»Aber Adebar musste gewinnen – da gab’s gar nichts anderes!«
»Und wenn er doch nicht gewonnen hätte?«
Jetzt ist er es einmal, der sich der Frau überlegen fühlt. Er lächelt, als er sagt: »Sieh mal, Hete, du verstehst nichts vom Rennsport, ich verstehe aber alles davon. Und wenn ich sage: Adebar gewinnt, und riskiere sogar 50 Mark darauf …«
Sie unterbricht ihn. Sie sagt scharf: »Du hast mein Geld riskiert! Das will ich nicht haben! Wenn du Geld brauchst, sagst du es, du sollst bei mir nicht nur für die Kost arbeiten müssen. Aber ohne meine Erlaubnis nimmst du kein Geld aus der Kasse, verstanden?«
Bei diesem ungewohnt scharfen Ton ist er wieder völlig unsicher geworden. Er sagt klagend (und sie weiß, gleich wird er losweinen, und sie fürchtet sich schon vor diesen Tränen), er sagt also klagend: »Aber wie redest du denn mit mir, Hete? Als ob ich nur dein Arbeiter wäre! Natürlich nehme ich nicht wieder Geld aus der Kasse. Ich dachte bloß, ich würde dir eine Freude machen, wenn ich so schön Geld verdiene. Wo der Sieg doch auch ganz sicher war!«
Sie geht gar nicht auf dieses Geschwätz ein. Das Geld war ihr ja immer Nebensache, das Wichtige war das enttäuschte Vertrauen. Er denkt jetzt, sie ist bloß wegen des Geldes ärgerlich, so ein Schwachkopf! Sie sagt: »Und wegen dieser Pferdewetterei hast du also einfach den Laden zugemacht?«
»Ja«, sagt er. »Du hättest ihn doch auch zumachen müssen, wenn ich nicht da gewesen wäre!«
»Und dass du ihn zumachen wolltest, das hast du schon gewusst, als ich fortging?«
»Ja«, sagt er ganz dumm. Und verbessert sich rasch: »Nein, natürlich nicht, sonst hätte ich dich um Erlaubnis gebeten. Es ist mir erst eingefallen, als ich bei dem kleinen Laden von dem Buchmacher vorbeikam, in der Neuen Königstraße, weißt du. Da las ich im Vorbeigehen die Tipps, und als ich da als Außenseiter Adebar las, da habe ich mich erst entschlossen.«
»So!«, sagt sie. Sie glaubt ihm nicht. Das hat er schon vorher vorgehabt, ehe er sie in die U-Bahn setzte. Ihr ist eingefallen, dass er heute früh so lange mit der Zeitung herumgeknistert hat und dass er dann lange auf einem Zettel gerechnet hat, immer noch, als schon die ersten Kunden im Laden waren. »So!«, sagt sie noch einmal. »Und du gehst also einfach in der Stadt spazieren, wo wir doch ausgemacht haben, du lässt dich wegen der Gestapo möglichst nicht draußen sehen?«
»Du hast doch auch erlaubt, dass ich dich bis an die U-Bahn bringe!«
»Da waren wir zusammen. Und ich hatte ausdrücklich gesagt, es sollte ein Versuch sein! Das heißt noch nicht, dass du den halben Tag in der Stadt herumläufst. Wo bist du denn gewesen?«
»Ach, nur in so ’nem kleinen Lokal, das ich von früher kenne. Da kommt nie einer von der Gestapo hin, da verkehren nur Buchmacher und Rennwetter.«
»Die dich alle kennen! Die alle überall erzählen können: Wir haben den Enno Kluge da und dort gesehen!«
»Aber die Gestapo weiß doch auch, dass ich irgendwo sein muss. Nur wo, weiß sie nicht. Das Lokal ist sehr weitab von hier, auf dem Wedding. Und ein Bekannter war nicht dort, der mich verpfeifen könnte!«
Er redet ganz eifrig und gutherzig; wenn man auf ihn hört, ist er vollkommen in seinem Recht. Er versteht gar nicht, wie sehr er ihr Vertrauen enttäuscht hat, was für einen Kampf sie seinetwegen mit sich kämpft. Geld genommen – um ihr eine Freude zu machen. Das Geschäft geschlossen – hätte sie ja auch getan. In ein Lokal gegangen – war ja weit weg am Wedding. Dass sie sich aber um ihre Liebe geängstigt hatte, davon verstand er gar nichts, das ging nicht in seinen Schädel hinein!
»Also, Enno«, fragt sie, »das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Oder?«
»Ja, was soll ich denn noch sagen, Hete? Ich seh ja, du bist mächtig unzufrieden mit mir, aber ich finde wirklich nicht, dass ich so viel falsch gemacht habe!« Nun kamen sie doch, die gefürchteten Tränen. »Ach, Hete, sei doch bloß wieder gut zu mir! Ich will dich auch gewiss vorher nach allem fragen! Sei bloß wieder lieb zu mir. So halte ich es nicht aus …«
Aber diesmal verfingen weder Tränen noch Bitten. Etwas klang falsch darin. Es ekelte sie beinahe vor dem weinenden Manne.
»Das muss ich mir alles erst gut überlegen, Enno«, sagte sie voll Abwehr. »Du scheinst gar nicht zu verstehen, wie schwer du mein Vertrauen enttäuscht hast.«
Und sie ging an ihm vorbei in die Küche, die Kartoffeln weiter zu braten. Da hatte sie also diese Aussprache gehabt. Und was hatte sie gebracht? Hatte sie Erleichterung gebracht, die Verhältnisse geklärt, eine Entscheidung erleichtert?
Nichts von alledem! Sie hatte ihr nur gezeigt, dass dieser Mann gar kein Gefühl dafür hatte, wenn er schuldig geworden war. Dass er besinnungslos log, wenn die Lage das zu erfordern schien, wobei es ihm gar nicht darauf ankam, wen er anlog.
Nein, solch ein Mann war nicht der richtige Mann für sie. Sie musste mit ihm zum Schluss kommen. Freilich, eines war klar, heute Abend konnte sie ihn nicht mehr auf die Straße setzen. Er wusste ja gar nicht, was er verbrochen hatte. Er war wie ein junger Hund, der ein Paar Schuhe zerbissen hat und keine Ahnung besitzt, warum sein Herr ihn eigentlich verprügelt.
Nein, ein oder zwei Tage musste sie ihm schon Zeit lassen, ein neues Quartier zu suchen. Wenn er dabei der Gestapo in die Hände fällt – sie muss es darauf ankommen lassen. Er lässt es ja auch darauf ankommen – wegen einer Rennwette! Nein, sie muss sich von ihm freimachen, sie kann nie wieder Vertrauen zu ihm finden. Allein muss sie für sich leben, von nun an bis zu ihrem Tode! Und bei diesem Gedanken wird ihr angst.
Aber trotz dieser Angst sagt sie nach dem Abendessen zu ihm: »Ich habe mir alles überlegt, Enno, wir müssen uns trennen. Du bist ein netter Mann, du bist auch ein lieber Mann, aber du siehst die Welt zu sehr mit anderen Augen an, auf die Dauer könnten wir uns nicht vertragen.«
Er blickt starr auf sie, die wie zur Bekräftigung ihrer Worte ihm das Bett auf dem Sofa richtet. Er will erst seinen Ohren nicht trauen, und dann wimmert er los: »O Gott, Hete, das kannst du doch nicht wirklich meinen! Wo wir beide uns doch so liebhaben! Das kannst du doch nicht wollen, mich auf die Straße und der Gestapo in die Arme zu jagen!«
»Ach!«, sagt sie und will sich durch die eigenen Worte beruhigen. »Das mit der Gestapo wird auch nur halb so schlimm sein, sonst wärest du heute nicht den halben Tag in der Stadt herumgelaufen!«
Aber er bricht in die Knie. Wahrhaftig, er rutscht auf den Knien zu ihr hin. Die Furcht hat ihn ganz besinnungslos gemacht. »Hete! Hete!«, schreit und schluchzt er. »Du willst mich doch nicht töten? Du musst mich hierbehalten! Wo soll ich denn hin? Ach, Hete, hab mich doch ein bisschen lieb, ich bin ja so unglücklich …«
Heulen und Geschrei, ein kleiner, vor Angst winselnder Hund!
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