Bsp.:Anton fährt ordnungsgemäß mit seinem PKW durch die Stadt und hält sich peinlich genau an die Verkehrsregeln. Plötzlich springt ihm unvorhergesehen die vierjährige Anna vors Auto. Anton kann nicht mehr bremsen und verletzt Anna tödlich. – Das Fahren mit dem Auto war kausal für Annas Tod. Auch ist es bekannt, dass jährlich eine große Anzahl von Menschen bei Autounfällen ums Leben kommt. Das Fahren mit einem PKW ist jedoch, sofern man sich an die Verkehrsregeln hält, ein von der Gesellschaft toleriertes Risiko und daher erlaubt.
2.Mangelnde Beherrschbarkeit des Erfolges
159Objektiv nicht zurechenbar sind Geschehensabläufe, die nicht mehr im beherrschbaren Machtbereich des Täters liegen.
Bsp.:Bruno schenkt seiner Ehefrau Gisela eine Safari in Afrika. Dabei hofft er, dass Gisela dort von einem Löwen gefressen wird, was tatsächlich auch geschieht. – Das Verschenken der Safari war für Giselas Tod kausal. Während diese Fälle teilweise ebenfalls dem Bereich des „erlaubten Risikos“ zugeordnet werden, weil das Verschenken einer Safari kein sozial missbilligtes Verhalten darstellt, nehmen andere Stimmen hier mit der „mangelnden Beherrschbarkeit“ eine eigenständige Fallgruppe des Ausschlusses der objektiven Zurechnung an.
160Objektiv nicht zurechenbar ist ein Erfolg, der auf einer Handlung beruht, durch die eine drohende Rechtsgutsverletzung vermindert wird, selbst wenn der Erfolg in seiner konkreten Gestalt auf das Verhalten des Handelnden zurückzuführen ist.
Bsp.:Anton will Bruno durch einen Axthieb töten. Berta sieht, wie Anton sich von hinten anschleicht und mit der Axt ausholt. Sie kann durch ein schnelles Eingreifen gerade noch verhindern, dass die Axt Gustavs Schädel spaltet. Die Axt trifft daraufhin nur dessen Schulter. – Berta hat durch ihr Eingreifen den Erfolg in seiner konkreten Gestalt (Körperverletzung Brunos durch Axthieb in den Arm) kausal (mit)verursacht. Hätte sie nicht eingegriffen, wäre dieser konkrete Erfolg ausgeblieben. Sie hat durch ihr Eingreifen aber keine rechtlich missbilligte Gefahr einer Körperverletzung geschaffen, sondern im Gegenteil gerade eine schwerwiegendere Rechtsgutsverletzung verhindert.
IV.Fallgruppen, in denen sich das Risiko nicht im konkreten Erfolg verwirklicht
1.Atypische Kausalverläufe
161Objektiv nicht zurechenbar ist ein Erfolg, der Folge eines atypischen Kausalverlaufes ist. Als atypisch ist ein solcher Geschehensverlauf anzusehen, der völlig außerhalb dessen liegt, was nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu erwarten ist. Der Erfolg ist dann nicht mehr ein Werk des Täters, sondern ein Werk des Zufalls.
Bsp.:Anton sticht Bruno in Tötungsabsicht ein Messer in den Bauch. Obwohl die Verletzung nicht lebensgefährlich ist, wird Bruno ins Krankenhaus gefahren. Auf dem Weg dorthin erleidet ein Sanitäter einen Herzanfall und lässt die Trage mitsamt Bruno fallen, wodurch dieser die Krankenhaustreppe hinunterfällt und sich das Genick bricht. – Da ein solcher Verlauf außerhalb jeglicher Lebenserfahrung liegt, scheidet eine objektive Zurechnung aus. Anders ist hingegen zu entscheiden, wenn Bruno während des Transportes im Krankenwagen stirbt, weil der Fahrer auf der Rettungsfahrt aufgrund der notwendigen hohen Geschwindigkeit in einen Unfall verwickelt wird. Denn es ist nicht atypisch, dass ein Verletzter ins Krankenhaus transportiert wird und es liegt nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, dass ein Krankwagen im Einsatz in einen Unfall verwickelt wird.
162Objektiv nicht zurechenbar sind Verhaltensweisen, die zwar an sich pflichtwidrig sind, die jedoch einen Verstoß gegen eine Norm beinhalten, die ganz andere tatbestandsmäßige Erfolge verhindern will als denjenigen, der im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Diese Fallgruppe wird in erster Linie bei Fahrlässigkeitsdelikten relevant.
Bsp.: 60Anton und Bruno fahren nachts auf einer einsamen Landstraße mit dem Fahrrad hintereinander her. Beide haben kein Licht am Rad. Plötzlich kommt ihnen Gustav mit dem Auto entgegen und erfasst den vorne fahrenden Anton. Dieser stirbt. Zum Unfall wäre es nicht gekommen, wenn jedenfalls der hinten fahrende Bruno mit Licht gefahren wäre, da Gustav den von Bruno angestrahlten Anton dann gesehen hätte. – Die fehlende Beleuchtung an Brunos Rad war hier kausal für Antons Tod (denkt man sie hinzu, hätte Gustav den Anton gesehen und ihn nicht erfasst). Auch stellt das Radfahren ohne Licht auf einer unbeleuchteten Landstraße ein pflichtwidriges Verhalten dar, schafft also ein rechtlich missbilligtes Risiko. Dieses Risiko besteht jedoch darin, dass derjenige, der ohne Licht fährt, von einem Autofahrer nur schwer gesehen und dadurch ein Unfall verursacht werden kann. Die Pflicht, bei Dunkelheit nur mit eingeschaltetem Licht zu fahren, soll jedoch nicht dazu dienen, andere zu beleuchten, damit diese nicht in einen Unfall verwickelt werden. Eine Strafbarkeit Brunos wegen fahrlässiger Tötung, § 222 StGB, scheidet daher aus.
3.Pflichtwidrigkeitszusammenhang
163Objektiv nicht zurechenbar ist ein Erfolg, der zwar durch ein pflichtwidriges Verhalten verursacht wurde, der aber auch eingetreten wäre, wenn der Täter pflichtgemäß gehandelt hätte. Die Pflichtwidrigkeit wird hier insoweit also nicht ursächlich für den Erfolg. Auch diese Fallgruppe wird hauptsächlich bei Fahrlässigkeitsdelikten sowie bei Unterlassungsdelikten relevant.
Bsp.: 61Toni fährt stark angetrunken auf einer Landstraße mit seinem Fahrrad am rechten Fahrbahnrand. Anton nähert sich mit seinem LKW und überholt Toni mit einem zu geringen Seitenabstand. Toni erschrickt, zieht sein Fahrrad reflexartig nach links, gerät unter die Reifen des LKW und stirbt. Im nachfolgenden Prozess kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass Toni infolge seiner Trunkenheit auch dann sein Fahrrad nach links gezogen hätte und verunglückt wäre, wenn Anton ordnungsgemäß gefahren wäre und den Seitenabstand eingehalten hätte. – Das Fahren mit dem LKW war hier kausal für Tonis Tod. Auch war das Überholen mit zu geringem Seitenabstand pflichtwidrig. Der Schutzzweck der jeweiligen Verhaltensnorm sollte auch gerade Gefahren der vorliegenden Art (Verkehrsunfälle) verhindern. Die Pflichtwidrigkeit war im konkreten Fall jedoch nicht ursächlich für den Erfolg, da Antons Tod nach Aussage des Sachverständigen auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Der Erfolg kann Toni daher nicht objektiv zugerechnet werden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Ausschluss der objektiven Zurechnung bei rechtmäßigem Alternativverhalten.
4.Freiverantwortliche Selbstschädigung oder Selbstgefährdung des Opfers
164Objektiv nicht zurechenbar sind Verhaltensweisen, die erst zusammen mit einer eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstverletzung oder Selbstgefährdung des Opfers einen tatbestandlichen Erfolg bewirken. Hier sind diejenigen Risiken, die ein Opfer selbst zu verantworten hat, einem anderen jedenfalls dann nicht zuzurechnen, wenn das Opfer freiverantwortlich handelt und sich die Mitwirkung des Täters lediglich auf die bloße Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung der Selbstgefährdung oder der Selbstverletzung bezieht. Auch diese Fallgruppe wird zumeist bei Fahrlässigkeitsdelikten relevant.
Bsp.: 62Anton handelt mit Heroin. Bruno gehört zu seiner Stammkundschaft. Eines Tages stirbt Bruno an einer Überdosis Heroin, die ihm Anton beschafft und verkauft hat. – Zwar ist der Handel mit Heroin grundsätzlich verboten und auch der Grund dieses Verbots liegt gerade darin, dass durch den Konsum von Heroin Gesundheitsschäden, psychische Schäden oder gar der Tod der Konsumenten eintreten können (Schutzzweck der Norm). Dennoch kann dem Anton hier Brunos Tod nicht zugerechnet werden, sofern man ein freiverantwortliches Handeln des Letzteren annimmt und dieser sich das Heroin selbst gespritzt hat.
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