Nun ging laut der Rollladen herunter, und jetzt war es sicher: der Enno hatte sich irgendwie verdrückt. Vielleicht hatte er doch Witterung von seinem Beschatter gehabt, war unter irgendeinem Vorwand durch den Laden in das Haus gegangen und durch die Haustür wieder heraus. Barkhausen verfluchte sich ob seiner Dummheit, nicht auch die Haustür im Auge behalten zu haben. Immer hatte er nur auf die Ladentür geglotzt, Kamel, das er war!
Nun, es gab ja die Möglichkeit, Enno morgen oder übermorgen wieder in dem Lokal zu treffen. Jetzt, wo er durch Adebar so einen Reibach gemacht hatte, würde sein Wettfimmel ihm schon keine Ruhe lassen. Er würde jeden Tag kommen und so lange wetten, bis das Geld alle war. Ein Außenseiter wie Adebar lief nicht alle Wochen, und wenn er lief, hatte man nicht auf ihn gesetzt. Der Enno würde sein Geld schon rasch loswerden.
Der Barkhausen schob auf seinem Heimweg noch nahe an dem kleinen Tierladen vorbei. Da sah er plötzlich durch die Schaufensterscheibe (nur die Ladentür war durch den Rollladen versperrt), dass ein einsames Licht im Laden brannte, und wie er nun die Nase an der Scheibe plattdrückte und über die Aquarien durch die Vogelkäfige linste, da sah er, dass noch zwei Gestalten im Laden wirkten: ein aufgegangener Pudding von einer Alten im gefährlichsten Alter, wie er gleich richtig schätzte, und dazu sein Freund Enno. Enno in Hemdsärmeln und einer blauen Schürze, Enno, der fleißig Futternäpfe füllte, Wasser eingoss, einen Scotch putzte.
Was für einen Dusel solch ein Idiot wie der Enno doch hatte! Was die Weiber an dem nur sahen? Er, der Barkhausen, saß fest mit der Otti und fünf Blagen, und so ein oller Knacker, der kam daher und setzte sich gleich in eine ganze Tierhandlung, komplett mit Frau, Fischen und Vögeln.
Verächtlich spuckte Barkhausen aus. Was für eine saublöde Welt das war, die dem Barkhausen alles Gute vorenthielt, um es einem solchen Idioten in den Schoß zu werfen!
Aber je länger Barkhausen guckte, umso klarer wurde ihm, dass um das Paar da drinnen kein Liebeszauber blühte. Sondern sie redeten kaum miteinander, sie sahen sich fast nie an, und es war sehr möglich, dass der kleine Enno Kluge nichts darstellte als einen Arbeiter, der die Frau da drinnen beim Aufräumen des Ladens unterstützte. Dann musste er in absehbarer Zeit aus dem Haus herauskommen.
Barkhausen zog sich also von neuem auf seinen Beobachtungsposten im Torweg zurück. Da der Rollladen geschlossen war, würde Kluge aus der Haustür kommen, und so behielt Barkhausen die im Auge. Aber das Licht im Laden war erloschen, und Kluge war noch immer nicht gekommen. Da entschloss sich Barkhausen, viel zu wagen. Auf die Gefahr hin, den Enno im Treppenhaus zu treffen, schlich er sich in das Haus, das noch nicht abgeschlossen war. Es war aber solch Mietshaus mit zwei oder gar drei Höfen, das meist überhaupt nicht abgeschlossen wird, weil zu viel Parteien darin wohnen.
Barkhausen notierte zuerst den Namen »H. Häberle« in seinem Hirn und schlich dann auf den Hof hinaus. Und siehe, er hatte Glück, sie hatten noch nicht verdunkelt, trotzdem es jetzt schon nach acht Uhr war, und an einem schief hängenden Store vorbeiblickend, konnte Barkhausen die Stube bestens übersehen. Was er da aber sah, das überraschte ihn derart, dass er fast einen Schreck bekam.
Denn da kniete sein Freund Enno auf der Erde, kniend rutschte er hinter der dicken Frau her, die mit ängstlich angezogenen Röcken Schritt für Schritt vor ihm zurückwich. Ennochen aber hatte die Ärmchen erhoben, er schien zu weinen und Klagelaute auszustoßen.
Ihr lieben Leute!, dachte Barkhausen und trat auf seinem Beobachtungsposten vor Entzücken von einem Bein auf das andere, ihr lieben Leute, wenn ihr euch so Appetit auf die Nacht macht, dann proste Mahlzeit, dann seid ihr ja verdammt ulkige Kruken! Da will ich gerne hier die halbe Nacht stehen und euch zukieken.
Aber da schlug die Tür hinter der Alten zu, und der Enno stand an der Tür, bewegte die Klinke auf und ab und schien weiter zu flennen und zu beschwören.
Vielleicht war’s nicht nur so ’ne kleine Vorfeier für die Nacht, dachte Barkhausen. Vielleicht haben sie sich gestritten, oder Enno hat was von ihr haben wollen, was sie ihm nicht gibt, oder sie will überhaupt von dem verliebten alten Gockel nichts wissen … Was geht es mich an? Jedenfalls bleibt er hier zur Nacht, wozu wäre ihm sonst auf dem Sofa ein so schönes weißes Bettchen zurechtgemacht?
Der Enno Kluge stand grade vor dem Bettchen. Barkhausen konnte das Gesicht seines ehemaligen Kumpels ganz deutlich sehen. Es war zum Verwundern, wie es jetzt ausschaute. Eben noch Weinen und Wehklagen, und nun grinste der Mann, sah zur Tür, grinste wieder …
Der hat der Alten also nur ein Theater vorgespielt. Na, denn also, mein Junge, viel Glück! Ich fürchte nur, der Escherich spuckt dir in deine Suppe!
Der Kluge hatte sich eine Zigarette angesteckt. Nun ging er direkt auf das Fenster zu, durch das Barkhausen spähte. Der fuhr erschrocken zur Seite, ins Dunkle – das Verdunklungsrouleau sauste herunter, und Barkhausen konnte ruhig seinen Beobachtungsposten für diese Nacht aufgeben. Große Aufregungen waren nicht mehr zu erwarten, wenigstens würde er davon nichts mehr zu sehen bekommen. Der Enno aber war ihm für diese Nacht erst einmal sicher …
Eigentlich war mit dem Kommissar Escherich vereinbart worden, dass Barkhausen ihn sofort nach der Entdeckung Enno Kluges anrufen sollte, einerlei ob Tag oder Nacht. Aber wie Barkhausen da in der Nacht immer weiter vom Königstor fortging, wurde immer zweifelhafter, ob ein sofortiger Anruf wirklich das Richtige war, das für Barkhausens Nutzen richtig ist. Ihm war eingefallen, dass es in dieser Sache doch zwei Parteien gab, dass er also eigentlich von beiden Nutzen ziehen konnte.
Das Geld von Escherich war ihm sicher, warum sollte er nicht versuchen, auch aus Enno Kluge ein bisschen Geld zu machen? Da hatte dieser Bursche einen Fünfzigmarkschein in der Hand gehabt, den er durch den Sieg Adebars auf über zweihundert Mark vermehrt hatte – nun, warum sollte nicht er, Barkhausen, nicht auch dieses Geld haben? Dem Escherich geschah kein Schaden dadurch, der bekam seinen Enno trotzdem, und Enno geschah auch kein Schaden, denn die auf der Gestapo nahmen ihm doch das Geld ab. Also?
Und dann war da diese dicke Frau, hinter der Enno so komisch auf den Knien gerutscht war. Diese feste Rübe hatte sicher Geld, vielleicht sogar eine ganze Menge. Das Geschäft sah gut aus, hatte noch viel Ware, und an Kunden schien es ihr auch nicht zu fehlen. Nein, diese Flennerei und Rutscherei Kluges sah nicht grade danach aus, dass die beiden schon in allen Dingen einig waren, das nicht, zugegeben, aber wer liefert denn grade einen Liebhaber, und sei es auch ein abgewiesener, der Gestapo aus? Die Tatsache, dass die Alte den Enno trotz der Abweisung noch bei sich duldete, dass sie ihm ein Nachtlager auf dem Sofa bereitet hatte, bewies, dass ihr noch was an Enno lag. Und lag ihr noch was an dem alten Graukopf, so würde sie auch zahlen, vielleicht nicht viel, aber doch etwas. Und dieses Etwas wollte Barkhausen sich keinesfalls entgehen lassen.
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