Ressourcen sind für die kindliche Entwicklung sehr wichtig. Dies sind alle Formen von Potenzialen, die dem Kind zur Verfügung stehen. Diese können in eigene Ressourcen des Kindes und Umgebungsressourcen unterschieden werden. Kindbezogene Ressourcen sind z. B. eine hohe Intelligenz oder physische Gesundheit. Umweltressourcen sind z. B. soziale Unterstützung, gute Wohnverhältnisse.
Schutzfaktoren haben eine risikomildernde oder -abpuffernde Wirkung, d. h. diese bestehen schon vor dem Auftreten von Störungen und werden durch das Auftreten von Risikofaktoren aktiv. Sie können genetisch vererbt oder erworben werden. Schutzfaktoren wirken nicht universell, sondern stellen immer einen Schutz vor etwas Bestimmten dar. Sie gehören zu den Ressourcen eines Kindes. Schutzfaktoren können in interne und externe Faktoren unterteilt werden. Beispiele für interne/kindbezogene Schutzfaktoren sind z. B. gute Intelligenz oder günstiges Temperament. Externe/umgebungsbezogene Schutzfaktoren können z. B. positive Freundschaftsbeziehungen, unterstützende Eltern oder ein kompetenter Umgang der Eltern mit dem Kind sein.
4.5 Kompensationsfaktoren
Kompensationsfaktoren stellen eine Ressource des Kindes dar, die genutzt werden kann, um Fehlentwicklungen auszugleichen. Als Beispiel können Kinder mit chronischen Schmerzen von Entspannungsübungen profitieren, um mit ihrer Krankheit umzugehen. Kompensationsfaktoren werden im Gegensatz zu Schutzfaktoren erst nach Störungsbeginn wirksam.
Resilienz beschreibt die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem negativen Einfluss von Risikofaktoren einer Person. D. h., dass manche Kinder trotz ungünstiger und widriger Entwicklungsbedingungen im späteren Entwicklungsverlauf keine psychischen Auffälligkeiten zeigen. Beispiele für Resilienzfaktoren sind z. B. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen oder ein aktives Bewältigungsverhalten. Es ist zu beachten, dass Resilienz und Vulnerabilität keine absoluten, stabil überdauernden Persönlichkeitseigenschaften darstellen.
Eine sensible Phase beschreibt einen Lebensabschnitt mit einer erhöhten Bereitschaft des Menschen, bestimmte Verhaltensweisen, Fertigkeiten oder Fähigkeiten zu erwerben. Es liegen für viele Anforderungen im Entwicklungsverlauf Zeitfenster vor, in denen im Vergleich zu früheren und nachfolgenden Phasen, spezifische Erfahrungen besondere Wirkung haben, bzw. Neues besonders schnell gelernt werden kann.
Entwicklungsaufgaben sind lebensalterstypische Herausforderungen, die an ein Individuum gestellt werden. Eine erfolgreiche Bewältigung führt zu Fertigkeiten und Kompetenzen, die künftige Entwicklungsaufgaben erleichtern (Havighurst, 1972).
Bei Kontinuität bzw. Stabilität ist nicht von absoluter Stabilität auszugehen. Es wird zwischen heterotypischer Kontinuität und homotypischer Kontinuität unterschieden. Unter heterotypischer Kontinuität versteht man, wenn sich z. B. aggressive Verhaltensweisen altersentsprechend über den Entwicklungsverlauf in unterschiedlichen Verhaltensausprägungen (z. B. deren Intensität) zeigen. Dagegen versteht man unter homotypischer Kontinuität, die Beibehaltung gleichartiger Verhaltensweisen über die Zeit.
4.10 Differenzielle Suszeptibilität
Die differenzielle Suszeptibilität beschreibt interindividuelle Unterschiede in der Sensitivität gegenüber Umweltbedingungen. Temperament oder biologische Merkmale können zu diesen unterschiedlichen Empfindlichkeiten beitragen. Das Konzept stellt eine Erweiterung des Vulnerabilitäts-Stress-Modells dar und besagt, dass dieselben Faktoren, die eine Vulnerabilität gegenüber widrigen Umweltbedingungen darstellen, unter unterstützenden Umweltbedingungen entwicklungsförderlich sein können (Belsky & Pluess, 2009). Damit ist gemeint, dass es Personen gibt, die eine höhere Plastizität aufweisen und stärker auf negative, aber auch stärker auf positive und unterstützende Umweltfaktoren reagieren, während weniger suszeptible Personen weniger stark auf Stress reagieren, aber auch weniger von Unterstützung profitieren. Diese noch junge Hypothese bedarf jedoch noch empirischer Nachweise.
Die Psychopathologie im Kindes- und Jugendalter ist oft nur im Entwicklungskontext zu erkennen und zu verstehen. So ist dann auch die Therapieplanung dem Entwicklungsstand eines Kindes anzupassen. Dazu ist es notwendig, differenzierte Kenntnisse über die normale und abweichende Entwicklung zu haben. Sowohl Risiko- als auch Schutzfaktoren sollten im diagnostischen Prozess (z. B. Anamnese, Verhaltensanalyse) als auch der Behandlung berücksichtigt werden. Wichtige Erkenntnisse liefert die Entwicklungspsychopathologie zudem für die Erstellung von Entwicklungsprognosen. Werden Vorläufer von Störungen erkannt, können präventive Maßnahmen eingesetzt werden.
4.11 Überprüfung der Lernziele
• Definieren Sie Risiko- und Schutzfaktoren.
• Was sind Aufgaben der Entwicklungspsychopathologie?
• Was versteht man unter Differenzieller Suszeptibilität?
5 Psychotherapie
Lernziele
• Sie können Psychotherapie definieren.
• Sie kennen allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie.
Unter Psychotherapie versteht man die Behandlung von Menschen mit psychischen Störungen mit psychologischen Mitteln. Gemäß dem deutschen Psychotherapiegesetz (PsychThG, 1999) ist Psychotherapie eine mittels wissenschaftlich anerkannter Verfahren vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist.
Bekannt und durchaus noch aktuell ist die Definition von Psychotherapie nach Strotzka (1975): »Psychotherapie ist ein bewusster und geplanter interaktionaler Prozess zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die in einem Konsensus [Patientin, Therapeutin, Bezugsgruppe] für behandlungsbedürftig gehalten werden, mit psychologischen Mitteln (durch Kommunikation) meist verbal, aber auch non-verbal, in Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel (Symptomminimalisierung) mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens. In der Regel ist dazu eine tragfähige Bindung notwendig.«
Zu den Kriterien von Psychotherapie kann folgendes erläutert werden:
• Psychotherapie als geplanter zielorientierter Prozess: Dabei geht es darum, dass Psychotherapie auf explizite Regelsysteme – Verhaltensstörungen und Leidenszustände – Bezug nimmt, d. h. wie, warum und mit welchen Mitteln ein Interventionsziel erreicht werden kann. Damit einhergehend sind therapeutische Ziele konkret und teilweise kurzfristig.
• Veränderung psychischer Prozesse mittels psychologischer Mittel auf der Grundlage einer Theorie: Eine Veränderung seelischer Merkmale und Prozesse wird explizit durch den Einsatz psychologischer Verfahren bewirkt (in Abgrenzung zum Einfluss von Medikamenten).
• Interaktiver Charakter und emotionale Komponente: Damit werden die spezifische Rollenstrukturierung – Therapeutin und Patientin – und die therapeutische Beziehung angesprochen. Für die therapeutische Beziehung gibt es klare Regeln der Interaktion. Jedoch ist diese auch ein allgemeiner Wirkfaktor und in Kombination mit spezifischen Methoden ein zentraler Aspekt für das therapeutische Lernen.
• Lehr- und Lernbarkeit: Damit wird festgehalten, dass die Verfahren und Prozesse operationalisiert werden, z. B. durch den Einsatz von Manualen.
Das Ziel der Psychotherapie ist die Reduktion oder Heilung von psychischem Leiden sowie der jeweiligen Symptomatik – in Form von belastenden Gefühlen oder bestimmten Symptomen – sollte aber auch die Funktionsfähigkeit und die Lebensqualität der Betroffenen und des Umfeldes verbessern.
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