Mit einem Satz war Escherich hinter ihm drein, packte ihn an der Schulter und hielt ihm die Faust unter die Nase.
»Siehst du die?«, schrie er wütend. »Willste mal riechen an der Knospe, du dämlicher Hund? Noch ein Wort von den Persickes, und ich schicke dich in den Bunker, und wenn auch alle Enno Kluges von der Welt frei rumlaufen!«
Damit gab er dem Überraschten einen Stoß mit dem Knie in den Hintern, dass er wie eine Kanonenkugel in den Gang schoss. Er war aber grade auf eine SS-Ordonnanz abgeschossen, die ihm einen weiteren kräftigen Tritt versetzte …
Der Lärm, den diese zwei Abschüsse verursachten, hatte zwei SS-Posten am Treppenpodest aufmerken lassen. Sie nahmen den noch taumelnden Barkhausen in Empfang und warfen ihn die Treppe hinab, genau wie einen Kartoffelsack, drunter und drüber, ganz egal, wie’s grade kam.
Und als Barkhausen unten ächzend und ein wenig blutend liegen blieb, aber nur wenig, noch ganz betäubt von dem Sturz, fasste ihn der nächste Posten beim Kragen, schrie: »Willst du Schwein uns hier den schönen Fußboden vollsauen?«, schleppte ihn zum Ausgang und warf ihn auf die Straße.
Der Kommissar Escherich hatte den Anfang dieses Sturzes, bis die Treppe ihn seinen Blicken entzog, mit Behagen angesehen.
Die Vorübergehenden auf der Prinz-Albrecht-Straße vermieden es ängstlich, den im Dreck liegenden Unglücklichen anzusehen, denn sie wussten es ja, aus welchem gefährlichen Hause er hinausgeworfen war. Es war vielleicht schon ein Verbrechen, solchen Verunglückten mitleidig anzusehen, helfen durfte man ihm schon gar nicht. Der Posten aber, der mit schweren Schritten jetzt wieder am Ausgang auftauchte, sagte: »Wenn du Schwein in drei Minuten noch unsere Fassade schändest, dann mache ich dir Beine, und das nicht zu knapp!«
Das half. Barkhausen raffte sich auf und taumelte mit schweren, schmerzenden Gliedern nach Hause. Innerlich aber brannte er mal wieder vor hilflosem Hass und Zorn, und dieser Hass brannte ihn stärker, als seine Verletzungen weh taten. Er war fest entschlossen, für diesen Schurken von Kommissar keine Hand zu rühren, der sollte sich seinen Enno Kluge allein suchen!
Aber am nächsten Tage, als der Zorn etwas gelinder geworden war und die Stimme der Vernunft wieder zu sprechen anfing, sagte er sich, dass er erstens vom Kommissar Escherich zehn Mark bekommen hatte, und für die musste er arbeiten, sonst bekam er unweigerlich eine Betrugsanzeige. Und zweitens war es überhaupt nicht gut, es mit so hohen Herren ganz zu verderben. Die hatten nun mal die Macht, und wer klein war, der musste sich fügen. Das mit dem Rausschmiss gestern, das hatte sich schließlich ganz von selbst ergeben. Wäre er nicht gegen die Ordonnanz geprallt, wäre es ganz gelinde abgegangen. Sie sahen es wohl als einen Witz an, und wenn Barkhausen gesehen hätte, dass man einen anderen so behandelt, hätte er auch herzlich gelacht, zum Beispiel über einen gleicherweise abgefeuerten Enno Kluge.
Ja, das war der dritte Grund, warum Barkhausen den Auftrag doch lieber ausführte: er konnte damit dem Enno Kluge eins auswischen, der ihm durch seine blöde Sauferei das ganze schöne Geschäft vermasselt hatte.
So begab sich Barkhausen also, wenn auch mit schmerzenden Knochen, so doch guten Willens voll, in jene beiden Lokale, die auch der Kommissar Escherich aufgesucht hatte, und in einige weitere noch. Er fragte nicht nach Enno bei den Wirten, er stand nur da und lümmelte sich, er trank langsam, über eine Stunde, an einer Molle, redete auch ein bisschen von Pferden, über die er durch das ewige Zuhören sogar etwas wusste (war aber gänzlich von jeder Wettleidenschaft frei) – und ging dann in das nächste Lokal, um es dort genauso zu machen. Er hatte Geduld, der Barkhausen, er konnte es so ganze Tage treiben, ihm kam es nicht darauf an.
Aber er brauchte gar nicht viel Geduld zu haben, denn schon am zweiten Tag sah er den Enno im Lokal »Ferner liefen«. Er erlebte den Adebar-Triumph des Schmächtigen und empfand einen heftigen Neid wegen des Massels, den solch ein Idiot entwickelte. Außerdem wunderte ihn der Fünfzigmarkschein, den Kluge dem Buchmacher gegeben hatte. Durch Arbeit war der nicht erworben, das roch Barkhausen sofort. Der musste sich ganz hübsch gebettet haben, der kleine Schleicher, der!
Es ist ganz selbstverständlich, dass die Herren Barkhausen und Kluge einander nicht kannten, sie sahen sich nicht einmal.
Nicht ganz so selbstverständlich ist es, dass der Kneipier den Kommissar Escherich nicht anrief, trotz seines festen Versprechens. Aber das war ja nun so, dass man die Gestapo fürchtete und in ständiger Angst vor ihr lebte, aber etwas anderes war es, ihr Handlangerdienste zu tun. Nein, so weit ging es auf der anderen Seite auch nicht, dass Enno Kluge gewarnt wurde, aber jedenfalls wurde er nicht verraten.
Übrigens vergaß der Kommissar Escherich nicht diesen unterlassenen Anruf. Er gab einer bestimmten Abteilung darüber Nachricht, worauf dort über den Kneipier eine Kartothekkarte angelegt wurde, auf der das Wort »Unzuverlässig« stand. Eines Tages, früher oder später, würde es der Kneipier schon zu spüren bekommen, was das hieß, bei der Gestapo für unzuverlässig zu gelten.
Von den beiden Herren verließ Barkhausen zuerst das Lokal. Er ging aber nicht weit, sondern baute sich hinter einer Litfasssäule auf, wo er in heiterer Ruhe den Abgang des Kleinen erwartete. Barkhausen war ein Beschatter, der sein Opfer so leicht nicht aus dem Auge verlor, und dieses Opfer schon gar nicht. Er brachte es sogar fertig, sich auf der U-Bahn in den gleichen Wagen mit ihm zu quetschen, und obwohl Barkhausen lang war, sah ihn Enno Kluge doch nicht.
Enno Kluge dachte nur an seinen Triumph mit Adebar, an das Geld, das endlich wieder einmal reichlich in seiner Tasche knisterte, und dann dachte er an Hete, bei der er es doch eigentlich sehr gut hatte. Mit Liebe und Rührung dachte er an die gute, ältliche Zerfließende, aber er dachte nicht daran, dass er sie vor ein paar Stunden belogen und bestohlen hatte.
Freilich, als er dann vor dem Laden ankam und sah, der Rollladen war hochgezogen, und sie wirkte schon wieder im Geschäft, und sie hatte ihm sein Weglaufen bestimmt übelgenommen, da sank seine gute Stimmung wieder. Aber mit dem Fatalismus, mit dem sich Leute seines Schlages auch in das Widrigste fügen, betrat er den Laden und ging seiner Abreibung entgegen. Dass er aber, mit solchen Gedanken beschäftigt, nicht grade sehr genau darauf achtete, wer ihm auf den Fersen saß, das kann niemanden wundernehmen.
Der Barkhausen hatte den Kluge im Laden verschwinden sehen. Er stand etwas ab in einem Torweg, denn er nahm natürlich an, Kluge wolle dort etwas kaufen und werde gleich wieder herauskommen. Aber die Kunden gingen und kamen, gingen und kamen, und Barkhausen wurde schon ganz nervös. Wenn er Kluges Herauskommen übersehen hatte – er hatte die fünfhundert Eier schon ganz sicher in seiner Tasche gefühlt, diesen Abend noch.
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