paul und Kalle und trotteten dann in ihre Wohnung, Lea und Jaron im Schlepptau.
Malu ließ sich auf die Küchenbank fallen. »Was ist hier nur los?«, fragte sie verzweifelt.
Lea setzte sich ihr gegenüber und nickte wissend. »Das ist der Fluch. Der grauenhafte Funkelsee-Fluch, der jeden trifft, der in dunkle Keller fällt und alte geheimnisvolle Medaillons findet. Nie davon gehört?«
Malu verzog das Gesicht. »Das ist nicht witzig, Lea!«
»Nicht?« Ihre Freundin grinste. »Ich find es eigentlich ganz lustig.« Aber ein Blick auf Edgars düsteres Gesicht ließ auch Leas Lachen verstummen. Sie legte ihrem Freund die Hand auf den Arm. »Wir finden Alibaba, ganz klar.«
Edgar sah sie an und nickte. »Natürlich finden wir sie und das am besten noch, bevor das Fohlen kommt!«
Jaron räusperte sich und schob seine schwarze Brille hoch. »Jetzt lasst uns doch mal logisch denken. Wer sollte denn Alibaba klauen? Es muss doch jemand sein, der sie kennt und weiß –«
»Du bist ein Genie!«, unterbrach Malu ihn und fiel ihm um den Hals, was eine leichte Rotfärbung von Jarons Wangen zur Folge hatte. »Es ist doch ganz klar, wer Alibaba gestohlen hat! Edgar, die Frau, die hier gestern zweimal angerufen hat, um sie zu kaufen. Sie hat eine megahohe Summe geboten und du hast es ausgeschlagen. Wahrscheinlich will sie Alibaba um jeden Preis haben – warum auch immer – und weil du sie ihr nicht verkaufen willst, hat sie sie eben einfach gestohlen!« Erschöpft von ihrer Beweisführung ließ Malu sich gegen die Rückenlehne sinken.
Ihr Bruder starrte sie an. »Frau Jansen? Oh Gott, wenn du recht hast ... Ich kenn sie doch schon so lange, ich kann mir das eigentlich nicht vorstellen ... Aber wer sollte es sonst sein?!«
»Was ist denn an Alibaba auf einmal so besonders?«, fragte Lea verwirrt. Malu hatte ihr gar nichts davon erzählt, was nur an der Menge der Ereignisse lag, die seit gestern Morgen auf sie eingeprasselt war.
»Keine Ahnung.« Edgar zuckte mit den Schultern. »Hat sie nicht gesagt. Es kann ja eigentlich nur etwas mit dem Vater des Fohlens zu tun haben«, fügte er nachdenklich hinzu.
»Wahrscheinlich der wertvolle Hengst eines saudiarabischen Prinzen, so ein gut aussehender Typ, nett, sympathisch und mit einer eigenen Insel ...«
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